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Tlatelolco - ein Vorbild für Nahost

45 Jahren Vertrag über eine kernwaffenfreie Zone in Lateinamerika

Von Hubert Thielicke *

Am 14. Februar 1967 schrieb man Geschichte im mexikanischen Außenministerium, das im Stadtteil Tlatelolco der Hauptstadt liegt. Die Vertreter von 14 Staaten unterzeichneten den »Vertrag über das Verbot von Atomwaffen in Lateinamerika«, später nur »Vertrag von Tlatelolco« genannt. Er könnte die Schablone für eine kernwaffenfreie Zone in Nahost sein.


Der Vertrag von Tlatelolco war in hohem Maße das Verdienst des mexikanischen Botschafters Alfonso Garcia Robles (1911 - 1991). Von 1964 bis 1970 leitete er die Verhandlungen und schließlich auch die erste Generalkonferenz der zur Umsetzung des Vertragswerkes gegründeten Organisation für das Verbot von Kernwaffen in Lateinamerika (OPANAL). Später diente er seinem Land als Ständiger UN-Vertreter in New York, als Außenminister und als Delegationsleiter auf der Genfer Abrüstungskonferenz. Gemeinsam mit der schwedischen Politikerin Alva Myrdal wurde er 1982 mit dem Friedensnobelpreis geehrt.



Die Idee für eine solche Zone war durchaus nicht neu - bereits Mitte der 1950er Jahre hatte der polnische Außenminister Adam Rapacki Vorschläge für ein kernwaffenfreies Mitteleuropa unterbreitet. Die Konfrontation der beiden Militärblöcke ließ allerdings eine solche Vereinbarung nicht zu.

Im Vertrag von Tlatelolco verzichten die Teilnehmerstaaten nicht nur auf den Erwerb von Kernwaffen, sondern verbieten auch ihre Stationierung und Erprobung in der Zone. Es war eine Art Initialzündung, seither kam es zu Vereinbarungen über solche Zonen im Südpazifik, in Südostasien, Afrika und Zentralasien. Selbst einzelne Staaten wie die Mongolei und Österreich erklärten sich für kernwaffenfrei. Damit werden fast die gesamte südliche Hemisphäre und Teile der nördlichen von Atomwaffen frei gehalten.

Solche Maßnahmen werden auch für andere Weltregionen diskutiert: Nordostasien, Mitteleuropa, die Arktis. Von geradezu brennender Aktualität ist das Ziel, den Nahen Osten von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen freizumachen und freizuhalten. Auf Initiative Irans und Ägyptens wird das Problem in den Vereinten Nationen seit 1974 diskutiert. Schließlich beschloss 2010 die 8. Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages, in diesem Jahr eine entsprechende Konferenz unter Beteiligung aller Staaten der Region abzuhalten. Sie soll in Finnland stattfinden; der finnische Diplomat Jaakko Laajava führt derzeit Gespräche zu ihrer Vorbereitung.

Angesichts des ungelösten Nahostkonflikts, der Kernwaffen Israels, der iranischen Atomfrage und weiterer Problemfelder wird der Weg zu einem von Massenvernichtungswaffen freien Nahen Osten nicht einfach sei. Es bedarf der Herstellung von Vertrauen und Transparenz. Bei allen schwerwiegenden Differenzen sollte aber nicht übersehen werden, dass bereits einige Schritte auf dem Wege zu einer von Kern- und anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone in der Region gegangen wurden.

So legten bereits 1990 UN-Experten Vorschläge zu wichtigen Fragen der Zone vor. Im Gefolge des Zweiten Golfkrieges wurden das Kernwaffenprogramm Iraks gestoppt und seine Vorräte an biologischen und chemischen Waffen vernichtet. Libyen erklärte 2003 den Verzicht auf Massenvernichtungswaffen und stellte sein Atomprogramm ein. Alle arabischen Staaten und Iran sind Mitglied des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, der 1968 geschlossen wurde und dem inzwischen insgesamt 190 Staaten angehören.

Auch die Erfahrungen aus anderen Regionen dürften von Interesse sein, beispielsweise die Aufgabe des Kernwaffenprogramms durch Südafrika oder das besondere Kontrollsystem für Argentinien und Brasilien im Rahmen der lateinamerikanischen Zone.

Viel wird jetzt aber davon abhängen, ob die USA Israel dazu veranlassen können, an der Konferenz teilzunehmen. Auch hinsichtlich Irans ist ein Umdenken in Washington und Westeuropa erforderlich. Nur auf dem Wege von Sanktionen und ohne echte Verhandlungen, kann es keine Lösung geben. Iran selbst wird im Hinblick auf Transparenz und Kontrolle zulegen müssen. Inwieweit der »Arabische Frühling« den Gang der Dinge beeinflussen wird, bleibt allerdings noch abzuwarten.

* Aus: neues deutschland, 14. Februar 2012

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