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Die Ärmsten gehen leer aus

Internationale Handelsabkommen verletzen das Recht auf Nahrung

Von Annegret Mathari, Genf *

Die Interessen der Ärmsten der Welt werden bisher in Handelsabkommen nicht berücksichtigt. Ein UNO-Experte fordert deshalb die Einbeziehung von Nahrung, Gesundheit und Umwelt in die Agrarverhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO).

Nahrung, Gesundheit und Umwelt sollen bei den WTO-Verhandlungen für eine weitere Liberalisierung der Landwirtschaft einbezogen werden, fordert der UNO-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter. »Der internationale Handel wird keine Hungerkrise verhindern.«

Die bisherigen WTO-Abkommen haben den Hunger der weltweit 963 Millionen unterernährten Menschen nicht beheben können, obwohl viele von ihnen in der Landwirtschaft arbeiten, erklärt de Schutter. Jedes internationale Handelsabkommen, das diese Menschen nicht berücksichtige, werde zu weiteren Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung führen, so Schutter.

Der Belgier, der sein Amt im Mai 2008 vom Schweizer Politologen Jean Ziegler übernahm, hat für die UNO einen Bericht über die Auswirkungen der laufenden WTO-Verhandlungen auf die Nahrungskrise verfasst. Die erste Untersuchung dieser Art kommt zu dem Ergebnis, dass vor allem die ärmsten unter den Entwicklungsländern nicht von einem besseren Marktzugang für ihre Produkte in andern Ländern profitieren konnten. Ein Grund dafür wie auch für die globale Hungerkrise sei die geringe Produktivität, die weniger als ein Prozent derjenigen in den Industrieländern betrug. Die Landwirtschaft vieler Entwicklungsländer ist demnach zu schwach, um beim weltweiten Wettbewerb mithalten zu können, selbst wenn die Exportsubventionen der Industrieländer bis 2013 auslaufen sowie deren Zölle und interne Beihilfen weiter abgebaut würden.

Der internationale Handel werde daher die lokalen Fähigkeiten der Entwicklungsländer, ihre Bevölkerung zu ernähren, nicht ersetzen. Die lokale Landwirtschaft müsse daher durch Zölle vor Billigimporten geschützt werden können, wie das die Schutzbestimmungen der WTO auch vorsähen. An dieser Frage sind die Verhandlungen jedoch gescheitert. Nachteilig für die Nahrungssicherheit wirkt sich laut de Schutter auch aus, dass beispielsweise mehrere afrikanische Länder ihr früheres Grundnahrungsmittel Hirse durch importierten Reis ersetzt hätten.

Den Klimawandel sieht der UNO-Experte als weitere Bedrohung für die Nahrungssicherheit in Afrika, Südasien und dem Nahen Osten. Unter anderem wegen zunehmender Wüstenbildung werde die Agrarproduktion in Subsahara-Afrika bis 2030 um die Hälfte abnehmen. Weltweit werde sie bis 2080 um acht Prozent zurückgehen, während die Weltbevölkerung bis 2050 um einen Drittel zunehme. Zum internationalen Handel gehören zudem lange Transportdistanzen und eine nicht-nachhaltige Produktion etwa von Pflanzen, die für den Export bestimmt sind, wie Kaffee, Tee oder Baumwolle. Beide Aspekte trügen zu weiteren Treibhausgas-Emissionen bei, warnt de Schutter. Die Landwirtschaft ist heute weltweit bereits verantwortlich für einen Drittel der Treibhausgas-Emissionen.

Eine verstärkte Abstützung auf den internationalen Handel stärkt dem Experten zufolge auch die Macht transnationaler Unternehmen zu Ungunsten einheimischer Produktion. Diese könnten die Preise festlegen und ihre Agrarproduzenten zu äußerst niedrigen Preisen zwingen. Das führe dazu, dass eine kleine Zahl großer Produzenten einen unverhältnismäßig hohen Einfluss und Gewinn habe, während eine große Zahl kleiner Produzenten von der weltweiten Versorgungskette ausgeschlossen sei. Schutter fordert daher, dass die Regierungen die Akteure der weltweiten Versorgungskette von Lebensmitteln und deren Preispolitik besser überwachen, damit diese das Recht auf Nahrung respektieren.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Januar 2009


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