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Schottland will Atomwaffen loswerden

Regierungschef Salmond: Bei Unabhängigkeit müssen Trident-Raketen verschwinden

Von Reiner Oschmann *

Die Debatte um eine mögliche Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich, die mit einem für den Herbst 2014 geplanten Referendum nun endgültig zum politischen Zankapfel zwischen der Zentralregierung in London und der Regionalregierung in Edinburgh geworden ist, berührt auch den Atomwaffenstatus Großbritanniens.

Die britische Atomstreitmacht in Gestalt der vier mit Trident-Raketen bestückten Vanguard-U-Boote ist derzeit ausschließlich in Schottland, auf den Stützpunkten in Coulport und Faslane nahe Glasgow stationiert. Der Chef der Regionalregierung, Schottlands Erster Minister Alex Salmond von der seit vorigen Mai mit absoluter Mehrheit regierenden Scottish National Party (SNP) hat jetzt klargestellt, dass sein Land im Falle der Unabhängigkeit kernwaffenfrei werden müsse.

In der Referendumsdebatte des Regionalparlaments befragt, ob die Regierung eines unabhängigen Schottlands mit London einen Vertrag zur Beibehaltung der Trident-Stützpunkte abschließen würde, antwortete Salmond: »Es ist unvorstellbar, dass eine unabhängige Nation von 5,25 Millionen Menschen die weitere Anwesenheit von Massenvernichtungswaffen auf ihrem Territorium dulden würde.« Kommentatoren werteten die Stellungnahme als Abfuhr Salmonds an Überlegungen hochrangiger Stellen im britischen Verteidigungsministerium. Diese sollen einen Übereinkunft vorgeschlagen haben, wonach Trident-Raketen, Kernsprengköpfe und U-Boote in Schottland bleiben könnten.

Die Kopfschmerzen, die die Unabhängigkeitsdiskussion bei britischen Militärs auslöst, widerspiegeln sich auch in den Schlussfolgerungen, die soeben eine Studie der traditionsreichen Friedensbewegung Kampagne für nukleare Abrüstung (CND) getroffen hat. Danach stehen keine praktikablen Standort-Alternativen für Coulport und Faslane anderswo in Britannien zur Verfügung. Erwogene Ausweichbasen in den englischen und walisischen Häfen Devonport, Barrow (wo die U-Boote für die Trident-Raketen gebaut werden), Portland, Falmouth und Milford Haven sind der Londoner Zeitung »The Guardian« zufolge in einer Geheimstudie des Verteidigungsministeriums bereits vor Jahrzehnten verworfen worden, als man Basen für die britischen Polaris-Atomraketen suchte, die Vorgänger der heutigen Trident-Raketen.

CND-Vorsitzende Kate Hudson erklärte zur Veröffentlichung der Studie: »Trident befindet sich in einer Sackgasse, strategisch wie ökonomisch. Jetzt können wir der Liste auch geografisch hinzufügen, nachdem Quellen im Verteidigungsministerium die Analyse der CND bestätigten, dass es für die Trident-Raketen keine Alternativbasen in Britannien gibt.«

In der jüngeren Vergangenheit hatte es, unabhängig von der jetzigen Debatte um eine etwaige schottische Unabhängigkeit vom Königreich, zunehmend Forderungen nach Verschrottung der Trident-Flotte gegeben. Die einflussreiche Denkfabrik »Institute for Public Policy Research« etwa bezweifelte in einer Analyse, dass die Kernwaffen »der kosteneffektivste Weg zur Aufrechterhaltung von Britanniens Abschreckungskraft« sind. Das Institut rief die Regierung dazu auf, einen Teil oder die gesamte Kernstreitmacht Großbritanniens bei internationalen Verhandlungen zur Kernwaffenabrüstung einzubringen.

* Aus: neues deutschland, 6. Februar 2012


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