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Stoppschilder für Atomwaffen?

Vorbereitung der Überprüfungskonferenz unter schwierigen Bedingungen

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer Palast der Nationen tagt ab heute (22.4.13) der Vorbereitungsausschuss für die nächste Überprüfungskonferenz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag in 2015. In der traditionsreichen „Assembly Hall“ werden die 190 Mitgliedstaaten unter Vorsitz von Cornel Feruta aus Rumänien zwei Wochen lang neben organisatorischen Dingen auch die Abrüstung von Nuklearwaffen und die friedliche Verwendung der Atomenergie diskutieren.

Sicherheitsarchitektur auf bröckelndem Fundament

Der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NVV - englisch: Non-Proliferation Treaty, NPT) trat am 5. März 1970 in Kraft. Das Abkommen gilt seitdem als tragende Säule der internationalen Sicherheitsarchitektur, aber die Fundamente bröckeln. Der Vertrag soll verhindern, dass Atomwaffen in immer mehr Hände geraten. Doch die nukleare Nichtverbreitung gerät immer mehr zur Fiktion. In den vergangenen Jahrzehnten erwarben außer den damals anerkannten Kernwaffenmächten USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich und China mit Indien, Israel, Nordkorea, Pakistan und Südafrika fünf weitere Staaten atomare Waffen. Der Post-Apart¬heid-Staat am Kap ist das bisher einzige Land, das freiwillig auf die bereits besessenen Sprengköpfe verzichtete. Mindestens 30 bis 40 weitere Staaten könnten die militärische Atomtechnologie entwickeln. Argentinien, Brasilien, Deutschland, Japan, die Niederlande und Südafrika sind sogar prinzipiell technisch in der Lage, waffenfähiges Spaltmaterial herzustellen.

Die Lebensfähigkeit des Atomwaffensperrvertrages hängt von dieser fein austarierten Interessenbalance ab. Doch von Anfang an gab es scharfe Kontroversen über die Einhaltung der wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Atomwaffenmächten und Nichtnuklearstaaten. Auf diesem Interessenausgleich entstand ein weltweites rechtliches und institutionelles Netzwerk. Zu ihm gehört außer dem Vertrag selbst die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien, die die Einhaltung der Verpflichtungen überprüft. Multilaterale Verträge stärken den physischen Schutz von nuklearen Anlagen und Brennstoffen, abgestimmte Richtlinien regeln den Export von Kernmaterial und atomaren Ausrüstungen. Rund 120 Staaten mit etwa 2 Mrd. Einwohnern haben sich darüber hinaus zu kernwaffenfreien Zonen zusammengeschlossen.

Regelmäßig alle fünf Jahre erleben die Überprüfungskonferenzen Auseinandersetzungen zur Kontrollfrage, Exportrestriktionen und der Unterstützung für die friedliche Kernenergienutzung. Vor allem aber gibt es Streit um die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung. Die Kernwaffenmächte betrachten den Vertrag vornehmlich als völkerrechtliche Sanktionierung ihres Atomwaffenbesitzes. Die Staaten ohne Atomwaffen hingegen tolerieren ihn lediglich als zeitweilige Vereinbarung zur Beseitigung der Ungleichheit durch Abrüstung.

Gebrochene Versprechungen

Als es 1995 um die unbefristete Vertragsverlängerung ging, akzeptierten die Nuklearmächte zwar einen Maßnahmenkatalog der atomaren Nichtweiterverbreitung und Abrüstung, den sie später auf ein gemeinsames 13-Punkte-Programm präzisierten. In der Realität aber hat sich wenig getan. Auch der auf der letzten Überprüfungskonferenz in 2010 angenommene Aktionsplan hat daran nichts geändert und so ist zu befürchten, dass die Bilanz der bevorstehenden Konferenz erneut negativ ausfallen wird. Das Hauptaugenmerk der laufenden Vorbereitungsarbeit richtet sich zwar auf prozedurale und organisatorische Fragen. Aber auch sie besitzen erhebliches Gewicht für die inhaltliche Diskussion und die politischen Ergebnisse der bevorstehenden Konferenz. Darum wird um solche Themen wie Tagesordnung, Struktur und Entscheidungsverfahren bereits in dieser Phase hartnäckig gerungen. Darüber hinaus zeigen aber einzelne Staaten und Staatengruppen bereits frühzeitig Flagge und reichen Arbeitspapiere zu inhaltlichen Diskussionspunkten ein. Beträchtliche Aufmerksamkeit innerhalb und außerhalb der Konferenzräume erregte ein auf der ersten Vorbereitungstagung von sechzehn Staaten abgegebene Erklärung über die humanitäre Dimension der nuklearen Abrüstung. Zu diesem Thema fand im vergangenen Monat in Oslo eine internationale Konferenz statt. Dort warnten Experten und Politiker vor den verheerenden regionalen und globalen Auswirkungen eines Atomkrieges. Sie würden keine Ländergrenzen kennen und alle medizinischen und humanitären Systeme wären hoffnungslos überfordert. Der einzige zuverlässige Weg, um eine solche Katastrophe zu vermeiden sei die totale, unumkehrbare und international kontrollierte Beseitigung aller Nuklearwaffen sowie die Schaffung einer kernwaffenfreien Welt.

Schwierige Rahmenbedingungen

Nachdem die erste Sitzung des Vorbereitungskomitees im vergangenen Jahr in guter Atmosphäre, konstruktiv und sachorientiert verlief, stellt sich die gegenwärtige Situation wesentlich komplizierter dar. Eine für den vergangenen Dezember beschlossene Konferenz über die Schaffung einer von Massenvernichtungswaffen freien Zone in Nahost wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, die nuklearen Abrüstungsverhandlungen stagnieren und manche Anzeichen weisen sogar auf eine neue Runde der atomaren Aufrüstung hin.

So betont der russische Präsident Wladimir Putin, die Atomwaffen „sind die wichtigste Gewähr für Souveränität und territoriale Einheit Russlands und spielen bei der Aufrechterhaltung des globalen und des regionalen Gleichgewichts und der Stabilität eine Schlüsselrolle.“ Laut Putin sind gegenwärtig alle Staaten, die über Atomwaffen und Langstreckenraketen verfügen, bestrebt, diese zu vervollkommnen und ihre Aufklärungsmittel wirksamer zu machen. Zwar erklärt US-Präsident Barack Obama seine Bereitschaft zu weiteren nuklearen Abrüstungsverhandlungen, doch Michail Gorbatschow bewertet die Aussichten für die Zukunft pessimistisch: „Vor unseren Augen beginnt ein neues Wettrüsten. Wenn es so weitergeht, kann man die Ziele einer atomfreien Welt vergessen“, konstatiert der erste und letzte Präsident der Sowjetunion, der sich während seiner Amtszeit nachdrücklich für die nukleare Abrüstung engagierte.

Atomwaffenarsenale weltweit (2013)

Land Anzahl
Russland ca. 8.500
USA ca. 7.700
Frankreich 300
China 240
Großbritannien 225
Pakistan 90 - 110
Indien 80 - 100v
Israel ca. 80
KDVR 6 - 10
gesamt ca. 17.300

Quellen: SIPRI, Bulletin of the Atomic Scientists



Die 16 Koautoren der Erklärung über die humanitäre Dimension der nuklearen Abrüstung:
Ägypten, Chile, Costa Rica, Dänemark, Indonesien, Irland, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Nigeria. Norwegen, Österreich, Philippinen, Südafrika, Schweiz, Vatikanstadt.



* Dieser Beitrag erschien gekürzt in: neues deutschland, Montag, 22. April 2013


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