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Höllenfeuer in der Eifel

"Bye bye nuclear bombs" ist das Motto der Camper in Büchel

Von Jochen Bülow *

In Büchel ist das Jagdbombergeschwader 33 zuhause. Der Fliegerhorst ist aber mehr als ein x-beliebiger Bundeswehrstandort: Tief in den Bunkern unter Vulkangestein warten B-61-Atombomben auf ihren Einsatz. Bis zum Wochenende campen Aktivisten in den Höhen der Eifel gegen Atomwaffen -- Marion Küpker von der »Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen« organisiert seit Monaten das »Auskehren« der Bomben.

»Kannst Du mir mal eben den Autoschlüssel geben, ich muss jemanden zur Bushaltestelle bringen« -- Marion hat sich gerade an den Tisch gesetzt, als einer ihrer Mitstreiter ihre Hilfe braucht: »Das ist eigentlich seit Monaten so, wir arbeiten hier alle ehrenamtlich und als professionelle Laien. Das klappt nur, wenn einer für den anderen mitdenkt und einsteht«, lacht die 44-Jährige, die das Camp mitorganisiert hat. Sie streicht sich die blonden Haare aus dem Gesicht und nestelt eine widerspenstige Strähne hinterm Ohr fest. Bevor sie weiterreden kann, fegt ein Tornado des Jagdbombergeschwaders 33 donnernd über das Zeltlager hinweg, unwillkürlich schauen alle im Zelt nach oben an die Decke: »Davon werdet ihr heute noch einige erleben«, beruhigt Hans-Werner Jung von der rheinland-pfälzischen LINKEN die Ortsfremden, »die fliegen hier den ganzen Tag, spielen Krieg und halten das angeblich für Dienst am Frieden«.

Reingehen oder nicht?

Die Tornados sind ein Teil des Problems in Büchel: Im Rahmen der sogenannten Nuklearen Teilhabe Deutschlands in der NATO sind die Flieger mit den deutschen Hoheitsabzeichen in der Lage, amerikanische Atombomben zu transportieren und abzuwerfen: »Das ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht«, nimmt Marion Küpker den Gesprächsfaden wieder auf. Sogar der Internationale Gerichtshof für Völkerrecht habe das festgestellt -- nur Konsequenzen verursache das Urteil nicht. »Wir verlassen uns natürlich nicht auf Gerichtsurteile, wir haben mit zivilen Inspektionen schon mehrfach dafür gesorgt, dass die Militärs sich hinter ihrem Stacheldrahtzaun nicht allzu einsam vorkommen müssen«, spielt die Hamburgerin auf die mittlerweile sechs Umrundungen des Standortes und die sechs Go-In Aktionen »Zivilen Ungehorsams« an.

Jetzt steht die siebente Umrundung an. Ein Thema in diesem Zusammenhang hat die Aktiven vor Ort und die Friedensbewegung überhaupt lange beschäftigt: »Reingehen oder nicht Reingehen -- das war lange die Frage«, bringt es Marion Küpker auf den Punkt. Mittlerweile sei das kein Problem mehr, »wir werden bei solchen Aktionen ausreichenden räumlichen Abstand wahren zu denen, die nicht mit solchen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden wollen«, beschreibt sie eine Strategie, die das Bündnis gegen die Atomwaffen merklich verbreitert hat: Mittlerweile sind mehr als 300 deutsche Bürgermeister den »Bürgermeistern für Frieden (Mayors for Peace)« beigetreten und haben sich vielleicht auch deswegen für ein klares Votum gegen Atomwaffen entschieden, weil sie nicht befürchten müssen, mit großzügigen Auslegungen des Versammlungsrechtes in Verbindung gebracht zu werden. »Fünf dieser Bürgermeister haben heute Morgen an unserem Frühstück teilgenommen, ich freue mich sehr, dass wir an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen haben«, resümiert Marion Küpker.

Interessanterweise waren es nicht die »üblichen« Verdächtigen -- die Bürgermeister, die sich vor Ort ein Bild über den Widerstand gegen die »Schande der Menschheit« gemacht haben, sind Mitglieder der CDU und der FDP. Paul Metzger, CDU-Oberbürgermeister in Bretten (Baden Württemberg), hat sogar die Kanzlerin höchstselbst mit rund 1500 aus Papier gefalteten Friedenskranichen beglückt und darum gebeten, sich für die Abschaffung aller Atomwaffen einzusetzen. Amtskollege Martin Patzelt, auch Christdemokrat und Oberbürgermeister in Frankfurt (Oder), hat allerdings stürmischen politischen Gegenwind erlebt: »Wer in der CDU ist, darf da nicht dabei sein«, gaben ihm Parteifreunde mit auf den Weg.

Marion Küpker ist in der Zwischenzeit schon wieder mit einem anderen Problem beschäftigt: Die Mutter eines Mitstreiters ist völlig unerwartet verstorben. Jetzt müssen Pressebetreuung und die Zuständigkeit für das Jugendcamp neu organisiert werden. Dass die Teilnehmer des einwöchigen Workcamps überhaupt so nahe der Luftwaffenbasis zelten und protestieren können, ist ein kleines Wunder: »Viele Menschen hier direkt vor Ort sehen unsere 'Atombomben-Auskehr' kritisch: Sie brauchen die Arbeitsplätze und denken nicht über die Atomwaffen nach.« Auch die Genehmigungsbehörden, Polizei und Feuerwehr waren skeptisch. Die Auflagen zur Durchführung des Camps sind dementsprechend streng: »Springen und Sprinten sind hier strengstens verboten«, lacht Marion Küpker -- und springt noch im Sprechen auf, weil ein ausfallender Stromgenerator die Energieversorgung lahmzulegen droht.

Ein zugezogener Biobauer hat trotz der Widrigkeiten eine Wiese zur Verfügung gestellt: »Natürlich gibt es da sozialen Druck -- aber viele ermutigen den Mann auch hinter vorgehaltener Hand und freuen sich, dass > mal einer was tut<.«

Zu tun gibt es in der Tat genug -- Geldmangel hat die seit November 2007 in vielen Treffen und Telefonaten geplante Aktion in Büchel von Anfang an begleitet: »Wir haben mal kalkuliert, dass das Ganze etwa 70 000 Euro kosten würde, wenn wir alles bezahlen müssten«, rechnet Marion Küpker vor, »weil wir ganz viel in Eigenleistung und mit Spenden machen, sind es wahrscheinlich 'nur' rund 20 000 Euro.« Immerhin 750 Euro hat ein von der Bundestagsfraktion der LINKEN gegründeter Verein gespendet, kostenlos treten nach der Demonstration am kommenden Samstag verschiedene Musikgruppen auf, darunter Nina Hagen und Band, Rhythm of Resistance und Lee Bach-Bayram.

Kein Abstreiten mehr

Alleine die Organisation der Konzerte hat Monate gedauert und hat nur über persönliche Kontakte funktioniert -- Kontakte und Kenntnisse, die sich Marion Küpker in fast zwei Jahrzehnten politischem Kampf gegen die Atomwaffen angeeignet hat: »Ich habe Nina Hagen vor zwei Jahren bei den Protesten gegen die Vertuschung des Atomunfalls in der Elbmarsch kennengelernt. Wir stehen seitdem immer mal wieder in Kontakt, sodass sie auf Anfrage gleich erklärt hat, dass sie mitmacht«, schildert Marion Küpker in wenigen Worten, was Wochen dauerte. »Ich will, dass meine Tochter eine Zukunft hat«, sagt sie ohne jedes Pathos, »ich will, dass die Menschheit eine Zukunft hat.«

Angesichts ihres Einsatzes und ihrer persönlichen Überzeugungskraft im Gespräch nimmt man ihr das hehre Ansinnen ohne Weiteres ab. Bis zu 20 Atombomben mit der mehrfachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe lauern in ihren Eifeler Bunkern -- »das geben jetzt auch die Militärs seit ein paar Monaten offen zu«, freut sich die Aktivistin darüber, dass das jahrelange Abstreiten der Existenz der Bomben nun offenbar ein Ende hat. Geheimniskrämerei betreiben die Militärs aber trotzdem: Obwohl die Polizei-Einsatzleitung das Fotografieren im Eingangsbereich des Fliegerhorstes erlaubt, kontrollieren und notieren andere Polizisten die Personalien von Fotografen. Ein etwas hilflos wirkendes Vorgehen -- wer einen Internetanschluss hat, kann sich die Luftwaffenbasis in aller Ruhe per Google-Earth von oben anschauen und jeden einzelnen Bunker zählen.

Nicht um Sicherheitsmängel bei der Bewachung der Atombomben offen zu legen, wird am Samstag eine Go-In Aktion Zivilen Ungehorsams durchgeführt, sondern um den politischen Druck zur Abschaffung zu erhöhen. Ob die Fotos auch wirklich die Luftwaffenbasis zeigen, möchten einige Aktivistinnen und Aktivisten am Samstag erkunden -- sie wollen erneut den Wachsoldaten ein Schnippchen schlagen und in das militärische Sperrgelände eindringen. »Man muss den Worten auch Taten folgen lassen -- das hat schon einige Male geklappt«, lacht Marion Küpker ihr spitzbübischtes Lächeln, »warum sollte es nicht auch diesmal klappen?«.

* Aus: Neues Deutschland, 29. August 2008


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