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Peking setzt auf atomare Abrüstung

China begrüßt neue Vereinbarung zwischen Moskau und Washington

Von Werner Birnstiel *

Ranghohe chinesische Politiker und Militärs begrüßen ausdrücklich die Unterzeichnung des neuen START - Vertrags. Allen aktuellen Verärgerungen im Verhältnis China – USA zum Trotz wird Präsident Hu Jintao Anfang nächster Woche auch an dem von Ba-rack Obama initiierten Gipfeltreffen zur atomaren Sicherheit in Washington teilnehmen.

Peking votiert für atomare Rüstungsbegrenzung und -abrüstung, die zunächst vor allem durch wirksame Verträge zwischen den nuklearen Supermächten USA und Russland umgesetzt und zu einer Verhinderung der Militarisierung des Weltraums führen müsse. Für Chinas Führung geht es in diesem Prozess auch um die Neuformulierung einiger grundsätzlicher Positionen ihrer außenpolitischen und militärischen Strategie. Ausgangspunkt ist, ob heutzutage die bisherige »nukleare Ordnung« tatsächlich aufrechterhalten werden kann und muss, um eine atomwaffenfreie Welt zu erreichen. So sind die USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China laut Atomwaffensperrvertrag zum Kernwaffenbesitz autorisiert. Außer Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea haben sich alle anderen Staaten vertraglich verpflichtet, auf den Besitz von Atomwaffen zu verzichten, wenn die Kernwaffenstaaten abrüsten und den Nicht-Atommächten Zugang zur friedlichen Nutzung der Kernkraft gewähren.

Peking steht nun vor mehreren schwierigen Entscheidungen. Am wichtigsten ist wohl, dass Chinas Führung das für sie »heilige« Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates modifizieren müsste. Das betrifft vor allem die bisher tolerierende Haltung gegenüber der KDVR, Iran und Pakistan, zu dem vor allem seit den 80er Jahren enge Beziehungen aufgebaut wurden. Hinzu kommt, dass Peking der Politik Obamas noch längst nicht traut – die USA-Waffenverkäufe an Taiwan, sein Treffen mit dem Dalai Lama im Februar 2010, Handelsstreitigkeiten und die Auseinandersetzungen um den Wechselkurs des Yuan zum Dollar sind aktuelle Probleme. Und wie eh und je gibt es die erdrückende militärische Präsenz der USA in Ostasien (Japan, Südkorea, 7. US-Flotte im Westpazifik), in Singapur und in Australien.

Ebenso schwer wiegt das Erbe der Bush-Regierung. Noch haben die USA die Militarisierung des Weltraums nicht zu den Akten gelegt. Zwar sprach sich Präsident Obama im Januar 2009 gegen einen Rüstungswettlauf im Weltraum aus, im Rüstungsetat der USA für 2010 wurden aber rund 22 Milliarden Dollar für Forschungs- und Entwicklungsprogramme zur Militarisierung des Weltraums eingestellt. Von je 100 Dollar »Weltraumausgaben« weltweit gehen rund 95 auf das Konto Washingtons – weitgehend für militärische Projekte. Zwar scheiterte das »Star Wars«-Programm Ronald Reagans, doch haben die USA seit den 90er Jahren funktionierende Satellitensysteme, über die Kämpfe und Kriege am Boden geleitet werden können, so wie in Irak, am Hindukusch oder im Grenzgebiet Afghanistan-Pakistan. Die alte »containment«-, sprich Einkreisungsstrategie der USA wird also unter enormem Kostenaufwand mit modernsten Mitteln und Methoden fortgesetzt. China ist davon direkt betroffen, denn das »Reich der Mitte« wird nun aus dem Weltraum militärisch aufgeklärt und ist zugleich von US-amerikanischem Militär direkt und indirekt umgeben. Auch unter Präsident Obama hat sich daran bislang nichts geändert.

Geändert haben sich aber – auch durch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise – globale politische und wirtschaftliche Kräfteverhältnisse. China hebt zu Recht hervor, dass es in dieser Krise seine internationale Stärke als friedens- und wirtschaftsstabilisierende Macht bewiesen habe. Die Strategie »Frieden und Entwicklung« stehe weiterhin im Mittelpunkt, woran die Erhöhung der Militärausgaben für 2010 auf 532,1 Milliarden Yuan, das sind rund 57 Milliarden Euro und 7,5 Prozent mehr als 2009, nichts ändere. Sie wird für notwendig erklärt, um die Armee aus 2,3 Millionen Soldaten zu modernisieren und die Lebensbedingungen des Militärs zu verbessern. Dabei verweist man auch darauf, dass das Militärbudget der USA für 2010 mit über 700 Milliarden Dollar etwa das Zehnfache des chinesischen beträgt.

Mit der Unterzeichnung des START-Nachfolgeabkommens in Prag und der Teilnahme Hu Jintaos am Atomgipfel in Washington verbindet Peking daher sein handfestes Interesse an einer spürbaren Reduzierung der Atomwaffen, der Durchsetzung ihrer Nichtweiterverbreitung auf politischem Wege und der Verhinderung einer Militarisierung des Weltraums.

* Aus: Neues Deutschland, 8. April 2010


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