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Russische Atomraketenfabrik entschlüpft der US-Kontrolle

Von Nikolai Poroskow, Wremja Nowostej *

Der russisch-amerikanische Vertrag zum Abbau der strategischen Offensivwaffen laeuft am 5. Dezember aus. Am Freitag (4. Dez.) mussten die US-Inspekteure das Raketenwerk Wotkinsk (Udmurtien) verlassen: Die noch seit Sowjetzeiten andauernde Ueberwachungsmission ist beendet.

Im Werk Wotkinsk, einem der Eckpfeiler der russischen Ruestungsindustrie, werden die neusten russischen Interkontinentalraketen Topol-M sowie RS-24 und Bulawa gebaut.

Die Arbeit am neuen START-Vertrag ist wohl das groesste sicherheitspolitische Gemeinschaftsprojekt Russlands und der USA seit dem Untergang der Sowjetunion. Von seinem Erfolg haengen nicht nur die bilateralen Beziehungen ab, sondern auch die Herausbildung eines neuen globalen Sicherheitssystems. Militaerpolitische Kontroversen der beiden groessten Kernwaffenmaechte wirken sich auf das politische Klima in aller Welt aus.

Ein neuer Vertrag ist nicht nur als Kontrollmechanismus fuer nukleare Offensivwaffen in Russland und den USA, sondern auch fuer die Vertrauens- bildung wichtig. Der Abzug der US-Kontrolleure von einem der groessten Ruestungswerke in Russland ist ein wichtiges Ereignis: Erstmals wurden die Amerikaner im Juli 1988 in Wotkinsk eingesetzt.

Damals haben die USA entsprechend dem Vertrag ueber die Vernichtung der Kurz- und Mittelstreckenraketen (INF) ihre Raketenfabrik Hercules in Magna (Bundes- staat Utah) und Russland das Werk in Wotkinsk fuer gegenseitige Inspektionen geoeffnet. Obwohl diese Raketenklassen schon lange nicht mehr existieren, waren 20 amerikanische Inspekteure, ausgestattet mit diplomatischer Immunitaet, laut START-1-Vertrag im Wotkinsker Werk bis jetzt im Einsatz.

Laut dem 1991 geschlossene START-1-Vertrag haben beide Staaten ihre strategischen Atomwaffen auf jeweils 6 000 Gefechtskoepfe und 1600 Traegerraketen reduzieren muessen. Im Mai 2002 schlossen Moskau und Washington das Abkommen ueber eine Verringerung ihrer strategischen Offensivpotentiale (SORT). Darin verpflichteten sie sich, bis zum 31. Dezember 2012 ihre atomaren Sprengladungen auf jeweils 2200 bis 1700 Stueck abzubauen.

Seit 9. November verhandeln beide Seiten in Genf ueber eine neue nukleare Abruestungsvereinbarung. Der russischen Delegation gehoeren rund 40 Experten aus dem Aussenministerium, Verteidigungsministerium, Auslandsgeheimdienst, der Raumfahrtbehoerde Roskosmos und der Atomenergie-Holding Rosatom an. Das amerikanische Team zaehlt mehr als 50 Unterhaendler aus NASA, CIA, Heer, Marine und Luftwaffe.

Bei Verhandlungen trafen die Generalstabschefs beider Staaten, Nikolai Makarow und Michael Mullen zusammen. Diese gestanden ein, dass bei den Verhandlungen Meinungsverschiedenheiten bezueglich kuenftiger Kontrollen und Abruestungszahlen erkennbar wurden. Die Amerikaner bestehen auf weiteren Inspektionen sowie auf einer verstaerkten Kontrolle ueber Russlands mobile Raketensysteme Topol und Topol-M.

Dennoch sind vorlaeufige Abruestungsgrenzen bereits bekannt: Die Atomspreng- ladungen sollen auf 1675 bis 1 500, die Traegerraketen auf 1100 bis 500 verringert werden. Russland macht sich fuer eine Lockerung des Ueberwachungs- mechanismus stark. Weitere amerikanische Inspektionen in seinem Werk Wotkinsk, das strategische Raketen herstellt und damit die Verteidigungs- faehigkeit des Staates gewaehrleistet, haelt Russland fuer ueberfluessig. Nach seiner Ansicht gibt es genug andere Moeglichkeiten, um die Aufrichtigkeit des Partners zu pruefen.

Die Praesidenten von Russland und den USA erwarten, dass der neue Vertrag noch in diesem Jahr unterzeichnet wird. Selbst wenn sich ihre Erwartungen erfuellen, kann die Vereinbarung laut Experten fruehestens im Mai in beiden Staaten ratifiziert werden. Aufgrund der fehlenden Rechtsbasis muessen die amerikanischen Inspekteure aus Udmurtien abziehen.

Seit Jahrzehnten ueberwachten 20 US-Kontrolleure rund um die Uhr das geheime russische Raketenwerk. Russland musste auf seine Inspektionen in den USA in den 1990 Jahren wegen Finanzschwierigkeiten einseitig verzichten. Ein weiterer Grund dafuer war, dass die Amerikaner seit Jahren statt ballistischen nur noch Fluegelraketen bauen, so dass die Russen nichts mehr zu kontrollieren haben.

Das Kontrollverfahren in Wotkinsk hingegen blieb kompliziert und mehrstufig. Spezielle Sensoren informieren die Inspekteure ueber jeden Transport, der sich dem Werk annaehert. Erregt das jeweilige Transportmittel keinen Verdacht (wenn z.B. es kleiner als eine Rakete ist), so oeffnen die Inspekteure den Schlagbaum und stellen die Ampel auf "Gruen".

Spezialgeraete vermessen und fotografieren die Fracht und leiten die Daten an die Datensammelstelle weiter, wo rund um die Uhr US-Personal wacht. Bahn- waggons, die gross genug fuer eine Rakete sind, werden genau ueberprueft. In den vergangenen 20 Jahren sind mehrere tausend solche Waggons durch das Tor des Werkes gefahren.

Alle 24 Stunden unternehmen US-Kontrolleure gemeinsam mit russischen Begleitern mindestens zwei Mal einen 4,5 km langen Kontrollgang rund um die Fabrik, um zu pruefen, ob kein neues Tor eingerichtet wurde und es keine unkontrollierten Transporte gibt. Seit Beginn ihrer Mission in Wotkinsk haben die Inspekteure bei den Rundgaengen 60 000 Kilometer zurueckgelegt, jedoch keinen einzigen Fall eines Vertragsbruchs festgestellt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti uebereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 4, Dezember 2009; http://de.rian.ru/


START-Nachfolgevertrag höchstens "in ein paar Wochen" - Obamas Berater

WASHINGTON/MOSKAU, 04. Dezember (RIA Novosti). Der Abschluss des Nachfolgeabkommens zum START-Vertrag ist eine Frage von einigen Tagen, höchstens von ein paar Wochen.

Das erklärte der Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, General James Jones, am Freitag (4. Dez.) in Washington. "Sie wissen, dass wir an einem neuen START-Abkommen arbeiten ... und hofften, das neue Dokument zum Stichtag am 5. Dezember auszufertigen", sagte der General. Als Kompromissvariante hätten sich die beiden Seiten darauf geeinigt, den zum 5. Dezember auslaufenden START-Vertrag um einige Tage zu verlängern, die für die Vorbereitung des Nachfolgedokuments erforderlich seien.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow kündigte am Freitag (4. Dez.) in Brüssel an, dass der neue Vertrag gleich nach seiner Ausfertigung unterzeichnet werde. "Wir arbeiten daran", sagte Lawrow auf einem Briefing nach einem Treffen mit US-Außenministerin Hillary Clinton.




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