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Atom-Heuchelei / Atomic Hypocrisy

Weder Bush noch Blair haben das moralische Recht, sich über das iranische Atomprogramm zu beschweren / Neither Bush Nor Blair Is In A Position To Take A High Moral Line On Iran's Nuclear Programme

Von Tony Benn*

Bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm - bei dem die Gefahr besteht, dass es zur Entwicklung einer Atombombe führt -, spielt Großbritannien eine führende Rolle. Gut möglich, dass das Land versuchen wird, die Sache vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Ein wenig glaubwürdiger Standpunkt, zumal Premierminister Blair entschlossen ist, unsere atomaren Trident-Raketen auf den neuesten Stand zu bringen. Und er scheint auch entschlossen, eine Reihe neuer Atomkraftwerke auf den Weg zu bringen. Blair dürfte somit kaum ein glaubwürdiger Verteidiger des Atomwaffensperrvertrags sein. Um zu begreifen, was für ein Heuchler der Westen ist, genügt ein Blick in unsere, bequemer Weise gut verdrängte, Geschichte.

Es war am 7. Januar 1976, also vor dreißig Jahren. Ich war damals britischer Energieminister und hatte eine ausführliche Diskussion mit dem Schah von Persien - in seinem Teheraner Palast. Die meiste Zeit ging es um Pläne des Schahs für ein großangelegtes iranisches Atomenergieprogramm.

Ich war über die Vorschläge des Schah schon zuvor gut unterrichtet gewesen - durch Dr. Akbar Etemad von der Iranischen Atomenergieorganisation. Dr. Etemad hatte mir berichtet, dass bis zum Jahr 1994 eine Kapazität von 24 Megawatt geplant sei - ein größeres Atomprogramm als selbst Großbritannien es hatte. Dr. Etemad zeigte Interesse an Zentrifugen, wie man sie für die Wiederaufbereitung braucht. Er werde größte Sorgfalt walten lassen, um eine Proliferation zu verhindern, so versicherte er mir. Ich habe das Gespräch mit dem Schah in meinem Tagebuch fest! gehalten. Als es darum ging, woher der Schah seine Nukleartechnologie bezog, sagte er mir, laut Tagebuch: "... von den Franzosen und Deutschen, vielleicht sogar von den Sowjets - warum auch nicht?"

Kaum ein Jahr später eröffnete mir mein eigener Berater, Dr. Walter Marshall von der Atomic Energy Authority, er sei als atompolitischer Berater für den Schah tätig und habe folgenden Plan vorbereitet. Der Schah werde den Westinghouse-Druckwasserreaktor (PWR) ordern - falls Großbritannien ebenso verfahre. In dem Fall würde der Iran das nötige Geld bereitstellen. Ich war fest entschlossen, gegen diesen Plan anzukämpfen. Zu dem Deal gehörte auch der Vorschlag, den Iran zum Fünfzig-Prozent-Eigner unserer britischen Atomindustrie zu machen - für den Bau des PWR.

Offenbar hatte Marshall auch den Vorschlag gemacht - ohne von mir autorisiert zu sein -, Großbritannien solle sich von seinen fortschrittlichen gasgekühlten Reakto! ren verabschieden und stattdessen bis zu 20 PWRs in Auftrag geben. Ich gewann den Eindruck, Dr. Marshall denke wie viele Leute aus der Atomindustrie, Proliferation sei etwas, was ohnehin nicht zu verhindern ist, man könne kaum etwas dagegen unternehmen. Er hat das praktisch so gesagt.

Aus diesen Gründen war ich absolut gegen die ganze Idee. Für mich war die Vorstellung am besorgniserregendsten, das alles werde mit ziemlicher Sicherheit zur Weitergabe von Nuklearwissen bzw. zur Entwicklung von iranischen Atomwaffen führen. Der Plan wurde nie genehmigt. Dabei hatte auch Sir Jack Rampton darauf gedrungen. Rampton war damals mein permanenter Sekretär und schien auf den PWR nicht weniger erpicht als Marshall. Der Premier hatte Rampton direkt konsultiert. Selbst Premierminister Jim Callaghan wollte, dass ich es mache.

Bei einer Kabinettssitzung am 4. Mai 1977 bracht! e Jim seine Bedenken hinsichtlich der Atom-Proliferation zum Ausdruck, sagte aber gleichzeitig, er werde ein entsprechendes Ansinnen des Iran nicht zurückweisen - sonst würden eben die Deutschen oder die Franzosen einsteigen, so Callaghans Auffassung.

Komplizierend kam hinzu, dass das britische Außenministerium die Ansicht vertrat, die Kernenergie sei Sache der europäischen EURATOM und unterstehe juristisch der Kompetenz der Europäischen Kommission. Die britische Regierung hätte in dieser Sache womöglich nicht das Recht auf eine eigene Meinung. Am Erstaunlichsten finde ich - vor allem auf dem Hintergrund der aktuellen Debatte -, dass das Problem einer möglichen gigantischen Nuklearkapazität im Iran von den Amerikanern nicht als Problem gesehen wurde. Damals galt der Schah als starker Verbündeter. Die Amerikaner hatten sogar geholfen, ihn auf den Thron zu bringen.

Es kann wohl kaum ein besseres Beispiel für Doppelmoral geben. Dass man nach dem Sturz des Schah Saddam bewaffnete, um den Iran anzugreifen, passt ebenso ins Bild, wie das absolute Schweigen über das riesige Atomwaffenarsenal Israels. Dieses Stillschweigen stellt schon an sich einen Bruch des Atomwaffensperrvertrags dar.

Vor kurzem bekamen die IAEA und deren Chef Mohamed El Baradei den Friedensnobelpreis verliehen - für ihre Antiproliferations-Arbeit. Der Atomwaffensperrvertrag setzt allerdings voraus, dass die Atomwaffenstaaten ihre eigenen Abrüstungsverträge aushandeln. Da dies nicht geschieht, steht fest, dass sie kein Interesse am Atomwaffensperrvertrag haben.

Jetzt liegt ein Vorschlag auf dem Tisch, den Iran den Vereinten Nationen zu melden. Damit wäre El Baradei in der gleichen Position wie damals Hans Blix, der - als (oberster) Atomwaffeninspekteur des Irak - von Washington für deren eigene Zwecke benutzt wurde. Was die USA wollen, ist eine UN-Resolution zur Verurteilung des Iran. Sollte dies nicht gelingen, werden sie unilateral und mit Gewalt gegen den Iran vorgehen - siehe Irak.

Falls das Problem, über das jetzt debattiert wird, auf praktischem Wege und über die IAEA geklärt werden kann, besteht die reelle Chance auf eine einvernehmliche Lösung. Darum sollte es uns gehen, das sollten wir fordern. Schließlich ist weder Tony Blair noch George Bush in der Lage, sich moralisch in die Brust zu werfen.

Ich bin ein überzeugter Atomwaffengegner und Gegner der zivilen Nutzung der Kernenergie. Mein Kommentar sollte daher nicht als Unterstützung des iranischen Kurses missverstanden werden. Aber die nukleare Vergangenheit Großbritanniens hinsichtlich des Iran sollte uns zu äußerster Vorsicht ermutigen. Wir sollten uns gegen jene stellen, deren Argumente dazu taugen, einen Krieg zu rechtfertigen, der nic! ht zu rechtfertigen ist.

* Tony Benn (Jahrgang 1925) bekleidete im Laufe seiner Karriere mehrere Ministerposten in Großbritannien. Zwischen 1975 und 1979 war er britischer Energieminister. Er stand für Old Labour (siehe seine Rolle im 'Miners Strike') und engagierte sich aktiv gegen beide Irakkriege.

Quelle: ZNet Deutschland vom 07.12.2005. Übersetzt von: Andrea Noll.
www.zmag.de


Atomic Hypocrisy

Neither Bush Nor Blair Is In A Position To Take A High Moral Line On Iran's Nuclear Programme

by Tony Benn


Britain has played a leading role in the negotiations with Iran about its nuclear programme and the risk that it might lead to the development of an atomic bomb, and may well seek to take the matter to the UN security council.

Given that the prime minister himself is determined to upgrade Trident and appears to be committed to a new series of nuclear power stations, his position as the defender of the non-proliferation treaty is not very credible, and if we are to understand the depth of western hypocrisy on this question we should look back at the history, which has been conveniently forgotten.

Thirty years ago, on January 7 1976, as secretary of state for energy I went for a long discussion with the Shah in his palace in Tehran, and much of the time was spent discussing the plans he had to develop a major nuclear-power programme in Iran.

I had been well briefed on his proposals by Dr Akbar Etemad of the Iranian Atomic Energy Organisation, who had told me that he intended to build a 24 megawatt capacity by 1994, which was bigger than the programme Britain itself had at that time, and he expressed an interest in the centrifuges that are essential for reprocessing, while assuring me that he was anxious to avoid nuclear proliferation. My diary covering my talk to the Shah about the sources of his nuclear technology reveals that he told me that he was "getting it from the French and the Germans and might even get it from the Soviets - and why not?"

It was only a year later that Dr Walter Marshall of the Atomic Energy Authority, my own adviser, announced that he was also the Shah's adviser on nuclear policy, and had prepared a scheme under which the Shah would order the Westinghouse pressurised-water reactor (PWR) if Britain would do the same, and that Iran was prepared to put up the money - a plan that I was determined to fight. It was actually being suggested as part of this deal that Iran would become a 50% owner of our nuclear industry for the purpose of building the PWRs.

Marshall had, without any authority from me, apparently suggested that Britain abandon our advanced gas cooled reactors and order up to 20 PWRs, and I formed the impression that he took the view, as many in the nuclear industry did, that proliferation was inevitable and there was not much you could do about it. Indeed he almost said as much.

For all these reasons I was totally opposed to this whole idea, and what was most worrying to me was the virtual certainty that it would lead to nuclear proliferation and the development of atomic weapons by Iran. It was never approved. Sir Jack Rampton, my permanent secretary, who seemed to be as keen as Marshall on the adoption of the PWR, and who was directly consulted by the prime minister, was clearly pressing this approach, and Jim Callaghan himself wanted me to go along with it.

At a cabinet committee meeting held on May 4 1977, Jim, while expressing his concern about nuclear proliferation, argued that we should not reject the Iranian approach since he thought that either the Germans or the French would take it up.

An added complication arose when it turned out that since nuclear power was, under Euratom, seen by the Foreign Office as being within the legal competence of the European commission, the British government might be unable to take its own view.

Most astonishing of all, in the light of the present discussions, is that the problem of Iran developing such a huge nuclear capacity caused no problems for the Americans because, at that time, the Shah was seen as a strong ally, and had indeed been put on the throne with American help.

There could hardly be a clearer example of double standards than this, and it fits in with the arming of Saddam to attack Iran after the Shah had been toppled, and the complete silence over Israel's huge nuclear armoury, which is itself a breach of the non- proliferation treaty.

The International Atomic Energy Agency and its chief, Mohamed ElBaradei, were recently awarded the Nobel peace prize for their work on non-proliferation, but since that treaty provided that the nuclear-weapons states should negotiate their own disarmament agreement, which has not happened, it is clear that for them the NPT does not matter.

Now there is a proposal to report Iran to the UN and ElBaradei could find himself in the same position as was Hans Blix, the Iraq arms inspector who was used by Washington for its own purposes, with the US seeking a UN resolution to condemn Iran and then, if that fails, acting unilaterally using force, as in Iraq.

If the problems now being discussed can be dealt with in a practical way through the IAEA, there is a real chance of an agreed solution, and that is what we should be demanding since neither Bush nor Blair is in a position to take a high moral line.

As I am strongly opposed to nuclear weapons and civil nuclear power, these comments should not be taken as endorsing what Iran is doing; but Britain's past nuclear links with Iran should encourage us to be very cautious and oppose those whose arguments could be presented as justifying a case for war, which cannot be justified.

December 05, 2005

* Tony Benn was the secretary of state for energy from 1975-79

Source: ZNet, www.zmag.org



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