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Üben für die Menschenkette

120 Kilometer wollen Atomkraftgegner händchenhaltend von Brunsbüttel bis Krümmel überbrücken. Auch SPD und Grüne machen mit

Von Reimar Paul *

Steinmeier? Den faß’ ich nicht an, da stell’ ich mich woanders hin«. Mit diesem Kommentar reagierte ein altgedienter Atomkraftgegner aus Norddeutschland am Mittwoch auf die Ankündigung des SPD-Fraktionschefs im Bundestag, auch er werde bei der Menschenkette mitmachen. Die Kette soll die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein verbinden. Zehntausende wollen sich am 24. April auf der rund 120 Kilometer langen Strecke aufstellen. Bereits am 21. April startet im Wendland ein Antiatomtreck durch Norddeutschland in Richtung Krümmel.

Zu der in dieser Größenordnung bislang einzigartigen Protestaktion hat ein breites Bündnis aus Antiatomgruppen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und Parteien aufgerufen. Neben der Linkspartei und dem Südschleswigschen Wählerverband auch SPD und Grüne – aus Sicht des AKW-Gegners die Parteien, »die uns den Weiterbetrieb der Reaktoren über Jahre als Ausstieg verkauft haben.« Dabei stellt der 55jährige, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, nicht in Abrede, »daß es bei SPD und Grünen Leute gibt, die ernsthaft gegen Atomkraft sind.« Frank-Walter Steinmeier zähle er aber »eindeutig nicht« dazu.

Die Beteiligung von Parteien an den Demonstrationen sei für manche »durchaus gewöhnungsbedürftig«, räumt Mitorganisator Jochen Stay von der Antiatomorganisation »ausgestrahlt« ein. Bei der Aktion dürften die Parteien auch nicht dominieren und im Sprecherkreis des Bündnisses seien sie nicht vertreten.

In ganz Deutschland wird derzeit für die Menschenkette mobilisiert. In rund 50 Städten wollen örtliche Initiativen am kommenden Samstag mit »Probeketten« für die Aktion werben. Hunderte Busse sind gechartert, Sonderzüge sollen aus Berlin, Dresden, Kassel und Augsburg nach Schleswig-Holstein fahren. »Es ist uns gelungen, die Aktions- und Menschenkette auf eine breite organisatorische Basis zu stellen«, sagt Stay. »Dies zeigt, daß viele Menschen bereit sind, für den Atomausstieg zu kämpfen. Wir gehen von einer Beteiligung Zehntausender Menschen aus.«

Bemerkenswert ist die angekündigte Teilnahme von Gewerkschaften. Der DGB Nord zählt ebenso zu den Aufrufern wie die norddeutschen Verbände von IG Metall und ver.di. Lange Zeit gab es Konflikte zwischen Atomkraftgegnern und Gewerkschaftsleuten, die im Falle der Stillegung von Atomanlagen um ihre Arbeitsplätze fürchteten. Nicht selten beteiligten sich die Arbeitervertreter an Pro-Kernkraft-Kundgebungen. Die IG Metall Küste nimmt wegen der Demo auch interne Konflikte in Kauf. Beschäftigte von Vattenfall protestierten bereits gegen den Kurs ihrer Gewerkschaft.

»Brunsbüttel und Krümmel sind seit mehr als zwei Jahren nicht mehr am Netz«, sagt Christoph Bautz vom Kampagnen-Netzwerk »Campact«, das die Menschenkette ebenfalls unterstützt. »Strom ist trotzdem genügend da. Die Atomkraftwerke und ihre Risiken sind also entbehrlich. Wir gehen auf die Straße, damit die Pannenmeiler für immer abgeschaltet bleiben.«

Neben der Menschenkette soll am 24. April das AKW Biblis umzingelt werden. Eine weitere Demonstration führt an dem Tag zum Zwischenlager Ahaus.

* Aus: junge Welt, 8. April 2010

Dokumentiert: Zwei Aufrufe zur Aktion

KETTENreAKTION: Atomkraft abschalten!

Aktions- und Menschenkette + 24. April 2010 + Brunsbüttel - Hamburg - Krümmel

Der Konflikt um den Atomausstieg spitzt sich zu: In Kürze wird darüber entschieden, ob die Pannenreaktoren Krümmel und Brunsbüttel vor der Haustür Hamburgs wieder ans Netz gehen – oder für immer abgeschaltet bleiben. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen Anfang Mai gehen die Verhandlungen zwischen Regierung und Atomkonzernen über längere Laufzeiten für Atomreaktoren in die heiße Phase.

Wir stehen am energiepolitischen Scheideweg: Wird weiter auf Dinosauriertechnologien gesetzt – oder konsequent auf Erneuerbare Energien umgestiegen.

Es ist an der Zeit, ein spektakuläres Signal an Bundesregierung und Stromkonzerne zu richten: Auf Atomkraft setzen? Nicht mit uns! Mit Zigtausenden Menschen werden wir am 24. April 2010 eine große Aktions- und Menschenkette zwischen den Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel bilden – zwei Tage vor dem Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (26. April 1986).

Wir wollen raus aus einer Technologie, die ein verheerendes Unfallrisiko birgt, den Ausbau Erneuerbarer Energien blockiert und Tausenden Generationen tödlichen Atommüll aufbürdet. Die Skandale um die Endlagerstandorte Asse und Gorleben zeigen: Das Problem des Jahrmillionen strahlenden Mülls ist völlig ungelöst.

Manche von uns fordern die sofortige Stilllegung aller Atomkraftwerke, denn jeder Tag Weiterbetrieb kann einer zu viel sein. Andere wollen, dass zumindest die Laufzeiten nicht verlängert werden. Die Pannen-Reaktoren Krümmel und Brunsbüttel dürfen auf keinen Fall wieder ans Netz, sie müssen sofort und endgültig stillgelegt werden.

Die Alternativen sind längst da, sie müssen nur durchgesetzt werden. Die Zukunft ist erneuerbar – im Dreiklang von Erneuerbaren Energien, Energiesparen und Energieeffizienz.


AUFRUF

zur Unterstützung der Proteste gegen die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und zur Beteiligung an den Aktionen am 24. April 2010

Der DGB Bezirk Nord unterstützt die geplanten Aktionen des Bündnisses gegen die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und für die Stilllegung der Reaktoren in Krümmel und Brunsbüttel und ruft auf zur Teilnahme an der Aktions- und Menschenkette am Samstag, 24. April 2010.

AM ATOMAUSSTIEG FESTHALTEN - AUF ERNEUERBARE ENERGIEN UMSTEIGEN.

Die Risiken, die zum gesellschaftlich konsensualen Ausstieg aus der Atomwirtschaft geführt haben, bestehen weiter. Die Endlagerungsfrage ist nach wie vor ungelöst. Ein Umstieg auf erneuerbare Energien erfordert die schrittweise und konsequente Kapazitätsabsenkung bei der Atomenergie gemäß des Atomkonsenses, um die Einspeisung der erneuerbaren Energie in die vorhandenen Netze entsprechend zu erhöhen.

BESCHÄFTIGUNG UND TARIFE SICHERN.

Die Stilllegung vorhandener Atomkraftwerke darf nicht auf dem Rücken der betroffenen Beschäftigten umgesetzt werden. Sozialverträgliche Lösungen bei der Sicherung von Beschäftigung und Tarifbedingungen müssen verbindlich vereinbart werden, am besten durch Sozialtarifverträge. Die Beschäftigten in den Betrieben und Unternehmen der erneuerbaren Energie müssen mit Tarifverträgen auf Branchenniveau und Mitbestimmung in Betrieb und Unternehmen abgesichert werden. Niedrigere Löhne und fehlende Betriebsräte dürfen nicht als Wettbewerbsvorteil missbraucht werden.




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