Ein neues Versailles?
Wer Atomwaffen haben darf und wer nicht. Ein alter Streit
Von Conrad Taler *
Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Nordkorea wegen dessen Atomwaffentest hat der
Weltsicherheitsrat unter anderem verlangt, das Land solle seinen 2003 erfolgten Austritt aus dem
Atomwaffensperrvertrag rückgängig machen und auf Nuklearwaffen verzichten. Die Bundesrepublik
ist diesem Vertrag 1974 während der Kanzlerschaft von Willy Brandt beigetreten. Brand sah darin
einen wichtigen Beitrag zur Entspannung zwischen Ost und West.
In den Unionsparteien war der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen – so die offizielle
Bezeichnung – heftig umstritten. Der CSU-Vorsitzende Strauß bezeichnete ihn als ein »neues
Versailles, und zwar eines von kosmischen Ausmaßen«. Er knüpfte damit an die deutschnationale
Agitation gegen den Friedensvertrag von Versailles an, mit dem der Erste Weltkrieg beendet wurde.
Zur rechten Zeit müsse auch einmal eine Entscheidung »gegen den Wind« getroffen werden, fügte
er hinzu. Polemisch fragte Straußens Parteiorgan »Bayern-Kurier«, wo den geschrieben stehe, dass
»die Vermehrung der Nuklearmächte die Gefahr für den Weltfrieden erhöhe«. Dies sei eine Theorie
der »Atom-Monopolisten«, hinter der die »arrogante Meinung (stecke), dass andere Regierungen
weniger verantwortungsbewusst hantierten«. Der CSU-Vorsitzende, den der Londonder »Observer«
damals als »starken Sprecher der deutschen Großindustrie« charakterisierte, befürchtete, die
deutsche Wirtschaft würde sich im Bereich der Zukunftstechniken bei Annahme des Vertrages nicht
so »ungestört« entwickeln können, wie das für einen Platz in der »Weltrangliste« einfach
unerlässlich sei.
Mit den »Atom-Monopolisten« waren die USA, Großbritannien und die Sowjetunion gemeint, die den
Sperrvertrag 1968 unterzeichnet hatten und der 1970 in Kraft trat. Das Abkommen war für Teile der
Unionsparteien von Anbeginn ein Stein des Anstoßes. Da war von einem »Knebelungsvertrag« die
Rede, von einem »Unterwerfungsvertrag«, von »Lizenzknechtschaft« und von einer
»Abdankungsurkunde Europas«. Der »Bayern-Kurier« behauptete, Brandt wolle mit dem
Atomsperrvertrag den Sowjets ein »Instrument« in die Hand geben, mit dem sie »uns fertigmachen«
könnten. Weiter: »Das willige Marschieren im Schlepptau der Vereinigten Staaten, wie Brandt es mit
seinem hektischen Eifer, die deutsche Unterschrift unter dem Sperrvertrag baldmöglichst zu leisten
dokumentiert hat, kann einfach bei der Verschiedenheit der Interessenlage keine gute Politik für
Deutschland sein ... Die wirtschaftlichen Folgen des Atomsperrvertrages werden ungeheuer sein.
Die Gefährdung der Arbeitsplätze, die Kontrolle der deutschen Industrie, die ungeklärten
Kostenfragen werden die deutsche Position auf dem Weltmarkt entscheidend treffen.«
Wenige Tage vor der entscheidenden Abstimmung im Bundestag über den Beitritt zum
Atomwaffensperrvertrag hatte der damalige Vorsitzende der oppositionellen Unionsfraktion, Karl
Carstens, seine Leute zu einer Probeabstimmung zusammengerufen, an der nur die Hälfte der
Fraktion teilnahm. Die Erschienenen waren mehrheitlich dafür, den Vertrag abzulehnen. In der
Ratifizierungsdebatte nannte Carstens diesen einen »ungleichen Vertrag«, weil er den Atommächten
Rechte gebe, den anderen Staaten aber Pflichten auferlege. Gleichwohl stimmte er ungeachtet aller
Bedenken für den Vertrag. Zu den entschiedensten Gegnern gehörte neben Strauß der hessische
CDU-Chef Alfred Dregger als Wortführer des nationalkonservativen Flügels in der Union. Schließlich
wurde der Atomwaffensperrvertrag am 20. Februar 1974 vom Bundestag mit 355 gegen 90 Stimmen
(von der Union) raitifiziert. Die Bundesrepublik trat ihm als 83. Land bei.
Es darf darüber spekuliert werden, ob die Bundesrepublik heute zu den Mitgliedstaaten des
Atomwaffensperrvertrag gehören würde, wenn die Union damals über eine Mehrheit im Parlament
verfügt hätte.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2006
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