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Stoppschild für Kernwaffen gesucht

Nächste Überprüfungskonferenz könnte letzte Chance für wichtiges Abkommen sein

Von Wolfgang Kötter *

Im Genfer Palast der Nationen tagt seit gestern der Vorbereitungsausschuss für die nächste Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag.

In der traditionsreichen »Assembly Hall« diskutieren Vertreter der 189 Mitgliedstaaten unter Vorsitz von Wolodymyr Jeltschenko aus der Ukraine zwei Wochen lang neben organisatorischen Dingen vor allem auch die Abrüstung von Nuklearwaffen und die friedliche Verwendung der Atomenergie. Der Vertrag erlaubt zwar, die Kernenergie zivil zu nutzen, aber gerade die Stromerzeugung durch Atomkraftwerke ist ambivalent. Gewöhnlich begründen die Staaten ihre neuerliche Hinwendung zur Kernkraft mit Energienöten sowie den begrenzten Erdöl- und Gasvorkommen, auch das Umweltargument wird zuweilen bemüht. Aber das sind nicht die einzigen und zuweilen vielleicht auch nicht die wirklichen Gründe. Urananreicherung und Wiederaufbereitung abgebrannter Plutoniumbrennstäbe können sowohl für friedliche als auch für militärische Zwecke genutzt werden.

Von der Beherrschung der Nukleartechnologie und der Verfügung über den vollständigen Nuklearbrennstoff-Kreislauf bis zum Bau eines Atomsprengsatzes ist es nur ein kleiner Schritt. Die KDVR hat es demonstriert, Iran wird verdächtigt, und weitere Staaten könnten folgen. Angesichts der gegenwärtigen Militarisierung der internationalen Beziehungen, in deren Folge immer öfter militärische Gewalt angedroht und auch angewendet wird, scheint so manche Regierung unter staatlicher Souveränität »nukleare Souveränität« zu verstehen und den ursprünglichen Verzicht auf Atomwaffen neu zu überdenken. In Japan etwa entbrannte nach dem Atomwaffentest Nordkoreas im Vorjahr eine lebhafte Debatte über eine japanische »Nuklearoption«. Brasiliens Vier-Sterne-General José Benedito de Barros Moreira verlangt unverblümt, das Land müsse die technologische Kapazität für eine atomare Rüstung schaffen. Aber auch wenn die Forderung nicht ausdrücklich erhoben wird, scheint die friedliche Kernenergienutzung zunächst ein willkommener Deckmantel zu sein, um sich spätere Optionen offen zu halten.

Die Aufforderungen der Arabischen Liga und des Golfkooperationsrates, beschleunigt die Kernkraft zu nutzen, werten die Wissenschaftler Sammy Salama und Heidi Weber vom Monterey Institute for International Studies denn auch als »Appell an die arabischen Regierungen, durch nukleare Energieprogramme die Fähigkeit zu entwickeln, um künftig Atomwaffen herzustellen«. Darauf reagiert Israel seinerseits mit großer Nervosität. Gegenüber dem Atomprogramm Irans behält man sich einen präventiven Militärschlag vor. Auch der Luftangriff auf die angebliche syrische Reaktorbaustelle bei Dir as-Saur im vergangenen September zeigt das gleiche Verhaltensmuster, nach dem israelische Kampfjets 1981 den irakischen Kernreaktor Osirak zerbombten.

Das ohnehin löchrige Regime der Nichtverbreitung von Atomwaffen wird durch solche Entwicklungen weiter unterminiert und der Atomwaffensperrvertrag vollends zur Makulatur. Nicht zuletzt die etablierten Nuklearwaffenmächte tragen daran durch ihre atomare Aufrüstung erhebliche Schuld. Vier ehemalige Spitzenpolitiker der USA – die Außenminister Henry Kissinger und George Shultz, Verteidigungsminister William Perry und Senator Sam Nunn – haben aus ihrer eigenen Verantwortung für das Wettrüsten die Lehren gezogen und wiederholt zur Schaffung einer Welt ohne Atomwaffen aufgerufen: »Die immer schnellere Verbreitung von Atomwaffen, nuklearem Know-how und Nuklearmaterial hat uns zu einem atomaren Wendepunkt geführt«, warnen sie. »Wir stehen vor der sehr realen Möglichkeit, dass die tödlichsten Waffen, die jemals erfunden wurden, in gefährliche Hände fallen könnten.« Die Antworten auf diese Bedrohung halten sie für nicht adäquat, denn: »Durch die breitere Verfügbarkeit von Atomwaffen verliert die Abschreckung zunehmend an Effektivität und wird zudem selbst immer riskanter.«

Auch die Friedensforscher David Krieger und Stanley K. Sheinbaum sind davon überzeugt: »Im Endeffekt machen Nuklearwaffen uns nicht sicherer.« Zuallererst müssten die USA und Russland die Nukleargefahren reduzieren, empfehlen sie, und dann gemeinsam mit den anderen Atomwaffenstaaten alle Kernwaffen beseitigen. Jede Wahrheit, so Krieger mit Bezug auf Arthur Schopenhauer, durchlaufe drei Stufen – erst erscheine sie lächerlich, dann werde sie bekämpft, schließlich sei sie selbstverständlich: So sei auch die Wahrheit lächerlich gemacht und gewaltsam bekämpft worden, dass man die USA auf den Weg zur Beseitigung der Atomwaffen führen müsse, wenn die Menschheit eine Zukunft haben will. Nukleare Abrüstung ist heute die Ultima ratio.

Nach dem Desaster der Überprüfungskonferenz vor drei Jahren erhalten die Kernwaffenstaaten nun eine vielleicht letzte Chance, diese Wahrheit zu akzeptieren und den Nichtverbreitungsvertrag doch noch zu retten. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed El-Baradei, besitzt dafür konkrete Vorstellungen: Eine kooperative weltpolitische Sicherheitsstruktur und radikale nukleare Abrüstung, wasserdichte internationale Kontrollen sowie ausschließlich multilaterale Anreicherung und Wiederaufbereitung – das sollen die drei tragenden Säulen eines wiedererweckten Nichtverbreitungsregimes werden. Ob die Staaten sich aber zu einer solchen Kehrtwende in ihrer internationalen Politik bereit finden werden, muss bezweifelt werden. Nukleare Rüstungswettläufe in Krisenregionen jedoch wären nicht nur für die betroffenen Länder, sondern für die gesamte Welt selbstmörderisch.


Atomwaffenarsenale weltweit (2008)

Land Anzahl
Russland über 15.000
USA ca. 5.400
China 200
Frankreich 348
Großbritannien 200
Israel 200 - 400
Indien 55 - 110
Pakistan 55 - 120
KDVR 6 - 9
gesamt ca. 22.000

Quellen: Arms Control Association, Bulletin of the Atomic Scientists

Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen

(Zusammenfassung der Hauptbestimmungen)

Artikel I
Die Kernwaffenstaaten verpflichtet sich, Kernwaffen an niemanden weiterzugeben und Nichtkernwaffenstaaten weder zu unterstützen noch zu ermutigen, Kernwaffen herzustellen oder zu erwerben.

Artikel II
Die Nichtkernwaffenstaat verpflichtet sich, Kernwaffen nicht herzustellen oder zu erwerben.

Artikel III
Kontrolle durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) auf der Grundlage individueller Abkommen.

Artikel IV
Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke. Verpflichtung zum Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Artikel V
Recht auf überirdische friedliche Kernexplosionen (obsolet, da aus Umweltgründen keine mehr durchgeführt werden).

Artikel VI
Verpflichtung zu Verhandlungen über Beendigung des nuklearen Wettrüstens, nukleare Abrüstung sowie allgemeine und vollständige Abrüstung unter internationaler Kontrolle.

Artikel VII
Recht zur Bildung kernwaffenfreier Zonen.

Artikel VIII
Bestimmungen für Vertragsänderungen.

Artikel IX
Unterzeichnungs- und Ratifikationsbestimmungen.

Artikel X
Bei Gefährdung der höchsten Landesinteressen Recht auf Rücktritt nach dreimonatiger Kündigungsfrist.



Sicherungsmaßnahmen (Safeguards) der IAEA

Das Überprüfungssystem zum NVV basiert auf nationalen Deklarationen und internationaler Verifikation der nuklearen Brennstoffkreisläufe. Die Regierungen schließen mit der IAEA Abkommen ab, in denen sie sich zur Offenlegung ihrer kerntechnischen Materialien und Tätigkeiten verpflichten. Die IAEA setzt dann analytische Methoden, Umgebungsüberwachung, Satellitenbilder und Inspektionen vor Ort ein, um zu überprüfen, ob die Deklarationen korrekt und vollständig sind. Die periodisch erfolgten Inspektionen in Kernkraftwerken, nuklearen Forschungsanlagen und medizinischen Einrichtungen sollen die Übereinstimmung der gemeldeten mit den tatsächlich vorhandenen Mengen radioaktiven Materials attestieren und damit einer illegalen Abzweigung für den Bau von Atomwaffen vorbeugen. Die Kontrollen dienen zur Vertrauensbildung in das vertragskonforme Verhalten der Mitgliedstaaten bzw. als Frühwarnanlage bei entdeckten Unregelmäßigkeiten.

Das IAEA-Sicherungssystem wird seit 1997 durch ein freiwilliges Zusatzprotokoll verstärkt. Das Protokoll verpflichtet die Staaten, der IAEA umfassendere Informationen zu allen Bereichen ihrer Tätigkeiten in Bezug auf den nuklearen Brennstoffkreislauf zu liefern. Den internationalen Inspektoren werden weitgehende Zugangsrechte und die Nutzungsmöglichkeiten modernster Kontrolltechnologien einschließlich stationärer Kameras, Strahlungsdetektoren und der Entnahme von Umweltproben gewährt. Sie sind berechtigt, unverzüglich und unangemeldet jeden Ort und jede Anlage möglicher Nuklearaktivität oder Lagerstätten von Kernmaterial wie auch alle Elemente des nuklearen Brennstoffkreislaufs zu untersuchen. Bisher wurden 237 Sicherungsabkommen mit 152 Staaten abgeschlossen, das Zusatzprotokoll ist für 86 Staaten in Kraft.



* Dieser Beitrag erschien - ohne die Tabelle und Übersichten - im "Neuen Deutschland" vom 29. April 2008


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