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"Es droht ein unkontrollierbarer Flächenbrand"

Demonstrationen in Deutschland zum weltweiten Antikriegstag / Teilnehmerzahlen überschaubar

"Es droht ein unkontrollierbarer Flächenbrand" Demonstrationen in Deutschland zum weltweiten Antikriegstag / Kriegsgegner in Großbritannien im Aufwind Von Anja Krüger *

Vielerorts in der Bundesrepublik gingen am Antikriegstag Menschen auf die Straße. In Köln beteiligten sich rund 200 an einer Demonstration.

Bei den Aktionen der Friedensbewegung zum Antikriegstag am 1. September standen Proteste gegen die drohenden Militärschläge gegen Syrien im Mittelpunkt. »Nein zum Krieg gegen Syrien«, forderten die Demonstranten am Wochenende in Köln und vielen anderen Städten.

Rund 200 Menschen versammelten sich vor dem Kölner Dom. »Wir sind nicht allein«, ruft Peter Förster vom Arbeitskreis Zivilklausel an der Universität Köln ihnen zu. Der Arbeitskreis hat gemeinsam mit der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK), dem Friedensforum Köln, der Föderation Demokratischer Arbeitervereine (DIDF) und der Vereinigung der Kölner Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) zu der Kundgebung aufgerufen. »Bei 156 Veranstaltungen in Deutschland aus Anlass des Antikriegstags demonstrieren Menschen, damit der amerikanische Präsident Obama gestoppt wird mit seinen Kriegsplänen«, sagt Peter Förster.

Nach Angaben des Netzwerks Friedenskooperative setzen Friedensgruppen zwischen Aachen, Erfurt, München und Hamburg bei Veranstaltungen zum Antikriegstag Zeichen gegen die drohenden Militärschläge. In Düsseldorf organisiert das lokale Friedensforum die Mahnwache »Unsere Stimme gegen den drohenden Krieg gegen Syrien«, in Kassel findet eine Kundgebung auf dem Opernplatz statt. Das in Bonn ansässige Netzwerk Friedenskooperative ist davon überzeugt, dass das Scheitern des britischen Premierministers Cameron bei der Abstimmung im Unterhaus die Antikriegsgruppen in der BRD und in den USA ermutigt. »Die weitgehende Ablehnung der nicht vermittelbaren Strafaktion gegen das Assad-Regime in der Bevölkerung kann die Regierungen zur Vernunft zwingen«, sagt Netzwerk- Geschäftsführer Manfred Stenner.

Das hoffen auch die Demonstranten auf dem Kölner Domplatz. »Wir können die weitere Eskalation noch verhindern«, sagt die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (LINKE). Von der Türkei über Deutschland und Großbritannien bis in die USA sei die Mehrheit der Bürger gegen den Krieg gegen Syrien. Im Bundestag sei so ein Abstimmungsergebnis wie im britischen Unterhaus aber leider nicht zu erwarten. Die Linksfraktion hat eine Debatte zu Syrien beantragt. »Alle anderen Fraktionen haben das abgelehnt«, sagt sie. »Sie haben nicht einmal den Mumm, wie die britischen Kollegen darüber zu diskutieren.«

Manche der Kölner Demonstranten hatten damit gerechnet, dass viel mehr Menschen gegen die Angriffspläne auf die Straßen gehen würden – und hoffen, dass das noch geschieht. »Die Antikriegs-Bewegung in Deutschland ist ein schlafender Riese«, sagt Thies Gleiss von der Kölner LINKEN. »Wenn es einen konkreten Anlass gibt, erwacht sie.«

In Berlin protestierten nach Agenturangaben mehrere hundert Menschen gegen eine mögliche Militärintervention in Syrien. Sie zogen durch den Stadtteil Mitte rund ums Brandenburger Tor. Nach Veranstalterangaben nahmen etwa 750 Menschen an dem Zug teil. Die Demonstranten trugen syrische Nationalfahnen und Plakate mit der Aufschrift »Stop killing, start talking« (»Stoppt das Töten, fangt an zu sprechen«). Der Berliner Landesverband der LINKEN erklärte als einer der Organisatoren der Demonstration, jedes militärische Eingreifen in Syrien erhöhe die Gefahr eines »völlig unkontrollierbaren Flächenbrandes«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 2. September 2013

Lesen Sie auch:

Keine Militärintervention in Syrien!
Gegen Waffenexporte und Rüstungsproduktion. Gewerkschaften und Friedensbewegung zum Antikriegstag. Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag (28. August 2013)




Zahlreiche Proteste gegen drohenden Angriff

Antikriegstag: 140 Veranstaltungen in ganz Deutschland **

Am gestrigen »Antikriegs- und Weltfriedenstag« haben weltweit zahlreiche Menschen gegen die drohende Bombardierung Syriens durch die USA protestiert. Auch in Deutschland nahmen Tausende an Veranstaltungen teil, zu denen Friedensinitiativen und Gewerkschaften aufgerufen hatten. Nach Angaben des Netzwerkes Friedenskooperative waren bundesweit etwa 140 Aktionen vorgesehen: Demonstrationen, Mahnwachen, Kundgebungen.

Das Berliner Bündnis »Legt den Leo an die Kette«, das ursprünglich gegen den Export deutscher Leopard-II-Panzer protestieren wollte, hatte sich dazu entschlossen, das Motto der Demonstration zu ändern. Gemeinsam mit Gruppen der Berliner Friedenskoordination trafen sich die knapp 800 Teilnehmer vor dem Brandenburger Tor. Redner waren der Friedensaktivist und Buchautor Jürgen Grässlin, der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele sowie seine Parlamentskollegin Christine Buchholz von der Linkspartei. Beide warnten davor, militärisch in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Das würde das Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung noch vergrößern und die Gefahr eines Flächenbrandes heraufbeschwören.

Auch in Frankfurt am Main protestierten Hunderte gegen den geplanten Angriff. Vor der Alten Oper versammelten sich nach Angaben der Veranstalter etwa 2000 Menschen, die Polizei sprach von 700. Dem Aufruf des Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien hatte sich ein breites Bündnis von Organisationen angeschlossen. Nach Angaben von Teilnehmern nahmen an der Veranstaltung syrische Assad-Anhänger, türkische Sozialdemokraten, Anhänger der libanesischen Hisbollah, deutsche Kommunisten und Sozialisten sowie zahlreiche Gewerkschafter teil. An Polit-Prominenz seien vor allem Linke-Politiker gesichtet worden – so der Obmann der Linkspartei im Auswärtigen Ausschuß, Wolfgang Gehrcke. Hauptlosung des Protestzuges war »NATO, Golfmonarchien, Israel: Hände weg von Syrien!«

** Aus: junge Welt, Montag, 2. September 2013


Kriegsgegner im Aufwind

Abstimmungsniederlage stürzt britische Regierung in die Krise

Von Christian Bunke, Manchester ***


Rund 5000 Menschen haben am Samstag in London bei einer Friedensdemonstration die Entscheidung des britischen Unterhauses gefeiert, einer Kriegsbeteiligung des Vereinigten Königreichs die Zustimmung zu verweigern. 30 konservative und neun liberaldemokratische Abgeordnete hatten mit der Labour-Opposition gegen das Kabinett gestimmt. Es war das erste Mal seit 1782, daß eine britische Regierung eine Kriegsabstimmung im Parlament verloren hat.

Nun ist Premierminister David Cameron um Schadensbegrenzung bemüht. George Young, der für die Disziplin der konservativen Parlamentsfraktion zuständig ist, wird wohl seinen Hut nehmen müssen. Dasselbe gilt für vier Minister, die gegen die eigene Regierung gestimmt haben. In den britischen Medien fragen die Kommentatoren jedoch, ob die Koalition aus Tories und Liberalen noch bis zu den nächsten Parlamentswahlen durchhalten kann. Denn auch ein Abstimmungserfolg im Parlament hätte für Cameron und seine Mitstreiter Probleme bedeuten können. Umfragen zufolge befürworten nur acht Prozent der Bevölkerung einen Militärschlag gegen Syrien. Eine Beteiligung Londons daran hätte deshalb einen erneuten Aufschwung für die Antikriegsbewegung bedeuten und wieder Zehntausende Menschen auf die Straße bringen können. Solche Proteste kann die Regierung nicht gebrauchen. Sie ist ohnehin unbeliebt und steht unter vielschichtigem Druck. Das reicht vom Umweltschutz über Demonstrationen gegen die Privatisierung des staatlichen Gesundheitssystems bis hin zu Streiks. So plant die Feuerwehrgewerkschaft FBU ihren ersten landesweiten Ausstand gegen Rentenkürzungen seit 2003.

Ob die Regierung fällt, liegt nicht zuletzt an den Aktionen, die die Arbeiterbewegung in den kommenden Wochen und Monaten plant. Für Ende September rufen die Gewerkschaften zu einer Großdemonstration gegen den Parteitag der Konservativen in Manchester auf. Auf dem in den nächsten Tagen stattfindenden Kongreß des britischen Gewerkschaftsbundes TUC steht auch die Frage eines Generalstreiks gegen die Regierung zur Diskussion.

Vor diesem Hintergrund hatte Labour-Parteichef Edward Miliband seiner Parlamentsfraktion befohlen, einen Krieg gegen Syrien abzulehnen. Das wird ihm für kurze Zeit Sympathiepunkte bringen, obwohl der Politiker einer Kriegsbeteiligung nicht grundsätzlich abgeneigt ist. Er hatte lediglich mehr Zeit für die UN-Inspektoren verlangt, um die richtigen »Beweise« zu finden. Somit steht der Labour-Chef für einen zeitverzögerten Kriegseinsatz, so wie er für langsamere Sparmaßnahmen steht, die aber die britische Bevölkerung genauso hart treffen würden wie das gegenwärtige Regierungsprogramm.

Doch auch die Armee steht einem Kampfeinsatz skeptisch gegenüber. David Richards, Oberkommandierender der britischen Streitkräfte, erklärte in mehreren Interviews, daß ein solcher Einsatz einen längeren Krieg mit Syrien zur Folge hätte. In der durch die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie durch Einsparungen geschwächten Truppe gibt es Bedenken, ob Großbritannien derzeit zu einer Kriegsbeteiligung überhaupt in der Lage wäre. Aus Militärkreisen ist allerdings zu hören, daß man trotz des Parlamentsvotums den USA logistische Unterstützung für einen Angriff auf Syrien leisten werde. So soll unter anderem eine britische Abhöranlage auf Zypern in den Dienst der USA gestellt werden.

*** Aus: junge Welt, Montag, 2. September 2013


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