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Bleibt Obama am START?

Republikaner wollen Kernwaffen-Abkommen mit Russland vereiteln

Von Reiner Oschmann *

Der mediale Wasserfall, den die Wikileaks-Veröffentlichungen zur US-Diplomatenpost in Gang gebracht haben, ertränkt momentan auch die Aufmerksamkeit für das Abkommen zur Begrenzung der strategischen Kernwaffen der USA und Russlands. Der neue START-Vertrag, der im April von den Präsidenten Obama und Medwedjew unterzeichnet wurde und die Fähigkeit der beiden größten Kernwaffenmächte zur globalen Vernichtung auf je 1550 Atomwaffenschläge einhegen soll, droht dem US-amerikanischen Parteiengezänk zum Opfer zu fallen.

Sollten die Republikaner in Washington mit ihrer Verweigerung erfolgreich sein, zeichnen sich Belastungen für die Weltpolitik - und eine weitergehende Schwächung Barack Obamas ab. Obwohl das Thema von überparteilichem Gewicht ist und obgleich die Ratifizierung von START durch den Kongress der USA Kissinger und Baker auch von Außenministern früherer republikanischer Regierungen unterstützt wird, hat die konservative Senatsfraktion nach dem Wahlsieg vom November neue Hindernisse gegen eine vor Jahresende vorgesehene Ratifizierung errichtet. Wie bei allen völkerrechtlichen Verträgen erfordert sie eine Zweidrittelmehrheit in der oberen Kammer des Kongresses, 67 der insgesamt 100 Senatoren.

Die Ablehnung ist parteipolitisch motiviert. Erst erklärte Senator McConnell, Fraktionsführer der Republikaner, unumwunden, für ihn habe Vorrang, Obama eine zweite Amtszeit zu verwehren. Dann forderte Senator Kyl, die Nummer 2 der Republikaner im Senat, als neue Vorbedingung für ein Ja zur Ratifizierung wesentlich mehr Geld als bisher zur Modernisierung und zum leichteren Einsatz von Atomwaffen. Kyl sagte, er »könne keine Reduzierung der Kernwaffenstreitkräfte der USA unterstützen, solange es keine angemessene Aufmerksamkeit für die Modernisierung dieser Streitmacht und ihrer Infrastruktur gebe«. Obamas Regierung ist diesem Verlangen bereits entgegengekommen und hat neue Millionen zugesichert, um die START-Ratifizierung noch diesen Monat zu sichern. Im Januar wird der Kongress in veränderter Zusammensetzung, mit mehr republikanischen Senatoren als derzeit, zusammentreten und die Mehrheitsbeschaffung für Obamas Demokraten noch schwieriger machen. Diese Gewissheit trug mit zur Erklärung des Präsidenten bei, dass »es ein Gebot der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten ist, den neuen START-Vertrag dieses Jahr zu ratifizieren«.

Das Weiße Haus ist zur Stunde weit entfernt vom Ziel einer Zweidrittel-Mehrheit: Senator Dick Lugar spricht sich als einziger Republikaner für START aus - und hat dafür den Fehdehandschuh der rechtspopulistischen Tea Party hingeworfen bekommen. Sie will ihn bei der nächsten Senatswahl aus dem Amt drängen. Von 14 weiteren Republikanern, denkbaren Befürwortern des Rüstungsabkommens, ist nach jüngster Erkundung des Weißen Hauses kein einziger öffentlich bereit, sich hinter START zu stellen.

Gary Samore, oberster Beamter im Weißen Haus für Rüstungskontrolle, äußerte gegenüber der »New York Times« seine Befürchtung, dass ein Verschieben der Ratifizierung ins neue Jahr dazu »führen könne, sie auf unbestimmte Zeit zu verschleppen«. Im Ergebnis, zitiert ihn das Blatt, »würden die Vereinigten Staaten und Russland ihre Inspektionen der Kernwaffenarsenale nicht wiederaufnehmen, die voriges Jahr ausliefen«. Dies werde nach Samores Überzeugung das Misstrauen anheizen und berge »die wachsende Wahrscheinlichkeit eines neuen Wettrüstens«.

Auf Präsident und Friedensnobelpreisträger Obama, der sich bekanntlich zum Fernziel einer kernwaffenfreien Welt bekennt, richtet sich nun gespannte Aufmerksamkeit – und die Frage: Wird er um START – auch auf die Gefahr einer Abstimmungsniederlage - entschlossen kämpfen? Angekündigt hat er es. Seine Haltung zu START wird das Schicksal des Abkommens wie das seiner weiteren Präsidentschaft beeinflussen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2010


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