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Welt der nuklearen Apartheid

Bemühungen um atomare Abrüstung – Rückblick und Ausblick. Perspektiven der Nichtverbreitung von Atomwaffen

Von David Krieger*

Die USA wurden 1945 die einzige Atommacht der Welt. Unverzüglich machten sie von ihren neuen Waffen gegen die Städte Hiroshima und Nagasaki Gebrauch. Aus der Herstellung der ersten Atomwaffe ging die ganze weitere Entwicklung dieser Waffen als eine Form von nuklearer Weiterverbreitung hervor, sei es als horizontale Weiterverbreitung an andere Länder, sei es als vertikale Weiterverbreitung innerhalb eines schon im Besitz von Atomwaffen befindlichen Landes.

Viele Wissenschaftler, die an dem Manhattan Engineering Project – dem US-amerikanischen Programm zur Entwicklung der Atombombe – arbeiteten, warnten die Regierung, daß der Einsatz der Atomwaffen gegen Japan einen gefährlichen nuklearen Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion auslösen würde. Sie behielten recht. Just vier Jahre brauchte die Sowjetunion, um die Jagd nach Atomwaffen erfolgreich aufzunehmen. 1949 führte sie ihren ersten Atomwaffentest durch.

Im Vierjahreszeitraum von 1945 bis 1949 entwickelten und testeten die USA ihr nukleares Arsenal weiter, und stürzten sich damit in eine Art einseitigen nuklearen Rüstungswettlauf. Sobald die Sowjetunion 1949 ihre Atomwaffen entwickelt hatte, begann ein zweiseitiger nuklearer Rüstungswettlauf, der erst mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 90er Jahre endete.

In den anderthalb Jahrzehnten nach der Entwicklung des Atomwaffenprogramms der Sowjetunion entwickelten Großbritannien, Frankreich und China ebenfalls Atomwaffen. Um das Jahr 1967 bildeten die fünf Atomwaffenstaaten einen exklusiven Club. Sie waren die einzigen Staaten mit Atomwaffen, und sie waren alle ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats. Als solche genossen diese Länder weltweit ein beachtliches Prestige. Alle rechtfertigten sie ihr Atomwaffenarsenal mit der Abschreckung – der Drohung mit Vergeltung für einen nuklearen Erstschlagangriff –, und alle bis auf China, das sich zu »Nicht-Ersteinsatz« von Atomwaffen verpflichtet hatte, hielten sie sich die Möglichkeit offen, auf einen konventionellen Angriff mit Nuklearstreitkräften zu reagieren.

Auf dem Höhepunkt des nuklearen Rüstungswettlaufs waren insgesamt in der Welt über 60000 Atomwaffen vorhanden. Heute gibt es weltweit immer noch etwa 30000 Atomwaffen, und davon befinden sich über 95 Prozent in den Arsenalen der USA und Rußlands. Der Trend geht in die richtige Richtung, aber bisher ist das Tempo der Verringerung der Bestände quälend langsam.

Der Unwille der Atomwaffenstaaten, auf die Verfügung über Atomwaffenarsenale zu verzichten oder ihre Optionen für vertikale Weiterverbreitung aufzugeben und sich auf eine atomwaffenfreie Welt hinzubewegen, bleibt ein bedeutsamer Anreiz für horizontale Weiterverbreitung. Dies ist außerordentlich gefährlich, und zwar besonders in einer Welt, in der extremistische Gruppen die Fähigkeit zum Einsatz von Nuklearwaffen anstreben, um mächtige Staaten mit Massenzerstörung zu bedrohen.

Der Nichtverbreitungsvertrag

Mitte der 60er Jahre – als eine Folge der Kuba-Raketenkrise von 1962 – übernahmen die USA, Großbritannien und die UdSSR mit einem Vertrag zur Verhinderung der Weiterverbreitung von Atomwaffen eine Vorreiterrolle. Sie befürchteten eine bei weitem gefährlichere Welt im Falle der Verbreitung an viele Staaten. In Verhandlungen mit Nicht-Atomwaffen-Staaten stimmten sie einem Geschäft auf Gegenseitigkeit zu, demzufolge die Nicht-Atomwaffen-Staaten keine Nuklearwaffen entwickeln oder anderweitig erwerben, und die Nuklearwaffenstaaten im Gegenzug drei bindende Zusagen machen würden: Erstens den atomaren Rüstungswettlauf frühzeitig zu beenden, zweitens guten Glaubens Verhandlungen über nukleare Abrüstung aufzunehmen, und drittens die Nicht-Atomwaffen-Staaten bei der Entwicklung nuklearer Technologie für friedliche Zwecke zu unterstützen. Der Nichtverbreitungsvertrag wurde 1968 unterzeichnet und trat 1970 in Kraft.

Trotz des Zustandekommens dieses Vertrages zeigten die Atomwaffenstaaten in der Folge wenig Bereitschaft, das atomare Wettrüsten anzuhalten oder guten Glaubens in Verhandlungen über vollständige nukleare Abrüstung einzutreten. Statt dessen konzentrierten sie ihre Anstrengungen auf Teilmaßnahmen der Rüstungskontrolle wie die Verträge über Beschränkung Strategischer Waffen (SALT) und die Verträge über die Reduzierung Strategischer Waffen (START). Infolge dieser Verträge ging der nukleare Rüstungswettlauf unvermindert weiter, und es gab keine in gutem Glauben unternommenen Anstrengungen, die Atomwaffenarsenale zu beseitigen.

Hinsichtlich des dritten Teils des Geschäfts auf Gegenseitigkeit, d. h. der Unterstützung bei der Entwicklung »friedlicher« nuklearer Technologie waren die Atomwaffen-Staaten hilfreicher, insbesondere, wenn durch den Verkauf von Atomreaktoren Profite erzielt werden konnten. Das Problem mit diesem Teil des Geschäfts auf Gegenseitigkeit war, daß Atomreaktoren angereichertes Uran verbrauchten und Plutonium produzierten, das für Waffenprogramme verwendet werden konnte. Mit anderen Worten, die Programme für Atomenergie, besonders solche, bei denen Urananreicherung und Plutoniumabspaltung im Spiel waren, haben tatsächlich die Weiterverbreitung von Atomwaffen gefördert.

Im Laufe der Jahre traten viele Länder, schließlich nahezu alle dem Nichtverbreitungsvertrag bei. Doch einige blieben dem Vertrag fern, um nicht durch ihn gebunden zu sein. Darunter Israel, von dem allgemein angenommen wird, obgleich ein offizielles Eingeständnis nicht vorliegt, daß es ein Arsenal von etwa 200 oder mehr Atomwaffen entwickelt hat. Israel weigert sich weiterhin, die Existenz seines atomaren Arsenals zu bestätigen.

Auch Indien und Pakistan traten dem Vertrag nie bei. Indien machte immer eindeutig klar, daß es willens ist, die nukleare Option aufzugeben, doch nicht unter den Bedingungen einer Welt der atomaren Apartheid. Mit anderen Worten, Indien war bereit, ein Nicht-Atomwaffen-Staat in einer Welt zu sein, in der kein Staat Atomwaffen besaß, aber nicht in einer Welt, wo einige Staaten den Atomwaffenstatus sich selbst vorbehielten aber anderen einen solchen verweigerten. Indien testete eine Atomwaffe im Jahre 1974 und führte dann im Mai 1998 Tests in größerem Umfang und offen durch. Unmittelbar nach Indiens Atomtest von 1998 führte Pakistan seine eigenen Atomtests durch, womit es im Gegenzug Indien signalisierte, daß es ebenfalls die nukleare Karte spielen konnte. Indien und Pakistan, zwei rivalisierende Staaten die mehrmals wegen des umstrittenen Territoriums von Kaschmir Krieg führten, haben sich derzeit auf ein atomares Unentschieden eingelassen.

Der letzte Staat, von dem man annimmt, daß er ein kleines Atomwaffenarsenal entwickelt hat, ist Nordkorea, ein Land, das im Januar 2003 vom Nichtverbreitungsvertrag zurücktrat. Niemand ist sich sicher, daß Nordkorea tatsächlich ein nukleares Arsenal besitzt, aber es behauptet, Atomwaffen entwickelt zu haben, und es verfügt dazu in der Tat über die technologischen Fähigkeiten und über das aus seinen Atomreaktoren kommende waffenfähige nukleare Material.

Die Überprüfungskonferenz 1995

Wie im Nichtverbreitungsvertrag bestimmt, war 1995, 25 Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages, eine Überprüfungs- und Ergänzungskonferenz abzuhalten. Einige Vertragsstaaten und viele zivilgesellschaftliche Organisationen argumentierten, daß der Vertrag nicht unbegrenzt verlängert werden sollte, weil dies gleichbedeutend damit wäre, den Atomwaffen-Staaten einen Blankoscheck auszustellen, die ihre Abrüstungsverpflichtungen gemäß Vertrag nur sehr lax erfüllt hatten. Diese Staaten und Gruppen argumentierten, daß der Vertrag statt einer unbefristeten Verlängerung um weitere fünf oder zehn Jahre verlängert werden sollte mit automatischer Weitergeltung, sofern die Atomwaffen-Staaten konkrete Fortschritte bei der atomaren Abrüstung erreicht hätten.

Dank heftiger Lobbyarbeit und Ausübung von Druck durch die Vereinigten Staaten wurde der Vertrag unbefristet verlängert. Um dieses Ergebnis zu erzielen, wurden einige zusätzliche Versprechungen gemacht. Darunter folgende in dem Abschlußdokument der Konferenz aufgeführten Punkte:
  • Erstens Abschluß von Verhandlungen für einen universellen und verifizierbaren Umfassenden Teststoppvertrag nicht später als 1996;
  • zweitens sofortiger Beginn und baldiger Abschluß von Verhandlungen über einen Vertrag über das Verbot der Produktion von spaltbarem Material und
  • drittens die »entschlossene Inangriffnahme von systematischen und fortschreitenden Anstrengungen seitens der Atomwaffen-Staaten, um Atomwaffen weltweit zu reduzieren mit dem Endziel der Beseitigung dieser Waffen ...«
Das Dokument nimmt auch auf die Sicherheitsratsresolution 984 (1995) Bezug, die Sicherheitsgarantien für Nicht-Atomwaffen-Staaten vorsieht und weitere Schritte fordert, die »international rechtlich verbindlich« sein sollen.

Wenngleich die internationale Gemeinschaft es 1996 schaffte, einen Umfassenden Teststoppvertrag (CTBT) fertigzustellen und zur Unterzeichnung aufzulegen, verlangt dieser Vertrag die Ratifikation durch alle nuklearfähigen Staaten. Zur Stunde sind es immer noch ein Viertel der 44 in diese Kategorie fallenden Staaten, die nicht ratifiziert haben. Die Vereinigten Staaten waren die ersten, die den Vertrag unterzeichneten, aber 1999 verweigerte der US-Senat die Ratifizierung, und die Bush-Administration steht dem Vertrag ablehnend gegenüber und hat ihn dem Senat nicht wieder vorgelegt.

Die Gegnerschaft der Bush-Regierung gegen den CTBT ist am ehesten verständlich mit Blick auf ihr Interesse an der Entwicklung eine neuen Generation von Atomwaffen wie »Bunkerbrechern« und niedrig strahlenden Atomwaffen. Verstärkend kommen die Bemühungen der Administration hinzu, die Zeit, die für die Wiederaufnahme der Atomversuche benötigt wird, von 36 auf 18 Monate zu verkürzen, womit sie zu verstehen gibt, daß sie sich die Möglichkeit des Bruchs des gegenwärtigen Moratoriums für unterirdische Atomversuche offenhält.

Im Rahmen der UN-Abrüstungskonferenz gab es keine Verhandlungen über einen Vertrag über die Einstellung der Produktion von spaltbarem Material. Noch gab es irgendwelche Anstrengungen für rechtlich verbindliche Garantien gegen den Einsatz von Atomwaffen gegen Nicht-Atomwaffen-Staaten. Bei diesem Mangel an Fortschritten kann schwerlich davon die Rede sein, daß es seitens der Atomwaffen-Staaten eine »entschlossene Inangriffnahme ... systematischer und fortschreitender Anstrengungen« für atomare Abrüstung gegeben hat. Tatsächlich stellt das dem Kongreß Ende 2001 zugeleitete geheime Dokument zur Überprüfung der Atomstrategie der Bush-Regierung (Nuclear Posture Review) fest, daß die US-Atompolitik auch die Möglichkeit einer atomaren Reaktion auf einen nicht-atomaren Angriff gegen die USA oder ihre Verbündeten einschließt.

NPT-Überprüfungskonferenz 2000

Bei der NPT-Überprüfungskonferenz im Jahre 2000 einigten sich die Vertragsstaaten im Konsens auf 13 praktische Schritte für atomare Abrüstung. Dies galt als ein wichtiger Schritt auf dem Wege hin zu Atomabrüstung. Die einzelnen Schritte umfaßten ein baldiges Inkrafttreten des Umfassenden Teststoppvertrages sowie eines Vertrages über die Einstellung der Produktion von spaltbarem Material, die Schaffung eines nachgeordneten Gremiums der Abrüstungskonferenz für die Behandlung von Angelegenheiten der atomaren Abrüstung, die Aufrechterhaltung und Verstärkung des Antiraketenvertrages, die Anwendung des Prinzips der Nichtrückgängigmachung auf die atomare Abrüstung und eine »unzweideutige Zusage der Atomwaffen-Staaten, die totale Beseitigung ihrer Atomarsenale zu vollenden …«

Leider haben die Atomwaffen-Staaten diese Schritte nicht ernst genommen. In der Weltgemeinschaft sind die Vereinigten Staaten das Land, das am wenigsten darauf eingegangen ist, indem es für nahezu alle diese Schritte Hindernisse aufgebaut hat. Die USA widersetzten sich dem Umfassenden Teststoppvertrag, widersetzten sich einem verifizierbaren Vertrag zur Einstellung der Produktion von spaltbarem Material, widersetzten sich einem nachgeordneten Gremium zur Behandlung der atomaren Abrüstung in der Abrüstungskonferenz, gaben den Antiraketenvertrag auf, womit sie die atomare Abrüstung in diesem einen Vertrag mit Rußland völlig rückgängig machten.

Der 2002 zwischen USA und Rußland geschlossene Vertrag über die Reduzierung von strategischen Offensivwaffen (SORT) fordert den Abbau der einsatzfähigen strategischen Atomwaffen bis zum Jahr 2012 von jeweils etwa 6000 auf etwa 2000, sieht aber weder Bestimmungen für die Zerstörung dieser Waffen vor, noch macht er die Reduzierungen auf andere Weise irreversibel. Nach 2012 endet der Vertrag mit keinen weiteren Einschränkungen des Umfangs der atomaren Arsenale. In gewisser Hinsicht könnte dieser Vertrag sogar die Weiterverbreitung fördern, indem er beiden Seiten erlaubt, viele atomare Gefechtsköpfe in Reserve zu halten, wodurch diese potentiell anfälliger für Diebstahl durch extremistische Gruppen werden.

Die jüngste NPT-Überprüfungskonferenz von 2005 endete ohne Fortschritt und ohne ein Abschlußdokument, das auch nur ein bescheidenes Maß an Übereinstimmung demonstriert hätte. Die USA widersetzten sich jeder Erwähnung der 13 Praktischen Schritte für Atomare Abrüstung in der Tagesordnung der Konferenz, womit sie den Eindruck hinterließen, die Geschichte umschreiben und jede Erinnerung an den Fortschritt im Jahre 2000 auslöschen zu wollen.

Die ursprüngliche Absicht des Nichtverbreitungsvertrages war, die Weiterverbreitung zu stoppen und durch atomare Abrüstung die Atompolitik der doppelten Standards zu beenden. Die Atomwaffen-Staaten haben jedoch weitgehend klargemacht, daß sie sich eher an zweierlei Standards gebunden fühlen als an die Erfüllung ihrer Verpflichtungen zu atomarer Abrüstung.

Doppelte Standards der Atompolitik

In dem Versuch, die Weiterverbreitung zu unterdrücken und dabei die doppelten Standards in der Atompolitik beizubehalten, hat George W. Bush eine Initiative für Sicherheit gegen Weiterverbreitung (PSI) ergriffen, die er zuerst in Krakau am 31. Mai 2003 ankündigte. Eine Pressemitteilung des Weißen Hauses beschrieb die PSI als »eine breite internationale Partnerschaft von Ländern, die ihre Aktionen bei Anwendung ihrer eigenen Gesetze und Ressourcen koordinieren, um den Transport von gefährlichen Technologien zu und von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren, die Anlaß zu Proliferationsbedenken geben, zu unterbinden – zu Wasser, zu Lande und in der Luft.« Zu den ursprünglichen Mitgliedern der PSI gehörten nur europäische Staaten, Australien und Japan und die drei westlichen Atomwaffen-Staaten USA, Großbritannien und Frankreich. Eine »Erklärung über Prinzipien der Einschränkungen« der PSI wurde am 4. September 2003 angenommen. Das an erster Stelle genannte Schlüsselprinzip ist: »Ergreifen von wirksamen Maßnahmen, entweder allein oder in Abstimmung mit anderen Staaten, um die Übertragung oder den Transport von Massenvernichtungswaffen, ihrer Trägersysteme und diesbezüglicher Materialien an und von Staaten und nicht-staatliche Akteure zu unterbinden, die Anlaß zu Proliferationsbedenken geben.«

Am 28. April 2004 beschloß der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1540, die die Staaten auffordert, »sich der Gewährung von jeder Form von Unterstützung an nichtstaatliche Akteure zu enthalten, die versuchen, atomare, chemische oder biologische Waffen und ihre Trägermittel zu entwickeln, zu erwerben, herzustellen, in Besitz zu nehmen, zu transportieren oder einzusetzen«. Die Resolution fordert die Staaten auch auf, innerstaatliche Kontrollen ebenso wie Grenz-, Export- und Transitkontrollen einzurichten, um die Verbreitung von atomaren, chemischen oder biologischen Waffen und ihrer Trägermittel zu verhindern.

Die Resolution 1540 bringt eigentlich das Bemühen des Sicherheitsrats zum Ausdruck, die Sicherheitsinitiative gegen Weiterverbreitung durch die Einführung von Kontrollen gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu unterstützen. Die Sicherheitsinitiative gegen Weiterverbreitung, ihre Erklärung über Verbotsprinzipien und die Sicherheitsratsresolution 1540 streben alle an, Weiterverbreitung mit den Mitteln der internationalen Zusammenarbeit und, falls nötig, unter Gewaltanwendung zu verhindern. Damit wird implizit gesagt, daß die doppelten Standards der Atompolitik aufrechterhalten bleiben, da die Dokumente keinerlei Bezug auf die gegenwärtigen Atomwaffen-Arsenale oder die Notwendigkeit ihres Abbaus enthalten.

Für die internationale Gemeinschaft und jeden denkenden Menschen stellt sich die entscheidende Frage, ob Weiterverbreitung in einer Welt verhindert werden kann, die aus »Besitzenden« und »Habenichtsen« besteht. Diejenigen, die die Initiativen der doppelten Standards vertreten, scheinen zu glauben, daß sie atomare Weiterverbreitung aufhalten können, während sie selbst weiterhin in Sicherheitsfragen auf atomare Waffen setzen. Dabei gibt es in dieser Logik keinen Spielraum für unvermeidliche Irrtümer und Fehleinschätzungen.

Null Toleranz

Solange Atomwaffen und nukleares Material in der Welt existieren, besteht die Möglichkeit, daß sie an andere Staaten oder nichtstaatliche Akteure weiterverbreitet werden. Bei nichtstaatlichen extremistischen Gruppen ist die Aussicht auf Abschreckung durch die Mittel der vergeltenden Gewaltanwendung gleich Null.

Je mehr atomare Waffen in der Welt sind, umso größer ist die Möglichkeit, daß einige von extremistischen Gruppen erworben werden können. Je weniger atomare Waffen in der Welt sind, je weniger waffenfähiges nukleares Material vorhanden ist und je besser die internationalen Kontrollen funktionieren, desto weniger wahrscheinlich ist es, daß diese Waffen in die Hände extremistischer Gruppen fallen.

Null Toleranz erfordert null Atomwaffen und die Einhaltung internationaler Kontrollen. Sie erfordert die Umsetzung der Abrüstungsverpflichtungen in Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages. So betrachtet, können PSI und Sicherheitsratsresolution 1540 als Trostpflaster gelten, vielleicht beruhigend wirkend, aber wahrscheinlich ungeeignet zur Lösung des Problems.

Irak, Iran und Nordkorea

In seiner Rede zur Lage der Nation 2002 nannte George W. Bush Irak, Iran und Nordkorea eine »Achse des Bösen«. Diese Staaten waren mit einigen anderen bereits in dem US-amerikanischen Atomstrategiepapier (Nuclear Posture Review) als Staaten aufgetaucht, gegen die die USA Eventualpläne für den Einsatz von Atomwaffen erarbeiteten. 2002 begann das Gerede von Bush und anderen Regierungsvertretern über den Irak, der Massenvernichtungswaffen, einschließlich Atomwaffen, habe. Danach fielen die USA in den Irak ein, entfesselten einen Angriffskrieg gegen das Land und benutzten zur Rechtfertigung teilweise das Argument der atomaren Nichtverbreitung.

Im Laufe der von den USA angeführten Invasion und Besatzung des Irak wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Sicher hat der Krieg gegen den Irak anderen Ländern die Erkenntnis vermittelt, daß Atomwaffen für sie nützlich sein könnten, um einen US-Angriff zu verhindern. Dies legt die Annahme nahe, daß Atomwaffen zwar für einen mächtigen Staat nicht besonders nützlich sein mögen, diese aber für einen schwächeren Staat Abschreckungswert hätten, um den Angriff eines mächtigeren Staates zu verhindern. Dies könnte die Lehre sein, die sowohl Iran wie Nordkorea gezogen haben.

Im Falle von Nordkorea hat sich das Land aus dem Nichtverbreitungsvertrag zurückgezogen, die Wiederaufarbeitung von verbrauchtem Brennmaterial zur Gewinnung von Plutonium aufgenommen und behauptet, ein kleines Arsenal von Atomwaffen entwickelt zu haben. Seit mehreren Jahren haben Sechsergespräche zwischen den USA, Nordkorea, Südkorea, China, Japan und Rußland stattgefunden. Die nordkoreanischen Unterhändler haben klargemacht, daß sie Sicherheitsgarantien und Entwicklungshilfe der USA im Austausch gegen die Aufgabe ihres Atomprogramms und die Rückkehr zum NPT anstreben. Nach mehrjährigen Verhandlungen ist wenig Fortschritt erzielt worden, obwohl es den Anschein hat, daß die von den Nordkoreanern gestellten Bedingungen vernünftig sind.

Anreize zur Weiterverbreitung

Es gibt viele Länder, die atomare Arsenale entwickeln könnten aber entschieden haben, dies nicht zu tun. Darunter sind Kanada, Schweden und Japan. Entsprechende Entscheidungen Kanadas und Schwedens erfolgten schon früh im Atomzeitalter. Japan ist ein gutes Beispiel für eine potentielle Atommacht. Es hat die technologischen Fähigkeiten, Atomwaffen herzustellen und Tonnen von dazu benötigtem wieder aufbereiteten Plutonium, aber es hat diese Option bisher ausgeschieden, da es gegenwärtig unter dem Atomschirm der USA lebt. Wie Nordkorea mit seinem Atomwaffenarsenal und seiner Raketentechnologie weiter verfährt, dürfte eine Schlüsselrolle dabei spielen, ob Japan sich entschließt, dem Atomclub in späteren Jahren beizutreten.

Einige Staaten haben Atomwaffen entwickelt oder erhalten und sie wieder aufgegeben. Tatsächlich entwickelte Südafrika ein kleines Atomwaffenarsenal und zerstörte es wieder kurz vor dem Ende der Apartheid. Die Ukraine, Belarus und Kasachstan erbten Atomwaffen, als die Sowjetunion auseinander brach, aber stimmten zu, alle ihre atomaren Waffen zur Demontage an Rußland zu übertragen. Brasilien und Argentinien hatten Atomprogramme und waren auf dem Wege, Atomwaffen herzustellen, aber gaben diese Programme wieder auf.

Zu den Hauptanreizen für Weiterverbreitung gehören Bedrohungen durch einen Atomangriff, Bedrohungen durch einen konventionellen Angriff eines mächtigeren Staates und nationales Prestige. Diese Anreize lassen erkennen, daß Atomwaffen den Zwecken der Schwachen mehr dienen als denen der Starken. Sie lassen erkennen, daß starke Staaten ihren nationalen Sicherheitsinteressen und ihren Bürgern besser dienen würden, indem sie auf dem Weg zu atomarer Abrüstung vorangingen, statt sich an ihr Atomarsenal zu klammern. Gerade dadurch, daß sie sich auf ihre eigenen Atomarsenale stützen, liefern die Atomwaffenstaaten anderen Staaten Anreize, sich ihnen im Atomclub anzuschließen. Ein Zweiklassensystem von atomaren »Besitzenden« und »Habenichtsen« ist letztlich unstabil und unhaltbar.

(Übersetzung: Klaus von Raussendorff)

* Der US-Amerikaner Dr. David Krieger, Jurist und Richter, ist Gründer und Präsident der Nuclear Age Peace Foundation und stellvertretender Vorsitzender von INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility)

Im Rahmen des Einsteinjahres 2005 findet vom 14.–16.10. in der Berliner Urania ein internationaler Kongreß zum Thema »Einstein weiterdenken. Wissenschaft-Verantwortung-Frieden« statt (www.einstein-weiterdenken.de). Für weitere Informationen: Kongressankündigung auf unserer Termin-Seite.



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