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Endlich ohne Naziaufmarsch

Dortmund: Polizei setzt Verbot des "Nationalen Antikriegstag" durch / Oberbürgermeister Sierau warf Antifas und Rechte in einen Topf

Von Marcus Meier, Dortmund *

Zum ersten Mal seit acht Jahren blieb Dortmund der gleichsam schon traditionelle »Nationale Antikriegstag« nebst Großaktionen von Nazis erspart: Das Bundesverfassungsgericht ließ ein Aufmarschverbot bestehen, die Polizei setzte es durch.

Sieben Jahre lang hatten Anhänger des »Nationalen Widerstands Dortmund« zusammen mit Kameraden aus allen Teilen der Republik durch Dortmunds Straßen marschieren und Parolen wie »Nationaler Sozialismus jetzt« skandieren dürfen. Sieben Mal beklagten sich danach Nazi-Gegner aus allen Lagern, die Polizei sei allzu manisch darauf erpicht, den Nazis einen ungestörten Aufmarsch zu ermöglichen oder gehe allzu rabiat mit Menschen um, die dagegen protestieren.

Und nun war alles so einfach: Mitte August wurden die drei wichtigsten Nazi-Organisationen in NRW, darunter der 62 Mitglieder starke »Nationale Widerstand Dortmund«, verboten. Am Freitag ließ das Bundesverfassungsgericht das Aufmarschverbot diverser niederrangiger Gerichte bestehen. Ein eher ungewöhnlicher Schritt, doch der Anmelder kam aus dem verbotenen »Nationalen Widerstand«.

Offenbar wollte auch Christian Worch - nicht mehr gänzlich unumstrittener Mastermind der Ultrarechten - nicht für seine Kameraden in die Bresche springen. Gerüchte, denen zufolge der im Versammlungsrecht Erfahrene als Ersatz-Demonstrationsanmelder einspringen und so ein Verbot umgehen könnte, bewahrheiteten sich nicht. So blieb Dortmunds Innenstadt tatsächlich beinahe nazifrei. Die Polizei setzte das Verbot eines Konzerts am Freitag und einer Demonstration am Samstag durch, hatte Bereitschaftspolizisten aus mehreren Bundesländern angefordert und musste lediglich zwei Nazis festnehmen. Mit dem Anlass entfielen auch die ganz großen Gegenaktionen. Dennoch demonstrierten ein- bis zweitausend Menschen am Samstag gegen Nazis und für Demokratie und Toleranz. Im von Nazis stark heimgesuchten Stadtteil Dorstfeld fand zudem ein »Friedensfest« statt.

Das Bündnis »Dortmund nazifrei«, das von Menschen aus Gewerkschaften, Kirchen, SPD, Grünen, Linkspartei und Piraten unterstützt wird, freute sich über einen »sehr bunten und friedlichen Tag«.

Herrscht nun eitel Sonnenschein? Nicht ganz. Die wissenschaftliche Leiterin von »Back Up«, der ortsansässigen Beratungsstelle für Opfer von Nazigewalt, wirft den Behörden vor, zu spät repressiv gegen die Dortmunder Naziszene vorgegangen zu sein. Zwar stünden die Dortmunder Nazis nach dem Verbot ihrer Organisation zunächst »vor dem Nichts«. Doch habe »die Polizei hier jetzt nichts gemacht, was sie vor drei Jahren nicht schon hätte tun können. Das war ein schweres Versäumnis!«, so Claudia Luzar gegenüber der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«. Nach Luzars Aussage sind viele der von »Back Up« beratenen Opfer tatsächlich von Tätern aus dem Umfeld des »Nationalen Widerstandes« angegriffen worden.

Am Samstag schoss zudem Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) einen kapitalen Bock. Dortmund brauche in Sachen Antifaschismus keine Belehrungen von auswärtigen Demonstranten, rief er autonomen Antifas zu, die Sieraus Rede auf dem Dorstfelder Friedensfest mit »Heuchler!«-Rufen störten. Sierau hatte zuvor ein zehntägiges Antifacamp massiv be-, Aktionen zum Teil verhindern lassen. »Wir können auch Mitgliedern aus dem Alerta!-Bündnis helfen, aus der Szene auszusteigen«, warf Sierau Linke aus dem antifaschistischen Bündnis und Nazis in einen Topf.

Jahrelang hatten Nazis Andersdenkende terrorisiert, mehrere Morde gingen auf ihr Konto. Von den Behörden mit Samthandschuhen angefasst, proklamierten die Gewalt-Nazis Dortmund als »unsere Stadt«. Doch der zivilgesellschaftliche Widerstand wuchs, teils von oben unterstützt. Anfang des Jahres wurde der als extrem unfähig empfundene Polizeipräsident durch einen neuen Besen namens Norbert Wesseler ersetzt.

Das Verbot des »Nationalen Widerstandes« und des »Nationalen Antikriegstages« seien begrüßenswert, aber »auch das Ergebnis von sieben Jahren kontinuierlicher antifaschistischer Arbeit in Dortmund«, betonte eine Sprecherin des »Alerta!«-Bündnisses. Stadt und Polizei seien gezwungen gewesen, auf den Druck von antifaschistischer Seite zu reagieren. Nun sei eine »inhaltlich-politische Auseinandersetzung mit den Nazis sowie dem Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft« erforderlich.

* Aus: neues deutschland, Montag, 03. September 2012


Kein Frieden für Nazis

Tausende demonstrierten am Wochenende in Dortmund gegen Neofaschisten und Krieg. "Nationaler Antikriegstag" fand nicht statt

Von Markus Bernhardt **


Mehrere Tausend Menschen haben am vergangenen Sonnabend in Dortmund gegen einen ursprünglich von Neofaschisten ausgerufenen »Nationalen Antikriegstag« demonstriert. Die bundesweite Demonstration der extremen Rechten war vergangene Woche von der Polizei untersagt worden, da der der Anmelder ein Führungskader des zuvor von NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) verbotenen »Nationalen Widerstandes Dortmund« war (jW berichtete).

Nachdem die Neonazis den Antikriegstag, der an den Überfall Deutschlands auf Polen erinnert, in den letzten sieben Jahren mißbraucht hatten, um unter Polizeischutz in der Ruhrgebietsmetropole aufzumarschieren, war es ihnen in diesem Jahr erstmals nicht möglich. Stattdessen fanden den ganzen Tag über Proteste verschiedener antifaschistischer Organisationen und Bündnisse gegen Neofaschismus und Krieg statt.

An einer Demonstration des Bündnisses »Dortmund stellt sich quer«, das bereits am Freitag Abend mit etwa 300 Personen gegen »Krieg, Imperialismus und Neonazis« protestiert hatte, nahmen am Sonnabend rund 2000 Antifaschisten teil.

An einem Mahngang, den das Bündnis »Dortmund gegen rechts« angemeldet hatte und der zu verschiedenen »Stolpersteinen« führte, die in Dortmund-Hörde in Erinnerung an während des Faschismus von den Nazis ermordete Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten verlegt wurden, nahmen etwa 200 Personen teil. Gleichzeitig kam es in der Innenstadt zu Antikriegskundgebungen der Naturfreundejugend und des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Kritik an der Polizei, die am Samstag mit mehr als 1000 Beamten im Einsatz war, übte Frank Laubenburg, Mitglied des Düsseldorfer Stadtrates. Er warf der Polizei »Ignoranz gegenüber der grundgesetzlich geschützten Versammlungsfreiheit« vor. Die Beamten hatten sich geweigert, eine spontan angemeldete antifaschistische Demonstration, die in den von vielen Neonazis bewohnten Stadtteil Dorstfeld führen sollte, zu genehmigen. »Der vermeintliche Kampf der Dortmunder Behörden gegen Nazis wurde dadurch zu einer völligen Farce, daß antifaschistische Proteste rechtswidrig verhindert und durch das behördliche Handeln Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden«, so Laubenburg am Sonntag im Gespräch mit jW. Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) äußerte hingegen, die Stadt brauche keine militanten Krawallmacher, um sich erklären zu lassen, was Antifaschismus sei.

** Aus: junge Welt, Montag, 03. September 2012

Später Sieg der Antifaschisten in Dortmund

Von Ulrich Sander ***

Für die VVN Dortmund hat Ulrich Sander eine Bilanz des erfolgreichen Wirkens gegen rechts in Dortmund gezogen, das seinen Höhepunkt darin fand, dass das Bundesverfassungsgericht erstmals einen Naziaufmarsch in Dortmund untersagte. Ulrich Sander nimmt auch kritisch zur Entwicklung der Antirechtskräfte Stellung. Er schreibt dazu in einer Zeitungskolumne: (mehr…)

Unsern Oberbürgermeister fand ich bisher immer ganz in Ordnung. Er hat voriges Jahr zur Blockade gegen die Nazis in Dortmund mit aufgerufen und stand dem Polizeipräsidenten gegenüber - und „der Ulli“, wie sie den OB Ullrich Sierau gern nennen, soll dem PP gesagt haben, was er von ihm hält. Nichts Gutes. Der OB hat zur Eröffnung der Ostermarschausstellung eine gute Rede gehalten und er setzt sich dafür ein, dass junge Leute ihren Datenschutz vor dem Zugriff der Bundeswehrpropaganda bekommen. Er rief auch am Wochenende die Dortmunder auf, weiter gegen Rechts anzugehen, allerdings mit merkwürdigen einschränkenden Untertönen.

Er steht an der Spitze einer Rekordstadt - Rekordarbeitslosigkeit in NRW und zwei Mal deutscher Fußballmeister BVB Borussia. Zu ersterem sagt er nicht viel, zum zweiten mehr. Die SPD hat bei der Wiederholungswahl vor drei Wochen sehr gut abgeschnitten. Seitdem können die Regierenden der Meisterstadt nicht mit dem Dauerwahlkampf aufhören - und nun nerven sie.

Neuerdings tun sie so, als hätten sie die Nazis ganz allein bekämpft Und als bräuchte es niemanden weiter, der uns gegen diese Leute unterstützt. Wenn junge Antifas von auswärts kommen, über die der Verfassungsschutz Ungünstiges sagt (wann sagen der schon mal etwas Günstiges über Antifaschisten?), dann schnauzt Sierau sie an, er nennt sie „Reisekrawallmacher“ und Provokateure, die wir hier nicht brauchen können. Mit dem Verbot des Antifa-Camps in Dortmund begingen die Stadtspitze und die Polizei einen schweren Tabubruch. Ich war mit solchen Camps in Mittenwald/Oberbayern, Hochburg der rechten Militaristen, - sogar da wurden sie geduldet.

Was war passiert? Nach zwölf Jahren des Kampfes auf der Straße gegen die Nazis, nach Polizeihaft und Wasserwerfern, nach Einkesselungen von Schülern, Spraygas und Hetze gegen die Antifas, aber auch nach Unterschriftensammlungen, nach unermüdlicher Aufklärungsarbeit in den Stadtteilen, auch nach Hilfe von auswärts - da haben wir es geschafft. Es wurde das Bundesverfassungsgericht erstmals dazu gebracht, den Nazis in Dortmund nicht zur Hilfe zu eilen. Leider nur in einer Einzelfallentscheidung. Dies wäre eigentlich schon seit Jahren genauso möglich gewesen. Nur es geschah nicht. Der neue Polizeipräsident hatte nun erkannt: In einer Stadt mit fünf Morden der Nazis, darunter der Mord am Kioskbesitzer Mehmet Kubasik durch den NSU-Terroristen, und mit wachsender Unruhe der Bevölkerung über den rechten Terror - in einer solchen Stadt kann er nicht so weitermachen, wie sein Vorgänger aufhörte. Es kam zum Verbot von „Kameradschaften“ und „Nationalem Widerstand“ und ihren Aufmärschen am 1.9.12.

Das wurde gemeinsam erreicht. Aber wir müssen wachsam bleiben. Und weiter machen. Auch richtiges staatliches Handeln müssen wir weiter einfordern. Niemals dürfen wir uns einfach zurücklehnen. Und auch die Antifas von außerhalb brauchen wir. Und natürlich auch den OB.

Was „die Politik“, wie sie sich gern nennen, die Leute aus dem Rathaus und dem Landtag, mit ihrem Verbot der Nazis einerseits und dem der Autonomen Antifa andererseits, geleistet haben, das bedarf noch gründlicher Erörterung. Zu meinen, wir müssen gleichermaßen gegen Rechts und Links vorgehen, wir müssen die provinzielle Fremdenfeindlichkeit der Konservativen auch irgendwie bedienen und außerdem bei Frau Merkel, Frau Schröder und Co. liebedienern, damit die weiter unsere Programme für Aussteiger, Neonaziopfer, Jugendzentren, Aufklärungsmaterial bezahlen, - das wird es nicht bringen. Wir kennen das: Beim Verbot der Linken wird es bleiben, bei dem der Rechten nicht. Der OB sagte: Wir machen nun auch Aussteigerprogramme für Linke - so am Samstagabend. Wir erinnern uns, solche Programme heißen „Radikalenerlass“.

Und bei dieser Gleichsetzung von Rechts und Links, da erlaube ich mir den Hinweis: Wer hat denn den Terror der Nazis geduldet und damit gefördert? Das waren keine Linken. Das waren Regierende! Da gibt es nichts auszusteigen, sondern da heißt es: Weiter gemeinsam. Der Feind steht rechts.

Ich war mit den „Verbotenen“ vom Antifa-Camp zwei Tage lang unterwegs, um ihr Programm vor dem 1. September mit zu gestalten. Das waren sehr sympathische Leute - andere aus dem Camp, die betrunken herumbrüllten, waren es nicht. Wir haben darüber geredet: Warum unterschreibt Ihr nicht, dass Ihr gewaltlos seid. Sie sagten, sie seien es, aber sie wollen doch auch mal von den Politikern unterschrieben bekommen, dass diese ebenfalls gewaltlos sind. Und damit waren nicht nur die Polizeipräsidenten und Innenminister gemeint. Damit waren die Kriegspolitiker gemeint. Und so verteilten die Jugendlichen Zettel, darauf stand: Wir sind für bunt statt braun, aber wir sind auch für bunt statt olivgrün.

*** Dieser Kommentar erschien sowohl auf der Website der VVN-BdA als auch in der Wochenzeitung "unsere zeit" vom 7. September 2012


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