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Atomwaffen bleiben in Deutschland - NATO bestätigt Atomwaffen-Einsatz-Doktrin

Berichte vom "geheimsten Gremium, das es in der NATO gibt" (Donald Rumsfeld) und das Abschlusskomuniquee im Wortlaut

Worum es bei der NATO-Konferenz am 9. und 10. Juni 2005 auch hätte gehen können, aber doch nicht ging, macht ein Artikel klar, der am 9. Juni in der taz erschien ("Feige vor dem Freund", Autor: Eric Chauvistré). Darin heißt es unter andrem:

Wenn heute in Brüssel die Verteidigungsminister der Nato zusammenkommen, werden sie sich zwischendurch mal flugs zur "Nuklearen Planungsgruppe" erklären. Die Minister hören sich dann einen drögen Sachstandsbericht an. Nach 30 Minuten dürfte die lästige Routine beendet sein. Dabei hatte Verteidigungsminister Peter Struck vor ein paar Wochen noch versprochen, es diesmal ein wenig interessanter zu machen. Er sei sich mit Außenminister Joschka Fischer darüber einig, das Thema der US-Atomwaffen in Europa "in den Gremien der Nato" anzusprechen, hatte Struck Anfang Mai bei einem Besuch auf dem US-Stützpunkt Ramstein erklärt. Dem Vernehmen nach hat die Bundesregierung das Thema aber nicht auf die heutige Tagesordnung setzen lassen.

Dagegen gibt es nun sanften Widerspruch auch aus den eigenen Reihen. Vertreter von SPD und Grünen erklärten gestern, bei der heutigen Sitzung müsse es auch um die US-Atomwaffen in Europa gehen. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth forderte im Gespräch mit der taz Struck indirekt auf, den Atomwaffenabzug bei der Nato zur Sprache zu bringen. "Die Tagung der Nuklearen Planungsgruppe macht es möglich, sich noch einmal sehr klar für den Abzug aller amerikanischen Atomwaffen aus Europa einzusetzen." (...)

Auch der SPD-Außenpolitiker Weisskirchen erklärte, die Frage der Atomwaffen solle im Rahmen der Nato "weiter thematisiert werden". Dabei müsse der Konsens innerhalb der Nato gesucht werden. Der SPD-Abrüstungsexperte Rolf Mützenich erklärte, er gehe davon aus, das die Bundesregierung den Abzug der Atomwaffen "im Rahmen ihrer Möglichkeiten und entsprechend ihrer Ankündigung" innerhalb der Nato-Gremien bespreche. (...)
(...)
Außenminister Fischer dürfte die Debatte an eine bittere Niederlage zu Beginn seiner Amtszeit erinnern. Im November 1998 hatte er einen Abschied vom atomaren Ersteinsatz in der Nato-Doktrin gefordert - war aber bald vom Koalitionspartner zurückgepfiffen worden. Eine entsprechende Forderung tauchte dann im zweiten rot-grünen Koalitionsvertrag 2002, anders als im Regierungsprogramm von 1998, nicht mehr auf. Diesmal ließ der Kanzler wohl Struck und Fischer frühzeitig wissen, dass auf ihre großen Ankündigungen nichts folgen soll. Durch die Forderung nach einem Atomwaffenabzug will sich Gerhard Schröder offenbar nicht seinen Auftritt Mitte Juni bei Präsident George W. Bush in Washington vermasseln lassen. "Wegen der 20 Dinger in Büchel", so wird Schröder zitiert, "verkrache ich mich doch nicht mit den Amis."

Zwei Tage vor der NATO-Tagung legte sich auch noch der Grünen-Abgeordnete und Verteidigungs-Experte Winfrid Nachtwei für den Abzug der Atomwaffen ins Zeug. Er gab folgende Presseerklärung ab:

Zur bevorstehenden Tagung der Nuklearen Planungsgruppe der Nato und zum Abzug der letzten US-Atomwaffen aus Deutschland erklärt Winfried Nachtwei, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und sicherheitspolitischer Sprecher:
Wir begrüßen den Abzug von vermutlich 130 US-Atomwaffen aus Deutschland. Auch für die restlichen zirka 20 Atomwaffen in Büchel gibt es keinerlei Rechtfertigung mehr. Dass deutsche "Tornado"-Besatzungen im Rahmen der nuklearen Teilhabe immer noch den Einsatz von Atombomben üben, ist ein Anachronismus und eine ethische Zumutung für die Soldaten: Atomwaffen sind besonders grausame und unterschiedslos wirkende Massenvernichtungswaffen.
Wir wissen und begrüßen, dass die Minister Fischer und Struck keinerlei militärischen Sinn mehr in der Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland sehen und sich für den Abzug aller US-Atombomben von europäischem Boden gemeinsam mit den Stationierungsländern einsetzen wollen.
Diesen Abrüstungskurs muss die Bundesregierung auf der bevorstehenden Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe fortsetzen und ihren Rückzug aus der technischen nuklearen Teilhabe ankündigen.
Gerade nach dem Scheitern der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags wäre das ein deutliches und konstruktives Zeichen.
(Verfasst von Winfried Nachtwei am Di, 07 Juni 2005)

Und in der Berliner Zeitung vom 9. Juni heißt es u.a.:

Die Nato will sich in der Diskussion über den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten zurückhalten. Das Thema werde bei der Sitzung der Nuklearen Planungsgruppe an diesem Donnerstag keine größere Rolle spielen, hieß es in Kreisen der Militärallianz. Es stehe nicht auf der Tagesordnung, und "ich erwarte keine radikalen Änderungen", sagte ein hoher Nato-Vertreter am Mittwoch in Brüssel. Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD) dagegen will mit seinen Amtskollegen im Bündnis über die andauernde Stationierung von US-Atombomben sprechen. (...)

Die Friedensbewegung kritisierte bereits vor der NATO-Tagung den absehbaren "Rückzieher" von Struck und Fischer. Nachdem beide lauthals verkündet hatten, das Thema in Brüssel zu Sprache bringen zu wollen, würden sie in letzter Minute "den Schwanz einziehen". Die Presseerklärung haben wir hier dokumentiert: "NATO-Tagung: Abzug der Atomwaffen aus Deutschland nicht auf der Tagesordnung".

Leider war die harsche Kritik an der Haltung der Bundesregierung nur zu berechtigt. Am 9. Juni 2005 tagte die Nukleare Planungsgruppe und verabschiedete ein Kommuniquee, in dem die herkömmliche NATO-Atomwaffeneinsatz-Doktrin bestätigt und die Präsenz von Atomwaffen in Europa ausdrücklich begrüßt wurde. Die Presseagentur AP berichtete am 9. Juni von der Sitzung:


Der Abzug der verbliebenen US-Atomwaffen aus Deutschland ist bei der NATO derzeit kein Thema. Die NATO-Verteidigungsminister erklärten am Donnerstag in Brüssel, die Allianz habe nicht die Absicht, ihr strategisches Konzept zu ändern, das einen "fundamentalen politischen Zweck in Nuklearwaffen sieht: den Erhalt des Friedens und die Vermeidung von Gewalt". Der deutsche Ressortchef Peter Struck sagte, ein Abzug der etwa in Deutschland verbliebenen US-Atomwaffen stehe nicht zur Debatte.
Er habe seine Kollegen über die Diskussion in Deutschland unterrichtet, sagte Struck nach einem Treffen der Nuklearen Planungsgruppe der NATO. Bei den Verbündeten werde die Entwicklung "sehr sorgfältig beobachtet", sagte Struck. "Aber es ist keine allgemein europäische Debatte, da muss man sich keine Illusionen darüber machen." Sollte Deutschland in dieser Frage eine andere Position einnehmen, dann nur in Gemeinsamkeit mit den anderen europäischen Staaten und den USA, betonte Struck.
Mehr wolle er zu den Beratungen in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO nicht sagen, "denn das ist das geheimste Gremium, das es in der NATO gibt". Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wollte sich zu dem Thema nicht äußern. "Die Beratungen sind geheim", sagte er nur. Auch die Diskussion in Deutschland wollte Rumsfeld nicht kommentieren.

So geheim die Beratungen auch waren, ein Abschluss-Kommuniquee mit den wichtigsten Festlegungen wurde dennoch verabschiedet und veröffentlicht:
  • In Ziffer 7 ist festgehalten, dass die Ziele der NATO-Atomwaffenpolitik (Frieden erhalten und Erpressung vorbeugen) unverändert weiter gültig sind.
  • Und Ziffer 8 sagt eindeutig, dass die in Europa stationierten Atomwaffen weiterhin eine wesentliche politische und militärische Verbindung zwischen Europa und Nordamerika darstellen.
Wir dokumentieren das Dokument im Folgenden im Wortlaut (englisch).


MINISTERIAL MEETING OF THE DEFENCE PLANNING COMMITTEE AND THE NUCLEAR PLANNING GROUP
HELD IN BRUSSELS ON THURSDAY, 9 JUNE 2005

FINAL COMMUNIQUE

1. The Defence Planning Committee and Nuclear Planning Group met in Ministerial Session on 9 June 2005.

7. At our first Nuclear Planning Group meeting with new members, we reviewed the status of NATO's nuclear forces and the work of the High Level Group and reaffirmed the continued validity of the fundamental principles governing NATO's nuclear policy and force posture as set out in the Strategic Concept, which affirms the fundamental political purpose of NATO's nuclear forces: to preserve peace and prevent coercion. Within this context, the Alliance is committed to its long-standing goal to enhance security and stability at the lowest possible level of forces consistent with its requirements for collective defence and deterrence.

8. The nuclear forces based in Europe and committed to NATO continue to provide an essential political and military link between the European and North American members of the Alliance. We noted with appreciation the continuing contribution made by the United Kingdom’s independent nuclear forces to deterrence and the overall security of the Allies, and reaffirmed the value of this capability.

9. NATO Allies have maintained a long-term commitment to nuclear arms control, disarmament and non-proliferation as an integral part of their security policy. We stressed the importance of abiding by and strengthening existing multilateral non-proliferation and export control regimes and international arms control and disarmament accords.

10. At our Nuclear Planning Group meeting, we focussed on the key matters addressed at the Nuclear Non-Proliferation Treaty (NPT) Review Conference in New York. We reaffirmed our full commitment to the NPT and to the goal of universal adherence to it. We reiterated our continuing commitment to all our obligations under this Treaty. We underlined further our commitment to reinforcing the Treaty and to ensuring full compliance by all states Parties.

11. We welcomed the decision by Libya in December 2003 and the progress since made in renouncing its clandestine nuclear weapons programme and to comply with its obligations under the NPT. We discussed the dangers inherent in the proliferation of nuclear weapons and expressed our serious concern over recent serious challenges to the NPT due to instances of non-compliance by some states, which may have negative consequences for regional stability and security. We urge all nations to work together to stop the proliferation of nuclear weapons.

12. We reaffirmed the importance of substantial and productive exchanges by nuclear experts under the auspices of the NATO-Russia Council with a view to gaining better mutual understanding, more confidence and thereby increased security. We are encouraged by the progress in these consultations and look forward to active co-operation to achieve further progress in confidence building. As part of this aim, we look forward to exchanges in future conferences as well as the programme of field demonstrations on nuclear weapon safety and security issues.


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