Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vollständige Abrüstung notwendig

Friedensbewegung fordert Abzug der US-Atombomben aus Fliegerhorst Büchel

Von Ralf Wurzbacher *

Mit vielfältigen Veranstaltungen im ganzen Bundesgebiet erinnert die deutsche Friedenbewegung vom heutigen Mittwoch bis zum Wochenende an die Opfer der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki vor 63 Jahren. Angesichts der aktuellen Bedrohung durch weltweit Tausende einsatzbereiter Atomwaffen fordern der Bundessausschuß Friedenratschlag sowie die Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei« die vollständige Abrüstung und als ersten Schritt den Abzug aller auf deutschem Boden lagernden Atomwaffen. In diesem Zusammenhang mobilisieren Aktivisten seit Monaten zu einer Großdemonstration am 30. August nach Büchel in der Eifel. Auf dem nahegelegenen Fliegerhorst der Bundeswehr verwahrt die US Airforce vermutlich noch 20 Atombomben.

Nach neuesten Erhebungen umfassen die Arsenale der Atommächte heute rund 26000 nukleare Sprengköpfe, so Peter Strutynski vom Kasseler Friedenratschlag. Dies stelle einen »eklatanten Verstoß« gegen den vor 40 Jahren unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag dar, erklärte er gegenüber jW. Man wolle den runden Jahrestag bei den anstehenden Gedenkveranstaltungen deshalb zum Anlaß nehmen, die Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit herauszustreichen. Das 1968 von den damals fünf Atommächten unterzeichnete und heute von knapp 190 Staaten anerkannte Abkommen verpflichtet die Beteiligten zur schrittweisen Reduzierung der Bestände und zur Nichtverbreitung der Technologie.

Der Vereinbarung zum Trotz sind die Kontingente größer, die Atommächte mehr und die Techniken zerstörerischer geworden. Der Friedenratschlag verweist insbesondere auf die Entwicklung sogenannter Mini-Nukes und bunkerbrechender Atomwaffen, wie sie die USArmy im »Kampf gegen den Terror« einsetzen will. Die kleinsten dieser Waffen hätten »immer noch etwa so viel Sprengkraft wie die Hiroshima-Bombe«, heißt es in einer Erklärung. Die Bombenabwürfe über Hiroshima am 6. und über Nagasaki am 9. August 1945 löschten in kurzer Zeit 200000 Menschenleben aus, Unzählige erlitten grausame Verletzungen und noch heute sterben Betroffene an den Spätfolgen der nuklearen Strahlung.

Strutynski warnte im jW-Gespräch vor einer »neuen atomaren Aufrüstungsspirale«. Angesichts immer kleinerer, vermeintlich hochpräzise wirkender Sprengkörper sinke die Hemmschwelle, die Waffen einzusetzen. Außerdem strebten »atomare Habenichtse« verstärkt nach der Bombe, je mehr vor allem die USA mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen liebäugeln. »Die Großmächte müssen endlich mit ernsthaften Abrüstungsschritten beginnen, dann nehmen auch die Begehrlichkeiten der Kleinen ab«, mahnte Strutynski.

Mit großer Sorge beobachtet Tobias Pflüger, Mitglied der Linksfraktion im Europaparlament, die Renaissance der »zivilen« Atomenergie, »nicht nur wegen der Unmengen an strahlendem Atommüll«. Damit wachse immer auch die Gefahr einer militärischen Nutzung, äußerte er am Dienstag. Atomwaffen seien zu einem »integralen Bestandteil der Militärplanung insbesondere westlicher Staaten geworden«. Pflüger verwies auf Äußerungen fünf hoher ­NATO-Generäle sowie des Briten Robert Cooper, der den EU-Außenbeauftragten Javier Solana berät. Sie alle hätten den Ersteinsatz von Atomwaffen auch gegen atomwaffenfreie Länder entweder gefordert oder immerhin erwogen. Auch auf wiederholtes Nachfragen im Auswärtigen Ausschuß und im EU-Plenum habe sich Solana nicht von dieser Haltung distanziert.

Deutschland selbst mischt über die sogenannte »nukleare Teilhabe« in der Atomwaffenpolitik der USA mit. Mit Einverständnis der Bundesregierung bunkert die US-Armee im rheinland-pfälzischen Büchel wahrscheinlich 20 Atomsprengköpfe. Erst kürzlich waren Ergebnisse einer internen Studie der US-Luftwaffe an die Öffentlichkeit gedrungen, wonach ihre europäischen Atomwaffenlager nicht den minimalen Sicherheitsanforderungen des Pentagon entsprechen.

Die von knapp 50 Initiativen und Verbänden unterstützte Kampagne »unsere zukunft – atomwaffenfrei« warnt entsprechend auch vor einem »Atomkrieg aus Versehen« und ruft für den 30. August unter dem Motto »Vor der eigenen Türe kehren« zur Großdemo nach Büchel. Das Bündnis verlangt den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland bis 2010. Abgesehen von der Union unterstützen alle der noch im Bundestag vertretenen Parteien diese Forderung.

* Aus: junge Welt, 6. August 2008

Appell für eine Welt ohne Nuklearwaffen

Auch heute, im 21. Jahrhundert, werden Frieden und Sicherheit der Welt von 26000 nuklearen Waffen bedroht. Wie die Tragödien von Hiroshima und Nagasaki beweisen, vernichten nukleare Waffen blitzartig unzählige Leben, foltern künftige Generationen und ruinieren Zivilisationen.

Die Hibakusha – die Überlebenden der Atombomben – werden nicht müde darauf hinzuweisen, dass die Menschheit nicht gleichzeitig mit nuklearen Waffen existieren kann. Wir dürfen nie wieder Opfer nuklearer Waffen zulassen. Im Namen der Menschheit und für die Zukunft unserer Kinder: Lasst uns durch unsere Aktionen und unsere Aktivität eine Welt ohne nukleare Waffen schaffen!

Angesichts der für 2010 einberufenen NPT-Konferenz (Nuclear Non-Proliferation Treaty – Atomwaffensperrvertrag) rufen wir die Nuklearmächte auf, die einmütigen Erklärungen vom Mai 2000 zu beherzigen und die nuklearen Waffen zu eliminieren.

Wir rufen die Staaten, die Nuklearwaffen besitzen, und alle anderen Regierungen auf, sich zu Verhandlungen mit dem Ziel eines Vertrages zu verpflichten, durch den ohne Verzögerung nukleare Waffen verbannt und vernichtet werden.

Dieser Appell wurde am 6. August in Hiroshima offiziell verlesen mit dem Ziel, darunter Millionen von Unterschriften zu sammeln, die im Frühjahr 2010 in New York zu Beginn der Konferenz über den sogenannten Atomwaffensperrvertrag überreicht werden sollen.




Atomares Inferno

Am 6. August 1945 zündeten die USA über Hiroshima die erste Atombombe.

Zum Jahrestag treffen sich in der japanischen Großstadt Friedensaktivisten aus aller Welt


Von Manfred Sohn, Hiroshima *

Sonnig und schwül ist es im August in Hiroshima. Das war so 1945, als die USA diese Stadt, die sie bis dahin als einzige japanische Großstadt von Luftangriffen verschont hatten. Als dort am 6. August um 8.15 Uhr in 580 Meter Höhe die erste Atombombe gezündet wurde, verloren innerhalb des Bruchteils einer Sekunde rund 100000 Menschen ihr Leben. Weitere 40000 starben unter fürchterlichen Qualen bis Ende jenes Jahres. Seitdem kommen jedes Jahr 5000 bis 10000 Opfer hinzu, die an Leukämie oder Krebs litten. Die Bombe, die damals gezündet wurde, tötet bis heute.

Seit 1954 ruft das japanische Friedenskomitee jeweils zum Jahrestag des Atombombenabwurfs zu einer mehrtägigen Friedenskonferenz auf, die zunächst in Hiroshima, dann in Nagasaki stattfindet, auf das die USA drei Tage später, am 9. August 1945, eine zweite Bombe abgeworfen hatten. Die Konferenz besteht aus drei Teilen. Zunächst versucht eine internationale Versammlung, die wichtigsten Aufgaben abzustimmen, um trotz aller Widerstände dem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen näherzukommen. In einem zweiten Schritt wird die Konferenz erweitert um Vertreter von Friedensgruppen aus ganz Japan – dieses Jahr weit über 6000. Höhepunkt ist eine Großkundgebung am Morgen des 6. August.

Diese Tage von Hiroshima sind traditionell ein Jahrestreffen von Abgesandten aus Friedensiniativen der ganzen Welt – dieses Jahr sind 32 Länder vertreten. Besonders herzlich begrüßt wurden Vertreter von sieben Regierungen, die sich für eine atomwaffenfreie Welt stark nachen – unter anderem aus Venezuela, Kuba, Ecuador, Ägypten und Norwegen.

Die gegenwärtige Situation wurde sowohl im Plenum als auch in den Arbeitsgruppen als hoch widersprüchlich eingeschätzt. Einerseits breitet sich nahezu weltweit die Erkenntnis aus, daß nukleare Waffen eliminiert werden müssen. Die Zahl der Staaten, die sich für atomwaffenfrei erklären, wächst. Gleichzeitig hat im letzten Jahrzehnt auch die Zahl der Staaten zugenommen, die Atomwaffen besitzen. Und die USA haben sich mehrfach öffentlich zu ihrem angeblichen Recht auf einen atomaren Erstschlag bekannt – selbst gegenüber Staaten wie Iran, die gar keine solche Waffen besitzen. Die reale Gefahr, daß ganze Städte wie Hiroshima im atomaren Inferno untergehen, ist also seit dem Ende des Kalten Krieges nicht geringer, sondern größer geworden.

Die Massenmobilisierung außerhalb Japans wird durch zwei Probleme erschwert. Zum einen verschwinden die Zeitzeugen, die die Mahnungen der Geschichte authentisch weitergeben können. Anders als in Japan, wo das Andenken auch von offizieller Seite gepflegt wird, ohne das die tausendfache Teilnahme an den jährlichen Hiroshima-Konferenzen schwer zu erklären wäre, verlischt in vielen Ländern langsam die Erinnerung an das Grauen von Hiroshima und Nagasaki. Zweitens konzentrieren sich – völlig verständlich – die meisten Friedensgruppen auf die aktuellen Bedrohungen des Friedens: In den USA ist es der Krieg im Irak, in Deutschland der Krieg in Afghanistan.

Es besteht daher weltweit große Einigkeit: Es muß der Bewegung gegen Atomwaffen gelingen, sich noch stärker als bisher mit anderen humanistischen Initiativen zu verbinden. Das beschränkt sich nicht auf die Friedensgruppen – große Hoffnung richtet sich hier in Hiroshima auf die weltweite Gewerkschafts-, Frauen- und Ökologiebewegung. Es ist eine Art verzweifelte Hoffnung. Jeder hier weiß: »Time is running out.« Eine Welt, deren Bereitschaft zum Krieg wächst und gleichzeitig 26000 Atomwaffen besitzt, wird irgendwann eine von ihnen einsetzen. Wer beharrlich Hiroshimas jährliche Warnung überhört, den wird Hiroshimas Schicksal ereilen.

* Aus: junge Welt, 6. August 2008


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