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Wir kaufen Hanau

Presseinformation der IPPNW - Und ein Kommentar: "Geld statt Politik?"

Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung der IPPNW, womit diese eine Kampagne vorstellt, die darauf hinausläuft, die Hanauer Atomfabrik für 50 Mio EUR anzukaufen, damit sie nicht nach China verkauft wird. Die taz hat am selben Tag, an dem die IPPNW die Aktion vorstellte, bereits exklusiv einen Artikel dazu veröffentlicht. Auch diesen Artikel können Sie hier lesen.
Im Anschluss daran - wir können es uns ausnahmsweise nicht verkneifen - folgt ein Kommentar zu dieser Aktion.



Presseinformation

Mit dabei Hermann Scheer, Winfried Nachtwei, Andrea Nahles, Hans-Christian Ströbele, Konstantin Wecker, Peter Sodann, Erich Loest, Martin Buchholz, Angelika Zahrnt (BUND), Greenpeace und weitere

Wir kaufen Hanau

Berlin, den 26.02.04 Prominente und Politiker machen Siemens das bessere Angebot. Sie wollen die Hanauer Plutoniumfabrik für 50 Millionen und einen Euro kaufen bevor sie nach China geht. China bietet bloß 50 Millionen Euro. "Wir wissen nicht, was China mit der Apparatur machen wird. Auf irgendwelche Garantien gebe ich gar nichts", sagt Schriftsteller Erich Loest.

Die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) haben die Initiative "Hanau selber kaufen" heute gestartet, weil die Anlage der chinesischen Regierung helfen würde, große Mengen atomwaffenfähiges Plutonium zu produzieren. Und China hat bereits Pakistan und dem Iran bei ihren illegalen Atomwaffenprogrammen geholfen. "Das ganze Plutonium hinterher in der Welt wieder einzusammeln ist schier unmöglich, deshalb bieten wir jetzt einen Euro mehr und verschrotten die Atomfabrik,." sagt Ute Watermann, Sprecherin der IPPNW.

Auch Bundestagsabgeordnete der Regierungsparteien wollen ins Atomgeschäft um Hanau einsteigen, um den Ausstieg sicherer zu machen. "Die Regierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie muss das Atomgeschäft untersagen. Die Zusammenarbeit mit China muss sich auf die Mobilisierung erneuerbarer Energien beziehen.", fordert SPD-Fraktionsmitglied Hermann Scheer. Der sicherheitspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion Winfried Nachtwei erklärt: "Der Export der Anlage wäre sicherheitspolitisch verantwortungslos. Die für alle beste Alternative ist die Verschrottung der Anlage. Dazu will ich politisch und privat beitragen". Sein Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele denkt darüber nach, "den Restschrott weltweit in kleinen Stücken zu verkaufen, wie die Berliner Mauer".

Die IPPNW-Initiative, die vom BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz), Greenpeace und dem BBU (Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz) unterstützt wird, sucht weitere Mitkäufer. "Man kann doch die Doppelzüngigkeit der Regierung nicht mitmachen. Auf der einen Seite schalten wir ab, auf der anderen Seite verkaufen wir nach China", sagt Peter Sodann, Tatortkommissar und Intendant des Neuen Theaters in Halle. Weitere Informationen finden Sie auf der Website www.hanauselberkaufen.de.


Tatort Hanau:

Kommissar Ehrlicher greift ein

Der Schauspieler Peter Sodann und viele weitere Prominente wollen die Hanauer Atomanlage kaufen und so deren Export nach China verhindern. "Ärzte gegen den Atomkrieg" sammeln ab heute Geld und wollen Siemens unschlagbares Angebot machen

BERLIN taz Um den Export der Hanauer Nuklearfabrik nach China zu verhindern, startet die Organisation Internationale Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) eine außergewöhnliche Aktion: Sie will die Atomanlage selbst kaufen, um sie anschließend sicher zu entsorgen.

Ab heute ruft IPPNW Kritiker des Chinageschäfts dazu auf, sich per Internet zur Zahlung einer beliebigen Geldsumme zu verpflichten. Fällig wird das Geld nur dann, wenn der Kaufpreis auch zusammenkommt. Um China im Preiskampf auszustechen, sind mindestens 50 Millionen und 1 Euro notwendig. Dazu kommen noch einmal 20 Millionen für die sachgerechte Entsorgung.

Schon jetzt unterstützen Prominente und Politiker die Aktion. Der Schauspieler und Hallenser Theaterintendant Peter Sodann ("Tatort"-Kommissar Bruno Ehrlicher) will die "Doppelzüngigkeit der Regierung" nicht mitmachen: "In der DDR habe ich lange genug in einem System gelebt, in dem es zwei Wahrheiten gab", sagte er der taz.

Liedermacher Konstantin Wecker ist von der Aktion begeistert und gibt Geld: "Die Idee sollte Schule machen. Wir sollten irgendwann alle Atomwaffen aufkaufen und entsorgen."

Der Schriftsteller Erich Loest fürchtet, dass die Apparatur außer Kontrolle gerät: "Wir wissen nicht, was China damit machen wird. Auf irgendwelche Garantien gebe ich gar nichts." Bei der Aktion dabei sind außerdem der Kabarettist Martin Buchholz, Professor Klaus Traube und das Comedy-Duo Badesalz.

Auch aus der Politik erhalten die Ärzte gegen den Atomkrieg für ihre Aktion Unterstützung. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Träger des Alternativen Nobelpreises, Hermann Scheer, wendet sich gegen die eigene Regierung: "Die Regierung darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Sie muss das Atomgeschäft verhindern."

Winfried Nachtwei von den Grünen sieht den deutschen Atomausstieg konterkariert: "Die für alle beste Alternative ist die Verschrottung der Anlage. Dazu will ich politisch und privat beitragen."

Andere potenzielle Geldgeber sind Hans-Christian Ströbele (Grüne), Andrea Nahles (SPD) und die Chefin der BUND-Umweltschützer, Angelika Zahrnt. Auch Greenpeace macht mit." KLH

Aus: taz vom 26. Februar 2004

Weitere Pressemeldungen:
"Friedensbewegung in den Medien" - 27. Februar 2004

Geld statt Politik?

Ein Kommentar zwischen Karneval und 1. April

Beginnen wir mit dem Positiven: Es ist gut, wenn eine Friedensorganisation mit einem wichtigen Anliegen in die Schlagzeilen kommt. Die Aktion "Hanau selber kaufen" wurde exklusiv am 26. Februar in der Berliner taz vorgestellt , einen Tag später machte die Kunde die Runde in zahlreichen anderen Zeitungen (die Frankfurter Rundschau bestrafte die Vorausberichterstattung in der taz damit, dass sie nicht berichtete). Die Idee ist auf den ersten Blick bestechend und zudem medienwirksam in Szene gesetzt worden. Dies garantieren unter anderem zahlreiche "Promis" (Bewegungs-Jargon) aus der Schauspielzunft, Musiker, Schriftsteller und eine Reihe Bundestagsabgeordneter, die sich noch einen Rest Bewegungsnähe bewahrt haben oder diese Nähe neuerdings wieder suchen.

Ein wenig ins Grübeln geriet ich beim Lesen der inhaltlichen Begründung für die spektakuläre Aktion. Eine Export nach China müsse unbedingt verhindert werden, "weil die Anlage der chinesischen Regierung helfen würde, große Mengen atomwaffenfähiges Plutonium zu produzieren. Und China hat bereits Pakistan und dem Iran bei ihren illegalen Atomwaffenprogrammen geholfen." Das ist wahr, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Ist nicht gerade in dem Prozess gegen den pakistanischen "Vater der Atomwaffe", Abdul Qadeer Khan, heraus gekommen, dass er in den Jahren 1986 bis 1993 geheime Informationen über den Bau von Atomwaffen an Iran, Libyen und Nordkorea weitergereicht hat? Da bedurfte es keines Umwegs über China. Und ist nicht gleichfalls bekannt, dass Abdul Khan sein Handwerk in Westeuropa, darunter auch in Deutschland, gelernt hat? Und sollten wir uns nicht bei Gelegenheit daran erinnern, dass Firmen aus Deutschland - damals: aus der alten Bundesrepublik - atomare Schwellenländer wie Israel, Südafrika oder Brasilien mit atomarer Technologie versorgt hat? Meines Wissen gehörten deutsche Firmen in den achtziger Jahren auch zu den Proliferanten des Todes in den - damals noch mit dem Westen befreundeten - Irak. Von all dem findet sich in der IPPNW-Erklärung kein Hauch.

Dieses Versäumnis kann dem Zwang zur Kürze ("mehr als drei Ansätze lesen die meisten Journalisten nicht!"), purer Vergesslichkeit oder aber politischer Rücksichtnahme geschuldet sein. Wer prominente Politiker aus der Regierungskoalition für die Aktion gewinnen will, könnte schon einmal in Versuchung geraten, die Kritik an eben dieser Regierung nicht ruchbar werden zu lassen. So kommt die Bundesregierung in der Presseerklärung überhaupt nicht vor. Den Hanauer Schrott möchte man kaufen, damit er "nicht nach China verkauft wird". Das unpersönliche Passiv nennt weder den Verkäufer (Siemens) noch die Genehmigungsbehörde (der für Rüstungsexporte zuständige Bundessicherheitsrat) beim Namen. Der "Verkauf nach China" erscheint fast wie eine unausweichliche Sachgesetzlichkeit, die auf "normalem Wege" nicht zu verhindern sei.

Was hier so objektiv wie ein Sachzwang daherkommt, ist indessen nichts anderes als die Macht der Marktgesetze. Wenn Siemens 50 Mio. EUR für seinen Hanauer Atomschrott einstreichen kann, wird die Firma das Geschäft auch tätigen. Ein Verzicht wäre gleichbedeutend mit einem Verrat an den Aktionären, denen der Vorstand von Siemens mehr verpflichtet ist als Moral und Politik. Die Politik, in diesem Fall die Bundesregierung, scheint ähnlich zu denken wie Siemens. Jedenfalls hatte Bundeskanzler Schröder bei seinem Besuch in China im letzten Dezember den Verkaufswunsch mit heißem Herzen unterstützt. Der chinesische Markt ist zu groß und zukunftsträchtig, als dass man sich mit kleinlichen Bedenken wegen der dortigen Menschenrechtssituation ein Schönwettergeschäft kaputtreden lässt. Vergessen sind dann eben die Rüstungsexportrichtlinien der rot-grünen Bundesregierung vom Januar 2000, in denen nicht nur die Genehmigung von Rüstungsexporten an die Menschenrechtssituation im Empfängerland gekoppelt wird, sondern in denen auch besonderes Augenmerk auf die Problematik der sog. "dual-use-Güter" (zivil und militärisch nutzbare Güter) geworfen wird. Beides wäre im Fall des Hanau-Geschäfts ein Hinderungsgrund für eine Genehmigung. Hinzu kommt drittens, dass die EU seit Jahren ein Rüstungsexport-Embargo gegenüber China empfohlen hat. Es gibt also hinreichende politische Handhaben für die Bundesregierung resp. den Bundessicherheitsrat dieses Geschäft zu verbieten.

All dies sucht man in der Presseerklärung der IPPNW vergebens. Und damit sind wir bei dem Punkt angekommen, der einem am meisten zu schaffen macht. Kann Politik im Zeitalter des globalen neoliberalen Durchmarsches durch alle Institutionen nur noch auf derselben Ebene funktionieren wie der Markt? Ist es damit getan, ein politisches Problem einfach wegzukaufen? André Brie (PDS) hat das so schön eingängig formuliert: "Ich verkaufe nicht mein Gewissen, ich kaufe Hanau". Wohl dem, der hat! Das mag im Kleinen vielleicht ja noch (an)gehen: Wenn ein cleverer Investor ein Grundstück für ein Eigenheim inmitten eines potenziellen Flughafenerweiterungsgeländes erworben hat, dann kann das die Realisierung des Plans der Flughafenbetreiber schon mal in die Länge ziehen. Da geht es aber um andere Summen. Hanau soll 50 Mio EUR kosten. Kein Pappenstiel - selbst für die Ärzteorganisation IPPNW nicht! Und selbst wenn sie - mit Hilfe gut verdienender Promis - über so viel Geld verfügte: Wäre es in so einem Kauf wirklich gut angelegt? Welche politische Schweinerei käme als nächstes auf die Tagesordnung, die wieder mit Geld aus der Welt zu schaffen wäre? Und wird dann wieder so tief in die Tasche gegriffen?

Mir scheint, dass der Ansatz der IPPNW in eine problematische Richtung führt. Warum sollte ausgerechnet der Markt, der für viele Ge- und Verbrechen auf unserer globalisierten Welt verantwortlich ist, zur Heilung eben dieser Gebrechen tauglich sein? Und vor allem: Warum nimmt man nicht die Politik in die Pflicht? Berlin kann über den Hanau-Verkauf an China oder anderswohin entscheiden. Also sollte der Druck auf die Bundesregierung erhöht werden. Unterlässt man dies und lässt sich stattdessen auf Spielregeln des freien Marktes ein, dann bestätigt man indirekt wieder die Schrödersche Auffassung, wonach der Deal zwischen Siemens und China nichts mit Politik, sondern sehr viel mit dem Markt zu tun habe. Berlin wäre aus dem Schneider - und die IPPNW in der Marktwirtschaft angekommen.

Nehmen wir einmal den - unwahrscheinlichen - Fall an, dass die IPPNW mit ihrer Aktion tatsächlich 50 Mio plus 1 EUR mobilisiert, um das Kaufangebot Pekings zu überbieten. Peking wäre doch leicht in der Lage, noch einmal 20 oder 30 Milliönchen draufzusatteln. Der IPPNW würde spätestens dann die Luft ausgehen. Ganz abgesehen davon, dass ein Bruchteil der Summe, die die IPPNW für den Kauf der Atomanlage zusammenkratzen möchte, für die Friedensbewegung sehr hilfreich wäre, um den Kampf gegen die Atomwaffen und deren Export zu unterstützen.

Vielleicht war ja alles nicht so ernst gemeint. Vielleicht zielt die Aktion der IPPNW in Wahrheit gar nicht auf eine Realisierung des Kaufs, sondern auf das wohlwollende Schmunzeln der Leserinnen und Leser der taz. Wenn das so gemeint war, dann hätte die Pressekonferenz aber noch in die närrische Zeit fallen müssen. Ich gebe zu: Mit dem Aschermittwoch ist mir das Gefühl für Tollheiten (und mögen sie noch so sophisticated sein) abhanden gekommen.

Am 1. April lege ich mir den Vorgang noch einmal vor. Vielleicht reagiere ich dann gelassener.

Peter Strutynski


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