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Der Atomwaffensperrvertrag: "Die Großen müssen Ernst machen"

Neubrandenburg/Kassel. Der Vertrag ist nun 40 Jahre alt, hat aber an Bedeutung eher noch gewonnen. Über Stand und Perspektiven des Abkommens sprach Christian Stelzer mit Dr. Peter Strutynski, Friedensforscher an der Universität Kassel.



Vor 40 Jahren, mitten im Ost-West-Konflikt, wurde der Atomwaffensperrvertag als historisches Friedensdokument gepriesen. Gilt das auch heute noch?

Der Vertrag, der zunächst für 25 Jahre gültig sein sollte, gilt seit der Überprüfungskonferenz 1995 unbefristet weiter. Dies ist die positive Seite. Auf der anderen Seite ist nicht zu verkennen, dass sich die Hoffnungen des Vertrags auf nukleare Abrüstung in der Welt nicht erfüllt haben. So konnte ein Hauptzweck des Vertrags, die Verbreitung von Atomwaffen über den Kreis der offiziellen Atomwaffenstaaten hinaus zu verhindern, nicht erreicht werden. Auch Artikel 6, der die Vertragsparteien verpflichtet, Verhandlungen über die Einstellung des atomaren Wettrüstens und die nukleare Abrüstung aufzunehmen und einen Vertrag über die allgemeine und vollständige Abrüstung abzuschließen, ist nie verwirklicht worden.

Warum zögerte die alte Bundesrepublik damals, dem Vertrag beizutreten?

Das dürfte unter anderem damit zu tun gehabt haben, dass die Regierung der alten Bundesrepublik befürchtete, die "nukleare Teilhabe" innerhalb der NATO aufgeben zu müssen. Der Vertrag verbietet nämlich die "Nutzung" der Atomwaffen durch Drittländer. In Artikel II heißt es: "Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen ..." Eine Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland ist also vertragswidrig. Der damaligen Bundesregierung ist von US-Seite offenbar versichert worden, dass die US-Atomwaffen auch weiterhin in Westdeutschland verbleiben und der NATO-Abschreckung zur Verfügung stehen. Daraufhin ist die Bundesrepublik 1969 dem Vertrag beigetreten.

Die Sonderseite aus dem "Nordkurier" zum Thema "Atomwaffen und Atomwaffensperrvertrag" kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden.



Inzwischen gibt es über die fünf Atommächte hinaus weitere Nuklearwaffen besitzende Staaten wie Israel, Indien, Pakistan. Und Iran als Unterzeichnerstaat steht im Verdacht, an der Bombe zu arbeiten. Ist der Sinn des Vertrags, nämlich die Weiterverbreitung einer Massenvernichtungswaffe zu verhindern, durch neue Realitäten nicht längst verloren gegangen?

So betrachtet: gewiss. In der Aufzählung der inoffiziellen Kernwaffenstaaten muss übrigens auch noch Nordkorea auftauchen. Dennoch ist unschwer, vorzustellen, was ohne den Vertrag hätte passieren können. Eine ungehemmte Weitergabe nuklearer Waffentechnologie hätte noch ganz andere Dimensionen angenommen.

Die Bush-Regierung ließ schon einmal durchblicken, den Vertrag kündigen zu wollen. Was sollte damit bezweckt werden?

Sie wollte andere Staaten damit unter Druck setzen. Bush hat ja auch den ABM-Vertrag über die Begrenzung der Raketenabwehrsysteme, zwischen der UdSSR und den USA 1972 geschlossen, gekündigt und hat ganz generell ein sehr kritisches Verhältnis zu völkerrechtlichen Übereinkünften, weil sich die USA nicht so gern an übergeordnete Vertragsregime binden wollen. Außerdem sollten Verschärfungen hinsichtlich des Überwachungssystems verhindert werden.

Neue, präzisere Atomwaffen wurden gerade von Erstunterzeichnern des Vertrags in den vergangenen Jahren entwickelt. Wie bewerten Sie dies?

Das ist erstens ein eklatanter Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag (insbesondere Artikel VI) und wird zweitens zu einer neuen atomaren Aufrüstungsspirale führen. Es geht hierbei vor allem um kleinere (mini nukes) und bunkerbrechende Atomwaffen (bunker busters). Je kleiner die Atomwaffen, desto niedriger wird die Hemmschwelle, sie auch einzusetzen. Dabei müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die kleinsten dieser neuen Generation von Atomwaffen immer noch etwa so viel Sprengkraft haben wie die Hiroshima-Bombe! Die USA haben deutlich gemacht, dass sie solche Waffen auch als Erste einsetzen werden, unter anderem auch in ihrem weltweiten sogenannten "Krieg gegen den Terror" und auch gegen Staaten, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen.

Welche Chancen geben Sie dem Vertrag heute überhaupt noch?

So lange die USA den Ersteinsatz von Atomwaffen in Erwägung ziehen und so lange sich die atomaren Habenichtse von ihnen bedroht fühlen, werden sie die Neigung haben, selbst nach Atomwaffen zu streben. Der Irak konnte 2003 angegriffen werden, weil er keine Atomwaffen hatte. Und die USA wussten das. Nordkorea ist nicht angegriffen worden, weil es vor einigen Jahren sich in den Besitz von Atomwaffen gebracht hat und aus dem Atomwaffensperrvertrag austrat. Der Vertrag wird künftig nur dann eine Chance haben, wenn die großen Atomwaffenmächte mit der atomaren Abrüstung Ernst machen. Umgedacht werden muss aber auch hinsichtlich der Verbreitung von Nukleartechnologie für zivile Zwecke. Der Vertrag verspricht ja den Nichtatomwaffenstaaten, beim Aufbau ziviler Kernkrafteinrichtungen zu helfen. Wie schwer es ist, die Grenze zu bestimmen, die zwischen der zivilen und der militärischen Nutzung liegt, sieht man gegenwärtig am Streit um das iranische Atomprogramm. Da der weltweite Ausstieg aus der Atomenergie zurzeit unrealistisch ist, bleibt nur die Option auf schärfere Kontrolle durch die Wiener Atomenergiebehörde. Aber auch die wird von den nuklearen Habenichtsen nur dann akzeptiert, wenn die Großmächte ihre Arsenale abrüsten.

191 Staaten beigetreten

Der Atomwaffensperrvertrag gilt nach wie vor als eines der wichtigsten internationalen Abrüstungsabkommen überhaupt. Es beinhaltet das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Atomwaffen, zugleich aber auch das Recht auf friedliche Nutzung der Nuklearenergie. Nur die damaligen offiziellen fünf Atommächte (USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und China) durften Atomwaffen besitzen. Gleichzeitig verpflichtete der Vertrag sie, ihre Arsenale unter internationaler Aufsicht zu reduzieren und die entsprechende Technologie nicht an andere Länder weiterzugeben. Der Vertrag wurde am 1. Juli 1968 mitten im Kalten Krieg von der Sowjetunion, den USA und Großbritannien unterzeichent und trat im Jahre 1970 in Kraft. Nach Angaben der UNO signierten ihn inzwischen 191 Staaten. Die beiden deutschen Staaten unterzeichneten am 1. Juli 1968 in Moskau (DDR) beziehungsweise am 28. November 1969 (BRD) das Abkommen. Die Bundesrepublik trat dem Atomwaffensperrvertrag unmittelbar nach dem Sieg der sozial-liberalen Koalitionsregierung unter Führung von Willy Brand (SPD) bei.

Obwohl der Ost-West-Konflikt längst vorbei ist, macht keiner der Atomstaaten Anstalten, seine Arsenale zu reduzieren oder zu vernichten. Laut Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI existieren derzeit weltweit 10 200 nukleare Sprengköpfe. Der globale Vorrat von hoch angereichertem Uran wird für das vergangene Jahr mit 1370 Tonnen angegeben.

http://disarmament.un.org/
www.sipri.org
www.bicc.de



* Peter Strutynski, Friedensforscher an der Uni Kassel

Aus: Nordkurier, 30. Juni 2008



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