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Dementi aus dem Pentagon

Doch keine Zeitbombe in Grönland?

Das Dementi aus dem Pentagon folgte postwendend: Die Informationen der dänischen Zeitung "Jyllands Posten" über eine verschollene Atombombe im Meer vor der Thule Air Base seien falsch, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums am Montagabend (14.08.00). Alle vier Bomben, die der 1968 abgestürzte B-52-Bomber der US-Luftwaffe an Bord hatte, seien durch das Feuer zerstört worden. Es werde keine Bombe mehr vermisst. Keine Angaben machte der Sprecher darüber, ob die Trümmer der Bomben sichergestellt worden seien. Er sagte nur, Vertreter der dänischen Regierung nhätten damals die Aufräumarbeiten beobachten können. Auch sei nach den Unterlagen des Pentagon Radioaktivität aufgetreten. Man habe aber Eis, Schnee und verseuchtes Wasser abgetragen.
In der jungen welt fand sich dazu folgender Bericht und Kommentar:


Irgendwo vor Grönlands Nordwestküste tickt vermutlich eine Zeitbombe. Seit über 30 Jahren und - von der Weltöffentlichkeit weitgehend vergessen. Am Wochenende hatte die dänische Tageszeitung »Jyllands Posten« berichtet, daß eine der vier Atombomben, mit denen 1968 ein strategischer US-Bomber bei Thule abgestürzt war, noch immer auf dem Grund des Nordpolarmeeres liegt. Die Zeitung berief sich dabei auf ehemalige Beschäftigte des im Nordwesten Grönlands gelegenen US-amerikanischen Stützpunktes Thule Air Base, die seinerzeit an der Suche nach den verschollenen Bomben beteiligt waren und inzwischen in den Besitz geheimer Dokumente aus den USA gelangt seien, die ihre Vermutung bestätigen würden.

Die Regierung des US-amerikanischen NATO- Verbündeten Dänemarks, zu dessen Territorium Grönland gehört, relativierte umgehend den Zeitungsbericht. Das Außenministerium in Kopenhagen verwies dabei allerdings lediglich darauf, daß nach dem Absturz »verantwortungsbewußt geräumt« worden sei und mehrere Parlamente sowie Regierungen des Landes den »Fall Thule« untersucht und geprüft hätten. Und am gestrigen Dienstag verbreiteten die Nachrichtenagenturen postwendend ein noch am Montag abend (Ortszeit) herausgegebenes Dementi des amerikanischen Verteidigungsministeriums, demzufolge keine einzige der vier Bomben vermißt werde. Ob auch die Trümmer der Bomben sichergestellt wurden, blieb offen.

Das las man bisher allerdings anders: In einer Chronik, in der alle 32 (!) Unfälle mit US-Atomwaffen zwischen 1950 und 1980 registriert sind, wird unter dem Thule-Datum vom 21. Januar 1968 »leichte radioaktive Verseuchung« konstatiert. Weiter heißt es, »alle vier Wasserstoffbomben werden durch Feuer zerstört, ... nach längerer Suche gefunden, jedoch nur noch in Form von Bruchstücken, die bis zu zwei Meter ins Eis eingeschmolzen sind. US-Behörden erklären, größere Strahlengefahr bestehe nicht.«

In zeitgenössischen Zeitungsberichten las sich das seinerzeit allerdings etwas weniger harmlos. Die achtstrahlige B-52 des strategischen Bomberkommandos der US Air Force war am 21. Januar auf dem Rückflug von einem Routineeinsatz entlang der sowjetischen Nordküste einige Kilometer vor Thule in Brand geraten und abgestürzt. Sie hatte das Eis der Polarsternbucht durchschlagen und war versunken. Von den acht Besatzungsmitgliedern überlebten sieben den Absturz. Die vier Wasserstoffbomben - geschätze Sprengkraft 100 Megatonnen - hatten, so die US-Verlautbarungen, keine Zündköpfe; doch immerhin verseuchten damals fünf Tonnen Plutonium das ewige Eis.

»Broken Arrow« - Gebrochener Pfeil, das US-Codewort für atomarer Zwischenfall, wurde ausgegeben und eine riesige Maschinerie in Gang gesetzt, um die Bomben zu bergen. Neben 5 000 US-Soldaten waren auch Hunderte Einheimische an der Suche wie den folgenden »Aufräumarbeiten« beteiligt. Insgesamt 57 Millionen Liter radioaktiv verseuchter Schnee sollen damals, versiegelt in Spezialcontainern, abtransportiert worden sein. Das Flugzeugwrack konnte geborgen werden, auch drei der Bomben bzw. ihre Bruchstücke wurden gefunden, von der vierten mit der Seriennummer 78252 fehlte bis auf den Fallschirm jede Spur. Das geht aus einem nun in USA-Archiven entdeckten, von General Edward B. Giller unterzeichneten Brief vom 18. März 1968 an die US- Atomenergiekommission hervor. Noch Monate nach dem Abschlußbericht vom 12. April setzte ein U-Boot der US Navy ohne Wissen der dänischen Behörden die Suche fort. Vergeblich. Aus einem Schreiben vom 27. August geht indes hervor, daß Kopenhagen über diesen Tatbestand bewußt nicht informiert worden sei.

Hunderte der bei den Bergungsarbeiten eingesetzten Thule- Arbeiter erkrankten an den Strahlenschäden, über 350 sollen an den Folgen der freigesetzten Radioaktivität gestorben sein. Die Interessenvertretung der Überlebenden, die sich seit Jahren um Beweise bemüht, um die US-Regierung auf Schadenersatz verklagen zu können, ist nun bei ihrer Suche in amerikanischen Militärarchiven fündig geworden und an die Öffentlichkeit gegangen, um auf die fehlende Bombe mit der Nr. 78252 aufmerksam zu machen. Mogens Boesen, der Sprecher der Gruppe, bestätigte gegenüber »Jyllands Posten«: »Die US-Armee hat ganz gezielt nach einer Bombe mit dieser Nummer gesucht - und nicht gefunden. Gleichzeitig wurde dem dänischen Staat verheimlicht, daß auf dänischem Boden eine verschwundene Atombombe liegt.«

Das weiß offensichtlich auch die Regierung Dänemarks seit langem; bereits 1987 hatte das Außenministerium in Kopenhagen erklärt, es gehe entsprechenden Berichten nach, und am Montag meinte Minister Niels Helveg Petersen ja auch, daß der Bericht »nichts Neues« enthalte. Daß sich das NATO-Mitglied Dänemark, mit den USA seit 1951 in einem »Verteidigungsabkommen« verbündet, in dem auch die Nutzung der Thule-Basis fixiert ist, deswegen mit Washington anlegen wird, ist jedoch eher unwahrscheinlich. Auch wenn die Stationierung oder Lagerung von Atomwaffen auf grönländischem bzw. dänischem Territorium gegen den offiziellen Status der Atomwaffenfreiheit verstößt.

Peter Rau

Aus: junge welt, 16. August 2000

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Atomwaffen

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