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Empfindliche Erdtemperatur

Wissenschaftler warnen vor den Folgen von Aerosol-Emissionen

Von Folke Havekost *

Angesichts der Folgen von Aerosol-Emissionen für Klima und Landwirtschaft haben Wissenschaftler auf einer Konferenz in Hamburg vor einem »nuklearen Winter« gewarnt und die Abschaffung aller Atomwaffen gefordert.

Aerosole sind feinste Staubteilchen, die etwa bei Waldbränden oder Vulkanausbrüchen in hoher Zahl freigesetzt werden und in die Stratosphäre gelangen können. Dort verharren sie lange und blockieren die Sonneneinstrahlung auf die Erde. Das damit einhergehende Absinken der Temperatur kann dramatische Folgen für die Landwirtschaft haben. Der Ausbruch des indonesischen Vulkan Tambora etwa verursachte 1816 in Europa das »Jahr ohne Sommer« mit immensen Missernten. Den Flugverkehr beeinträchtigende Aschewolken sind daran gemessen eine nahezu belanglose Konsequenz.

Nicht nur Vulkanausbrüche, auch regional begrenzte Kriege mit Atomwaffen können die Temperatur absenken. Die Natur- und Gesellschaftswissenschaftler, die sich gestern und heute zur Konferenz über »schwere atmosphärische Aerosol-Ereignisse« versammelten, sprechen von einem »nuklearen Winter«. Ziele der Konferenz sind Ursachenforschung zu großen Aerosol-Emissionen, Untersuchung der Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sowie Forderungen an die Politik voranzutreiben.

»Die mittelbaren Effekte eines Atomkriegs, die Militärs allenfalls als Kollateralschäden berücksichtigen, könnten das Hundertfache an Opfern fordern«, skizzierte Owen Brian Toon, Professor für atmosphärische Physik an der Universität Colorado. Während Studien im Beispielfall Indien-Pakistan etwa von zehn Millionen direkten Kriegsopfern ausgehen, könnten bis zu einer Milliarde Menschen durch entstehende Hungersnöte existenziell bedroht sein. Eine Temperatursenkung von nur einem Grad würde beispielsweise die Hälfte der kanadischen Weizenanbaufläche unbrauchbar machen, erklärte der Hamburger Kernphysiker und Friedensforscher Martin Kalinowski, der die Konferenz organisiert hat. Ein weiteres Grad weniger, und nur noch fünf bis zehn Prozent der Flächen wären nutzbar.

Die neuen Nukleararsenale seien zwar kleiner, aber auch schwieriger zu kontrollieren, da inzwischen zahlreiche Staaten darüber verfügten, warnte der Klimamodellierer Georgiy Stenchikov: »Auch begrenzte Konflikte können die Welt auf lange Zeit beeinträchtigen.« Zumal Aerosole nach neuerer Forschung bis zu einem Jahrzehnt lang die Temperatur absenken könnten. »Die Gefahr durch Aerosole wird nicht unterschätzt, sondern ignoriert«, warf Gastgeber Kalinowski insbesondere Sicherheitspolitikern vor: »Fragen von Umweltschutz und Klimawandel werden von ihnen als ein anderer Politikbereich angesehen, Zusammenhänge werden nicht hergestellt.«

Derzeit sind weltweit rund 20 000 Atomwaffen aufgestellt oder gelagert. »Die Risiken können nur durch die vollständige Beseitigung aller Kernwaffen ausgeräumt werden«, erklärte der Physiker und Geograph Jürgen Scheffran, der sich auch einem anderen Aspekt widmet: Dem Geo-Engineering, also der bewussten Manipulation der Umwelt, um etwa die Folgen der Erderwärmung zu dämpfen. Scheffran zitierte Studien, nach denen ab 2050 ein jährlicher Ausbruch des indonesischen Vulkans Pinatubo notwendig wäre, um die menschengemachte Erderwärmung zu nivellieren. Über Nebeneffekte dieses Geo-Engineerings herrscht noch weitgehend Unklarheit. »Wer entscheidet letztlich darüber?«, fragt Scheffran. Zukunftsmusik, die der Menschheit bald in den Ohren liegen könnte.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011


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