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Obamas kernige Visionen

Jubel in Prag für Kernwaffen-Initiative / Türkei-Streit auf Gipfel EU-USA

Von Jindra Kolar, Prag *

USA-Präsident Obama hat vor tausenden begeisterten Zuhörern in Prag für die Vision einer kernwaffenfreien Welt geworben. »Zusammen können wir das schaffen«, rief er am Sonntag (5. April) unter dem Jubel der Menschen auf dem Platz vor der Prager Burg.

Nicht weniger als eine kernwaffenfreie Welt strebt Barack Obama an. Am Sonntagmorgen vor etwa 30 000 Menschen auf dem Prager Hradschin-Platz betonte er, die USA seien in der moralischen Verantwortung, für eine Reduzierung der Atomwaffen einzutreten. Er habe mit dem russischen Präsidenten Medwedjew darüber gesprochen, dass der Dialog zwischen beiden Ländern erneuert werden muss, so Obama. Man wolle eine Nachfolgevereinbarung für das START-Abkommen aushandeln, die diesmal auch in den USA ratifiziert werden soll.

Bezug nehmend auf Iran erklärte der US-Präsident, man sei zu einem weit reichenden Dialog bereit. Iran habe das Recht, Atomenergie friedlich zu nutzen und die USA wollten auch nicht intervenieren, sollte sich die Islamische Republik bereit erklären, umfangreiche Kontrollmaßnahmen der Internationalen Atomenergiebehörde zuzulassen. Dann, so Obama, entfiele auch der Grund für die Stationierung eines Raketenabwehrschildes mit Basen in Tschechien und Polen.

Ein Zeichen für die Welt, ein Zeichen auch für die tschechischen Gegner einer US-amerikanischen Radarstation, die auf dem Truppenübungsplatz Brdy errichtet werden sollte. Nach Umfragen sind mehr als 70 Prozent der tschechischen Bevölkerung gegen ein solches Raketenschild auf hiesigem Territorium, denn eine solche militärische Einrichtung ist immer auch ein potenzielles Ziel gegnerischer Raketenangriffe.

Dabei fürchteten die Friedensaktivisten nicht nur Anschläge aus islamistischen Zentren, sondern auch die Ankündigung Russlands, man werde im Falle der Errichtung der Anlagen aus Selbstschutz entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Und dass den russischen Militärs alle logistischen Daten der einstigen Verbündeten bekannt sind, ist hierzulande Binsenwahrheit. Mit dem Sturz der Topolanek-Regierung und der möglichen Übernahme der Administration durch die Sozialdemokraten wächst aber die Hoffnung, dass der Stationierungsvertrag nicht vom Prager Parlament abgesegnet wird. Trotz der hohen Sicherheitsvorkehrungen demonstrierten einige Radargegner in der Nähe des Kongresszentrums am Vysehrad gegen die geplante Stationierung einer USA-Radaranlage.

Vor seinem Auftritt auf dem Hradschin hatte sich der USA-Präsident am Morgen mit Staatspräsident Vaclav Klaus sowie dem noch amtierenden Regierungschef Mirek Topolanek getroffen. Die Begegnung war nicht nur wegen des gedrängten Terminkalenders kurz gehalten. Obama hatte sich vor seiner Europareise von der früheren, in der Tschechoslowakei geborenen Außenministerin Madeleine Albright über die politische Situation in Prag beraten lassen.

So war das Treffen auf der Burg binnen 30 Minuten beendet, auch gab es keinen gemeinsamen Auftritt vor den Versammelten auf dem Burgvorplatz: In kühler Atmosphäre betraten erst der demissionierte Regierungschef Topolanek, dann Staatspräsident Klaus das Areal - wem die Pfiffe und Buh-Rufe der Prager galten, war nicht eindeutig auszumachen.

Nach seinem Auftritt war der USA-Präsident ins Kongresszentrum gefahren, wo Topolanek das Gipfeltreffen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten eröffnete. Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte die Abrüstungsinitiative Obamas als »wichtiges Signal«. Die Bundesregierung begrüße auch seinen Vorschlag, im kommenden Jahr einen Gipfel zur nuklearen Sicherheit einzuberufen.

Obama sprach sich auf dem Gipfel für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. Präsident Nicolas Sarkozy bekräftigte dagegen den Widerstand Frankreichs gegen einen solchen Schritt. Merkel sagte, Obamas »Bekenntnis« zu einem EU-Beitritt Ankaras liege »in der Tradition der USA«. Das Grundbekenntnis einer engen Anbindung der Türkei an die EU sei wichtig und werde »auch von uns allen gutgeheißen«, betonte sie.

Der USA-Präsident erklärte die Bereitschaft seiner Regierung zu einem spürbaren Kurswechsel in der Klimapolitik. Bei der weltweiten Anstrengung im Kampf gegen den Klimawandel sei Washington » zur Führung bereit«. Es sei die Zeit gekommen, »unsere Art des Energieverbrauchs zu ändern«.

Am Nachmittag kam Präsident Obama zu einem privaten Treffen mit dem früheren tschechischen Staatspräsidenten Vaclav Havel zusammen, bevor er am Abend in die Türkei weiterreiste.

* Aus: Neues Deutschland, 6. April 2009


Traum und Trug

Von Olaf Standke **

Für viele Menschen nicht nur in den USA wurde Barack Obama nach den düsteren Bush-Jahren zum herbeigesehnten Heilsbringer. So manche Hoffnung ist inzwischen auf dem harten Boden politischer Realität zerschellt. Mit seiner Vision einer atomwaffenfreien Welt dürfte der neue USA-Präsident jedoch erneut den Nerv von Millionen getroffen haben. Ein solcher Vorschlag wäre bei seinem Vorgänger undenkbar gewesen.

Doch sollte man nicht vergessen, dass der Weg zur Verwirklichung visionärer Vorstellungen lang und steinig ist. Ein erster Schritt könnte noch in diesem Jahr das Nachfolgeabkommen mit Russland für den START-Vertrag zur Reduzierung der strategischen Offensivwaffen sein. Schon hier lauern diverse Hürden, wenn konkret ausgehandelt werden muss, welche Waffen wie zu erfassen und zu liquidieren sind. Und warum gab es vom NATO-Jubiläumsgipfel kein Signal für den Abzug der US- Kernwaffen, die auch noch 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges in Europa stationiert sind? Wo bleibt die Erklärung der Bundesregierung, endlich auf ihre »nukleare Teilhabe« zu verzichten? Ganz davon zu schweigen, dass atomare Abrüstung und die Entwicklung einer kooperativen Sicherheitssystems zwei Seiten einer Medaille sein müssen. Bei der NATO aber davon keine Rede. Ihre militärische Strategie, so der Friedensgottesdienst am Sonntag im Gipfelort Kehl, sei ethisch nicht zu rechtfertigen. Zwischen Traum- und Trugbild liegt oft nicht viel.

** Aus: Neues Deutschland, 6. April 2009 (Kommentar)


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