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USA und Nuklearer Teststoppvertrag:

Eine Dekade der Verweigerung

Von Wolfgang Kötter *

In der Wiener Hofburg beraten (17./18.9.) die Vertreter von rund hundert Staaten wie der nukleare Teststoppvertrag rechtswirksam werden kann. Das Abkommen verbietet die Erprobung aller Atomwaffen ob zu Lande, unter Wasser, in der Atmosphäre oder im Weltraum. Für den Präsidenten der USA würde dessen Scheitern "der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten sowie den Beziehungen mit unseren Alliierten schaden und unsere seit vierzig Jahren führende Rolle beim Kampf gegen die nukleare Bedrohung untergraben". Leider stammen diese Worte nicht vom derzeitigen Amtsinhaber, sondern von seinem Vorgänger Bill Clinton. Nachdem dieser das Abkommen als erster unterzeichnet und im September 1997 an den US-Senat zur Ratifizierung übermittelt hatte, folgte eine Dekade der Verweigerung.

Angeführt vom erzkonservativen Senator Jesse Helms, konnte die Opposition die Zustimmung verhindern, und der US-Senat wies den Vertrag mit 51 Nein- gegen 48 Ja-Stimmen zurück. Die gegenwärtige Bush-Regierung lehnt das Abkommen ebenfalls ab und weigert sich beharrlich, eine erneute Abstimmung zu erreichen. Washington votiert regelmäßig gegen die UNO-Resolutionen zum Testverbot, boykottiert die Konferenzen zur Unterstützung der Inkraftsetzung des Vertrages und verweigert seit zwei Jahren sogar die Finanzmittel für Vor-Ort-Inspektionen der Wiener Kontrollbehörde (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization - CTBTO). Durch die insgesamt 38 Mio. Dollar Zahlungsrückstände tragen die USA die Hauptverantwortung für das Defizit von einem Viertel des Jahresbudgets der Organisation. Als Konsequenz verlor Washington in diesem Jahr erstmals das Stimmrecht in deren Entscheidungsgremium.

Die CTBTO besteht aus der Konferenz aller Vertragsstaaten, einem Exekutivrat und einem Technischen Sekretariat, dem ein Internationales Datenzentrum zugeordnet ist. Unter der Leitung von Tibor Tóth aus Ungarn errichten die rund 250 Mitarbeiter aus 66 Ländern ein Netzwerk von insgesamt 321 weltweit stationierten Beobachtungsposten, das den gesamten Erdball lückenlos abdeckt. Nahezu Drei Viertel der 120 seismischen, 11 hydroakustischen und 60 Infraschall-Messstationen sind bereits installiert und einsatzfähig. 80 Radionuklid-Stationen, darunter auch die Einrichtung auf dem Schauinsland bei Freiburg im Schwarzwald, ergänzen das Kontrollsystem und prüfen den Gehalt von Radioaktivität in der Luft. Satelliten übermitteln die Informationen zum Internationalen Datenzentrum an der Donau, wo sie gespeichert, interpretiert und an die Vertragsparteien übermittelt werden. Zur Klärung von Zweifelsfällen dienen zusätzlich vertrauensbildende Transparenzmaßnahmen, Konsultationen und Vor-Ort-Inspektionen. Auch wenn es keine hundertprozentige Gewissheit geben kann, sind die Chancen, illegale Handlungen zu entdecken, ziemlich hoch, denn einen unterirdischen Test vorzubereiten, ist zeitaufwendig und schwer zu verbergen. Auch der nordkoreanische Kernwaffenversuch im vergangenen Oktober wurde korrekt registriert und dessen Sprengkraft mit 550 Tonnen des herkömmlichen Sprengstoffs TNT angegeben.

Da der Teststoppvertrag noch nicht rechtswirksam ist, nennt sich die Kontrollorganisation immer noch "provisorisch", aber die knapp 110 Millionen Dollar, die die Staaten jährlich für sie ausgeben, sind keinesfalls hinausgeworfenes Geld. Das Weltraum gestützte Globale Kommunikationsystem liefert nämlich Hunderttausende detaillierter Angaben z.B. zu Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Bergwerksunglücken, Flugzeugzusammenstößen sowie über auffällige Umwelt- und Wettererscheinungen. Die Experten beteiligen sich ebenfalls am Testverfahren für Tsunami-Warnsysteme, unternehmen wissenschaftliche Forschung im geophysischen Bereich bis hin zur Klimaforschung, und könnten nach eigenen Angaben durch die akustische Aufnahme von Walgesängen sogar die Migrationsbewegungen der Wale nachzeichnen.

Die Zahl der Vertragspartner ist inzwischen auf 140 angewachsen, doch immer noch fehlen 10 der 44 Staaten, die technisch in der Lage sind, Atomwaffen herzustellen und ohne die das Abkommen nicht in Kraft treten kann. Außer den USA steht die Ratifikation von China, Ägypten, Israel, Indonesien, Iran und Kolumbien aus. Indien, Pakistan und die KDVR haben noch nicht einmal unterschrieben.

Warum ist der Teststoppvertrag so wichtig für die Eindämmung des nuklearen Wettrüstens?

Wer heimlich Atomsprengköpfe und vor allem thermonukleare Waffen baut, muss sie irgendwann erproben, um sicher zu sein, dass sie auch funktionieren. Darum gilt eine erfolgreiche Kernexplosion immer noch als das Überschreiten der Schwelle zur Atomwaffenmacht. Gleichzeitig wird bei einem Testverbot die Entwicklung neuartiger Nuklearwaffen und somit der qualitative Rüstungswettlauf zwischen den bestehenden Kernwaffenbesitzern erschwert. "Keine einzige Sache ist dringender, wichtiger und kann der allgemeinen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsagenda einen besseren Anschub geben, als das Inkrafttreten des Teststoppvertrages", betonte der Vorsitzende der Internationalen Kommission zu Massenvernichtungswaffen, Hans Blix, vor Konferenzbeginn. Unter dem Ko-Vorsitz der Außenministerin Österreichs, Ursula Plassnik, und ihres Amtskollegen Bruno Stagno Ugarte aus Costa Rica bemühen sich deshalb auch in diesem Jahr zahlreiche Staaten darum, den Vertrag in Kraft zu setzen und drängen darauf, dass die noch abseits stehenden Länder sich der Vereinbarung anschließen. Denn je kleiner die Gruppe der Verweigerer, desto größer wird der politische Druck auf sie, das Testverbot als verbindliche internationale Rechtsnorm zu akzeptieren und dem Abkommen beizutreten. Auf der vorjährigen Konferenz bekräftigten immerhin Vertreter von 61 Staaten, dass sie keine Anstrengungen scheuen und alle Möglichkeiten nutzen werden, um weitere Vertragspartner zu gewinnen.

Die Bush-Regierung und die Testlobby in den USA wollen sich jedoch keinen rechtlichen Beschränkungen unterwerfen, um für die Entwicklung sogenannter Mininukes sowie bunkerbrechender Kernwaffen freie Hand zu haben. Offiziell lautet die Begründung zwar, Tests seien möglicherweise für die Überprüfung der Zuverlässigkeit vorhandener Kernwaffen erforderlich. Doch wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge ist die Lebensdauer der Nuklearsprengköpfe mit 85 Jahren doppelt so lang wie vom Pentagon behauptet. Ungeachtet dessen bestehen die USA, wie Vize-Energieminister Clay Sell ausdrücklich bekräftigte, nach wie vor auf dem Recht Kernwaffen zu testen.

Opfer von Kernwaffentests

Die Europäische Kommission für Strahlenrisiken (ECRR) veröffentlichte im Jahr 2003 in ihrer Studie "The Health Effects of Ionising Radiation Exposure at Low Doses for Radiation Protection Purposes" Zahlen über die Opfer von Kernwaffentests. Danach sind bislang 61,7 Millionen Menschen an Krebs aufgrund radioaktiver Einflüsse gestorben, darunter 1,5 Millionen Kindern. 1,9 Millionen Babys starben bereits im Mutterleib. Die ECRR kommt zu dem Schluss, dass der Anstieg der Krebserkrankungen vor allem eine Folge des radioaktiven Fallouts der atmosphärischen Atomwaffenversuche der Jahre 1957 bis 1963 ist, dem Höhepunkt des atomaren Testens. Die Wissenschaflter gehen davon aus, dass die Abgabe von Radioisotopen in die Umwelt im Rahmen ziviler Atomkraftnutzung in den letzten Jahren bald für einen weiteren Anstieg von Krebs und anderen Krankheiten sorgen wird.
WK

Quelle: IPPNW


Bisherige Kernwaffenversuche

StaatAnzahlTestgebiete
USA1.146New Mexico, Südpazifik, später Wüste von Nevada
UdSSR/Russland715Nowaja Semlja, Semipalatinsk
Frankreich215Sahara, später Polynesien (Moruroa und Fangataufa)
China45Wüste Lop Nor
Großbritannien44Südpazifik, später Wüste von Nevada
Pakistan6Changai-Berge in Balutschistan
Indien5Thar-Wüste in Rajasthan
KDVR 1 nahe Kilju in der nordöstlichen Provinz Hamkyong
Gesamt2.177-

Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists

* Dieser Beitrag erschien - leicht gekürzt - unter dem Titel "Washingtons Dekade der Verweigerung" im Neuen Deutschland, 18. September 2007


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