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"Nein zum Krieg gegen Syrien, – ja zu einem Rüstungsexportstopp und zu ziviler Konfliktbearbeitung im Nahen und Mittleren Osten"

Redebeitrag von Jürgen Grässlin bei der Friedensdemonstration am 1. September 2013 in Berlin *

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

das Pulverfass Syrien steht vor der Explosion, ein Flächenbrand im Nahen und selbst im Mittleren Osten ist nicht auszuschließen.

Mit Verweis auf Gräueltaten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad drohen allen voran die USA und Frankreich mit einem Militärschlag gegen Ziele in Syrien. Zweifelsfrei verantwortet auch das Assad-Regime Kriegsverbrechen. Diese legitimieren jedoch weder aus moralischer noch aus rechtlicher Sicht einen völkerrechtswidrigen Gewaltakt der US-amerikanischen und französischen Streitkräfte, zudem ohne Mandat der Vereinten Nationen. Gewalt erzeugt immer Gegengewalt und trägt damit zur Konflikteskalation bei.

Als Begründung für den alsbald drohenden Militärschlag dienen den beteiligten NATO-Staaten fürchterliche Giftgasangriffe mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Toten, darunter zahlreiche Kinder. Die Bilder, die uns von diesem offensichtlichen Chemiewaffeneinsatz erreichen, erinnern eklatant an die des Giftgasangriffs der Schergen des irakischen Diktators Saddam Hussein im Irak. Vor 25 Jahren wurden in Halabdscha rund 5000 Kurden mit Giftgas ermordet – damals maßgeblich aus Deutschland stammend, wie sich im Nachhinein herausstellte.

Die US-Regierung um Präsident Barack Obama behauptet, dass das Regime Assad den Chemiewaffeneinsatz zu verantworten habe – glaubhafte Beweise aber liegen bisher nicht vor. Wird auch dieser Kriegseinsatz auf Grundlage einer weiteren Kriegslüge geführt werden? Im Jahr 2003 mussten – definitiv nicht vorhandene – Massenvernichtungswaffen“ in Besitz des Regimes Hussein als Interventionsgrund herhalten.

Die Schuldzuweisung von US-Außenminister John Kerry und Präsident Barack Obama gegenüber dem Assad-Regime ist keinesfalls glaubwürdig, sie ist nicht einmal logisch. Der folgenschwerste Giftgaseinsatz fand nahe dem Zeitpunkt statt, da die UN-Inspekteure Syrien bereisten. Nicht ausschließbar ist zurzeit, dass Rebellen den Chemiewaffeneinsatz durchführten, um eine Intervention der NATO zu provozieren.
  • Die Friedensbewegung lehnt jegliche Form des Einsatzes militärischer Mittel ab – auf Seiten des Assad-Regimes, der Rebellen und der NATO!
Die Gefahr eines Flächenbrandes ist immens. Nachbarstaaten wie Saudi-Arabien und Israel u.a. könnten Kriegsparteien werden´- desgleichen Russland und die USA.
  • Wir fordern die Bundesregierung zur positiven Einflussnahme auf die Bündnispartner in der NATO auf: In Syrien darf keinerlei militärisches Eingreifen erfolgen!
Seit Jahren gilt ein internationales Waffenembargo gegenüber Syrien, das seitens Russlands durch zahlreiche Waffenlieferungen an das Regime Assad wiederholt unterwandert wurde und wird. Auch die USA, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei brechen das bestehende Waffenembargo durch Lieferungen von Kriegswaffen an Rebellenorganisationen.

Auch deutsches Kriegsgerät ist vor Ort. Noch im Sommer 2011 präsentierte Mercedes-Military auf seiner Website den erfolgten Verkauf von mehr als 150.000 Militärunimogs u.a. an den Irak, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und auch an Syrien.[Schwarzbuch Waffenhandel, S. 294 ff.]

Welche Rolle also spielt die Bundesrepublik Deutschland in diesem Konflikt? Seit Jahren, vielfach seit Jahrzehnten – genehmigen die jeweiligen Bundesregierungen die massive Hochrüstung verfeindeter Staaten im Krisen- und Kriegsgebiet Naher und Mittlerer Osten.

Einige Beispiele unter immens vielen:
  • Israel hat mittlerweile fünf U-Boote von HDW in Kiel, einem Tochterunternehmen von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), erhalten. Auf diesen U-Booten der Dolphin-Klasse hat die israelische Marine Atomraketen stationiert.
  • Saudi-Arabien wurde mit Militärfahrzeugen, einem Produktionswerk zum Eigenbau von G36-Sturmgewehren und einer 9000 Kilometer langen Grenzsicherungsanlage hochgerüstet. Zurzeit läuft der Export von 72 Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter/Typhoon. Zudem droht die Lieferung von 270 Kampfpanzern des Typs LEOPARD-2A7+ - in der speziellen Version zur Aufstandsbekämpfung – an das repressive Königshaus in Riad.
  • Der Genehmigungswert deutscher Waffentransfers in die sechs Staaten des Golf-Kooperationsrates wurde innerhalb eines Jahres von 570 Mio. Euro (2011) auf 1,42 Mrd. Euro (2012) mehr als verdoppelt. Im ersten Halbjahr 2013 liegt der Wert mit 817 Mio. Euro noch höher als der von 2012.
Wenige Wochen vor der Bundestagwahl mimt die Bundesregierung derweil den Friedensapostel. Kanzlerin Angela Merkel verkündet, sie werde einem Militärschlag gegen das Regime Assad nicht zustimmen, schließlich sei Deutschland ein friedliebendes Land.
  • Frieden, Freiheit und die Wahrung von Menschenrechten propagieren und gleichzeitig Waffen an Diktatoren und Kriegstreiber liefern – diese Politik der christlich-liberalen Bundesregierung ist heuchlerisch und verlogen!
Den Weg der Waffengewalt pflastern schon jetzt mehr als 100.000 Kriegstote, Abermillionen Menschen befinden sich auf der Flucht. Wenn der Krieg in Syrien weiterhin eskaliert, dann profitiert davon allenfalls die Rüstungsindustrie in Russland, den USA und Europa.

Frieden kann nur mit den Mitteln des Friedens geschaffen werden. Aus diesem Grund fordern wir entscheidende Schritte, die den Weg zu Entmilitarisierung und Abrüstung ermöglichen:
  • Wir fordern den endgültigen und dauerhaften Stopp aller Waffenexporte in den Nahen und Mittleren Osten! Der geplante Export von LEOPARD-2-Kampfpanzern an Saudi-Arabien muss verhindert werden!
  • Wir fordern die Unterstützung derjenigen syrischen Oppositionellen, die sich gewaltfrei für die Wiederherstellung von Demokratie und die Wahrung von Menschenrechten einsetzen!
  • Wir fordern den sofortigen Abzug der Patriot-Raketen der Bundeswehr aus der Türkei! Diese erhöhen massiv die Gefahr, dass Deutschland direkt Kriegspartei wird.
  • Wir fordern umfassende humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien und Unterstützung der Kriegsflüchtlinge innerhalb und außerhalb Syriens!
  • Wir fordern die Aufnahme von Flüchtlingen und Deserteuren! Diese Forderung muss explizit auch für Europa und für Deutschland gelten.
  • Und wir fordern die Einberufung einer Friedenskonferenz für Syrien! An dieser Syrien-Konferenz müssen alle Konfliktparteien und die Staaten der Region beteiligt werden. Ziel muss sein, für den gesamten Nahen Osten eine Lösung zu finden.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

dem Kriegsterror und dem Waffenhandel setzen wir mit eine aktive und ernstzunehmende Friedenspolitik entgegen. Deshalb sagen wir mit unserer heutigen Demonstration in Berlin:

Nein zum Krieg gegen Syrien!
Ja zu einem Rüstungsexportstopp und ja zur zivilen Konfliktbearbeitung im Nahen und Mittleren Osten!

* Jürgen Grässlin ist Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD), Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.) und der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Er ist Autor zahlreicher kritischer Sachbücher über Rüstungsexporte sowie Militär- und Wirtschaftspolitik, darunter internationale Bestseller. Zuletzt verfasste er das »Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient« (Heyne-Verlag München). Grässlin wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem »Aachener Friedenspreis«.


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