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Aufbruch in eine Welt ohne Armut

Attac-Buch zeigt: Armut ist ein Verteilungsproblem, das mit Reformen gelöst werden kann

Von Jenny Becker *

Die Mittel, um Hunger und Armut in der Welt auszurotten, sind vorhanden. Sie müssen nur richtig verteilt werden. So lautet die These des neuen Attac-Basistextes, der realisierbare Alternativen für eine gerechtere Welt vorstellt.

Hunger ist weltweit die Todesursache Nummer eins. Dabei gäbe es genügend Wohlstand, um allen Menschen ein Leben ohne Armut zu ermöglichen. Es ist alles nur eine Frage der Verteilung – und des politischen Willens. Der Volkswirt Steffen Stierle benennt in dem Attac-Basistext »Reichtum und Armut: eine Verteilungsfrage« strukturelle Probleme und zeigt Handlungsalternativen auf, die sich kurzfristig verwirklichen ließen. Im Mittelpunkt steht die These: Eine bessere Welt ist möglich – durch Umverteilung von oben nach unten. Herr Wulff: Stoppen Sie den Atomdeal!

Das Szenario ist bekannt: Während immer mehr Menschen unter Armut leiden, wächst immenser Reichtum in den Händen von Wenigen. Das gilt für die nationale, internationale und globale Ebene gleichermaßen. Die zehn reichsten Europäer verfügen über ein Vermögen von über 200 Milliarden Dollar – das ist der Betrag, der über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich nötig wäre, um die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen. Die Macht der Konzerne nimmt zu, ebenso der Raubbau an sozialen Sicherungssystemen.

Wichtigstes Instrument für den Abbau der Ungleichheiten ist laut Stierle die staatlich organisierte Umverteilung durch Besteuerung und Sozialtransfers. Umzuverteilendes Potenzial liege vor allem in Steuern wie der Vermögensteuer, Erbschaftsteuer und der Kapitalertragsteuer. Bisher werden gigantisch große Privatvermögen zu wenig besteuert, kritisiert Stierle. Allein eine Vermögensteuer von einem Prozent würde Deutschland 16 Milliarden Euro im Jahr einbringen.

Gemeinsam mit ver.di und der IG Metall spricht sich Attac für die sogenannte Solidarische Einfachsteuer aus, bei der hohe Vermögen stärker zur Haushaltsfinanzierung herangezogen werden sollen. Das Konzept sieht unter anderem einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent und einen Körperschaftsteuersatz von 30 Prozent vor. Der Staatshaushalt würde dadurch um rund zwölf Milliarden Euro entlastet. Kritik übt Stierle auch am halbherzigen Vorgehen der Regierungen gegen Steuerflucht. Ein Drittel der weltweiten Vermögen liege wohlbehütet in Steueroasen. Zudem betrieben die Länder bei der Unternehmenssteuer einen »Wettlauf nach unten«. »Anstatt durch Koordination auf internationaler Ebene ein angemessenes Steuerniveau aufrechtzuerhalten, verstehen sich die Staaten als Konkurrenten. Freilich verlieren sie dabei alle. Die Gewinner sind die Konzerne.« Stierles Appell lautet: Kooperation statt Standortwettbewerb.

Auch internationale Steuern müssten bedeutender werden – nicht zuletzt wegen der globalen Dimension von Armut. Eine der zentralen Forderungen von Attac ist darum die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer. Selbst bei einem niedrigen Steuersatz von nur 0,1 Prozent lägen die Einnahmen bei rund 720 Milliarden Euro jährlich. Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellt sich vor allem im Hinblick auf die Entwicklungsländer. Diese litten unter der aktuellen Welthandelspolitik, etwa den Exportsubventionen der Industrienationen oder der Privatisierung lebenswichtiger Rohstoffe. Auch die Schuldenberge seien ein Hindernis im Kampf gegen Armut. Dabei wäre eine komplette Annullierung der Schulden machbar, weiß Stierle. Er plädiert für eine Millionärssteuer. Das Vermögen der Millionäre steigt jährlich um sieben Prozent. Würde man davon nur ein Prozent einziehen, könnten innerhalb von acht Jahren die Schulden der ärmsten Länder getilgt werden.

Problematisch beurteilt Stierle die Dominanz von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der G20. Entscheidungen über das globale Krisenmanagement würden von jenen getroffen, die maßgeblich zu den Verursachern zählen. Die Rolle der UNO müsse dringend gestärkt werden, da in ihr auch die Länder des Südens vertreten seien. Allerdings müssten zivilgesellschaftliche Akteuren sich mehr beteiligen können. Ob realpolitische Lösung oder Utopie, der Aufruf des Buches lautet: Widerstand jetzt!

Steffen Stierle: Reichtum und Armut: eine Verteilungsfrage. VSA Verlag Hamburg 2010, 94 Seiten, 6,50 Euro.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2010


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