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Reinfall für "autonome Nationalisten"

Etwa 15 000 Menschen protestierten gegen Nazi-Gedenkmarsch in Dortmund

Von Markus Bernhardt, Dortmund *

In letzter Minute wurde der »Nationale Antikriegstag« genehmigt. Etwa 15 000 Menschen stellten sich den Nazis in den Weg, hunderte blockierten den Dortmunder Hauptbahnhof.

Ganz anders als ursprünglich von den neofaschistischen »Autonomen Nationalisten« geplant, verlief am Sonnabend ein von den Rechten ausgerufener »Nationaler Antikriegstag« in Dortmund. Der nach dem sogenannten Trauermarsch in Dresden größte rechte Event in der Bundesrepublik war am Donnerstag überraschend von der Polizei verboten worden. Die Beamten hatten im Rahmen einer am Mittwoch bei einem 19-jährigen Aachener Neonazi durchgeführten Hausdurchsuchung Sprengsätze gefunden. Der junge Mann soll über ausgeprägte Kontakte zu Dortmunder Rechtsextremen verfügen und sich in der vergangenen Woche an Angriffen auf die linksalternative Szene-Kneipe »Hirsch Q« beteiligt haben. Diese Erkenntnisse hatten bei der Polizei zu einem Umdenken und dem daraus resultierenden Verbot geführt. Zwar hob das Bundesverfassungsgericht das Versammlungsverbot am Samstagvormittag per Eilentscheid auf. Die Rechtextremisten durften jedoch nicht – wie ursprünglich geplant – durch die nördlichen Innenstadt marschieren, sondern einzig eine Standkundgebung am Hafen abhalten.

Während aus Protest gegen die neuerliche Naziprovokation überall in Dortmund Kundgebungen und Mahnwachen stattfanden, waren am Morgen hunderte Nazigegner dem Aufruf des bundesweiten Bündnisses »Dortmund stellt sich quer!« gefolgt und hatten die Bahngleise des Hauptbahnhofs blockiert. Die Polizei, die im gesamten Stadtgebiet mit über 4000 Einsatzkräften zugegen war, beendete die friedlichen Blockaden jedoch bereits nach etwa zwei Stunden. Aufgrund des auf manchen Bahnsteigen sehr brutalen Vorgehens der Beamten wurden dutzende Personen leicht verletzt. Bärbel Beuermann, Fraktionschefin der LINKEN im nordrhein-westfälischen Landtag, wurde – obwohl sie sich als Landtagsabgeordnete auswies – gleich zwei Mal von Beamten zu Boden gestoßen sowie als »Schlampe« beschimpft. »Von den Blockaden ging keinerlei Eskalation aus. Trotzdem waren die Polizisten teilweise überaus aggressiv und wendeten auch schmerzhafte Nasen- und Ohrengriffe an. Mehrere Personen erlitten Gesichtsverletzungen, wie zum Beispiel blutige Nasen«, kritisierte Beuermann gegenüber ND.

Anna Conrads, innenpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion, kündigte an, den Vorwürfen nachgehen zu wollen. »Der Polizeieinsatz wirft einige Fragen auf, die in den kommenden Tagen von der Einsatzleitung und den politischen Entscheidungsträgern beantwortet werden müssen«, sagte sie.

Etwa 100 Nazigegner, die sich auf dem Weg zu den Blockaden befanden, wurden in der Nähe des Hauptbahnhofes von Beamten eingekesselt und vorläufig festgenommen. Sie mussten den Tag in im Polizeipräsidium aufgestellten Käfigen verbringen.

Etwa zeitgleich zu den von »Dortmund stellt sich quer!« organisierten Blockaden, verließen etwa 500 Neofaschisten einen Regionalzug im Dortmunder Stadtteil Scharnhorst und marschierten spontan Richtung Innenstadt. Die Polizei stoppte die nicht genehmigte Versammlung erst nach geraumer Zeit, erteilte den Rechtsextremen Stadtverbote und eskortierte sie aus der Stadt heraus.

An der Neonazikundgebung am Hafen nahmen indes einzig 500 statt der erwarteten 2000 Rechtsextremen teil. Offenbar überwog bei den anwesenden Rechtsextremen jedoch der Frust über den Verlauf des seitens der Dortmunder »Autonomen Nationalisten« so großspurig angekündigten Events. Offenbar auf eigenen Wunsch verließen mehrere Großgruppen von Neonazis den Kundgebungsort noch weit vor Ende der Veranstaltung eskortiert von der Polizei.

An einer vom örtlichen »Bündnis gegen Rechts« organisierten Demonstration nahmen indes etwa 200 Personen teil. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten schützte die Gedenkstätte Steinwache, die der Gestapo während des deutschen Faschismus als Gefängnis und Folterstätte diente, mit etwa 150 Personen vor potenziellen Attacken durch die Neonazis.

Die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der LINKEN, wertete die antifaschistischen Aktivitäten am Sonntag als Erfolg. Man habe es den Nazis so schwer wie irgend möglich gemacht und ein »eindrucksvolles Zeichen gegen die Nazis aber auch gegen die zunehmende Militarisierung und Kriegspolitik« gesetzt, sagte sie. Auch Peter Neuhaus, Sprecher von »Dortmund stellt sich quer!«, zeigte sich am Sonntag zufrieden. Die Planungen des breiten Bündnisses, dass unter anderem von Gruppen aus der Antifa- und Friedensbewegung als auch von DKP und LINKEN unterstützt worden war, seien aufgegangen. »Mehr war aufgrund der massiven Polizeipräsenz nicht herauszuholen«, konstatierte er.

Insgesamt nahm die Polizei am Sonnabend 131 Nazigegner und 35 Nazis vorläufig in Gewahrsam.

* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2010

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