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Das All als künftiges Gefechtsfeld? Schleichende Militarisierung des Weltraums

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien"


Moderation: Andreas Flocken
Der Weltraum rückt immer mehr ins Blickfeld der Streitkräfte. Ohne Satelliten geht heute nichts mehr. Damit sind sie aber im Konfliktfall zugleich potenzielle Ziele. Die Gefahr besteht, dass es im Weltraum zu einem Wettrüsten kommt. Hören Sie Jerry Sommer:

Manuskript Jerry Sommer

X-37B heißt das kleine unbemannte US-Raumschiff, das nach 220 Tagen im All Ende letzten Jahres zur Erde zurückkehrte. Der Auftraggeber war nicht die zivile amerikanische Weltraumagentur NASA, sondern die US-Luftwaffe. Über die Mission des Raumgleiters gibt es widersprüchliche Aussagen. Der Konfliktforscher Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Neuneck
„Im Augenblick sagt man, dass er dazu da ist, Nutzlasten sehr schnell auszusetzen. Aber er ist auch bestückbar mit Satelliten, die dann eigenständig andere Satelliten zerstören, manipulieren oder blenden könnten. Das heißt, potenziell kann daraus eine Weltraumwaffe werden.“

Der US-Weltraumexperte Jeff Manber kritisiert vor allem die mangelnde Offenheit der US-Regierung:

O-Ton Jeff Manber (overvoice)
„Warum schweigt die Luftwaffe über die Fähigkeiten und Ziele des Raumgleiters? Wir versuchen doch andere Staaten zu mehr Transparenz zu bewegen. Deshalb ist es einfach falsch, so geheimniskrämerisch zu sein.“

Der Weltraum spielt nicht nur für den Alltag der Menschen, sondern auch für das Militär eine immer größere Rolle. Über Satelliten werden feindliche Stellungen und Bewegungen geortet. Bilder werden in Echtzeit an die militärischen Kommandostellen oder auch direkt an die Soldaten vor Ort gesendet. Fast die gesamte Kommunikation mit der Truppe läuft inzwischen über Satelliten. Präzisionsmunition wird mit Hilfe von Satelliten in Ziele navigiert.

Die USA sind zivil wie militärisch die dominierende Weltraummacht. Weil die Supermacht global agieren möchte, ist sie besonders auf ihre Systeme im Weltraum angewiesen. Die Hälfte der etwa 170 rein militärischen Satelliten, die ständig um die Erde kreisen, gehört den USA. Aber auch Russland, China, Deutschland, Frankreich und andere Staaten nutzen Satelliten für militärische Zwecke.

Völkerrechtlich ist die militärische Nutzung des Weltraums nur durch eine einzige Bestimmung des Weltraumvertrages von 1967 eingeschränkt. Der Experte für Internationales Recht Hans-Joachim Heintze von der Universität Bochum:

O-Ton Heintze
„Dieser Vertrag verbietet die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im Weltraum. Insofern gibt es eine gewisse Einschränkung der militärischen Nutzung des Weltraums.“

Ansonsten gibt es keine Verbote, auch wenn der Weltraumvertrag besagt, dass der Weltraum allen Staaten zur friedlichen Nutzung zur Verfügung stehen soll. Die friedliche Nutzung ist jedoch nicht näher definiert. Nach dem gängigen Verständnis der Weltraumstaaten umfasst diese auch Maßnahmen zur militärischen „Selbstverteidigung“ – ein äußerst dehnbarer Begriff.

Die bisher im Weltraum stationierten passiven militärischen Systeme wie Aufklärungssatelliten sind verwundbar. Sie können von der Erde aus zerstört werden. China hat 2007 mit einer Rakete einen eigenen Satelliten abgeschossen. Die USA zerstörten mit einer für ihr Raketenabwehrsystem entwickelten AEGIS-Rakete ein Jahr später einen außer Kontrolle geratenen, abstürzenden eigenen Militärsatelliten. Auch Russland hat die Fähigkeit, von der Erde aus Raketen als Anti-Satelliten-Waffen einzusetzen. Im Prinzip haben alle 11 Staaten, die gegenwärtig Trägerraketen in den Weltraum schicken können, schon heute oder aber in naher Zukunft diese Möglichkeit. Darunter sind neben den fünf nuklearen Großmächten auch Staaten wie Israel, Japan, Deutschland, Iran und Nordkorea.

Angesichts der technologischen Entwicklung besteht die Sorge, dass aktive Waffensysteme im Weltraum stationiert werden könnten – sei es, um von dort andere Satelliten oder aber Raketen oder sogar Objekte auf der Erde angreifen zu können. Eine Stationierung von Waffen im All wäre eine neue Stufe der Militarisierung des Weltraums. Die Gefahr, dass Konflikte auch im Weltraum ausgetragen würden, wäre dann nicht mehr auszuschließen.

Auch wenn manche Waffensysteme heute noch Zukunftsmusik sind, schreitet die Entwicklung von Weltraumwaffen voran. Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik:

O-Ton Neuneck
„Es gibt eine ganze Bandbreite von möglichen aktiven Satelliten. Angefangen von Minisatelliten, die andere Satelliten manipulieren können, bis hin zu Minen, also kleine Sprengladungen, die an einen anderen Satelliten herangeführt werden und dann zerstört werden.“

Die USA forschen zum Beispiel im Rahmen ihres Raketenabwehrprogramms an Hochenergielasern, die auf Flugzeugen stationiert werden sollen. Experten glauben, dass der kleine Raumgleiter X37-B auch als aktive Weltraumwaffe eingesetzt werden könnte. Wie viele Weltraumtechnologien, ist der Raumgleiter sowohl militärisch als auch zivil nutzbar.

Die UN-Vollversammlung fordert seit Jahren den Abschluss eines Vertrages, um eine weitere Militarisierung des Weltraums zu verhindern. Russland und China haben 2008 einen Entwurf für einen solchen Vertrag vorgelegt. Allerdings hat es hierüber bisher keine ernsthaften Verhandlungen gegeben. Denn George W. Bush hatte in seiner Amtszeit Rüstungskontrolle und speziell neue Regelungen für den Weltraum abgelehnt. Die US-Handlungsfreiheit im Weltraum sollte nicht einschränkt werden. Präsident Barack Obama stellte im vergangenen Juli seine Weltraumstrategie vor. Diese unterscheidet sich von der seines Vorgängers, urteilt der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze von der Universität Bochum:

O-Ton Heintze
„Die neue Weltraumstrategie versucht, kooperativ mehr Sicherheit zu schaffen, weil man erkannt hat, dass die neuen Herausforderungen für die USA nicht so sehr die Chinesen und die Russen sind, sondern mehr sogenannte Schurkenstaaten. Und die kann man nur kollektiv bekämpfen.“

Allerdings lehnt auch die Obama-Administration einen umfassenden Rüstungskontrollvertrag für den Weltraum offiziell ab. Deshalb kommen Gespräche über den chinesisch-russischen Vertragsentwurf und andere Initiativen nicht voran. Obama hat bisher auch keine Alternativen auf den Tisch gelegt. Das liegt nicht nur an der tatsächlich schwierigen Frage der Definition, was denn eigentlich eine Weltraumwaffe ist. Denn im Prinzip kann jede ballistische Rakete zur Zerstörung von Satelliten benutzt werden. Insofern können bodengestützte Anti-Satellitenwaffen praktisch nicht vertraglich verboten werden.

Ein weiterer schwerwiegender Grund, warum Weltrauminitiativen nicht voran kommen: Obama möchte ebenso wenig wie seine Vorgänger die Handlungsfreiheit der USA im All begrenzt sehen. Dabei steht er unter dem Druck der starken US-Raketenabwehrlobby, die immer wieder Vorschläge zur Stationierung von Raketenabwehrwaffen im Weltall entwickelt. Eine solche Stationierung werde es unter Obama allerdings nicht geben, glaubt der Hamburger Rüstungsforscher Götz Neuneck, zumal dies technisch noch gar nicht machbar sei:

O-Ton Neuneck
„Allerdings gibt es auch jetzt noch Programme im US-Militärbudget, die man interpretieren kann als potentielle Weltraumwaffen. Es gibt ganz einfach Forschungsprogramme, die in diese Richtung gehen, weil dafür sehr viel Geld ausgegeben wird und sich immer wieder diejenigen durchsetzen, die sagen: Wir müssen mindestens die Kapazitäten vorhalten.“

Einen umfassenden völkerrechtlichen Vertrag wird es deshalb auch unter Obama wohl nicht geben. Trotzdem kann man international der weiteren Aufrüstung im Weltraum kooperativ entgegentreten – zum Beispiel durch eine politische Vereinbarung der circa ein Dutzend Weltraummächte, meint Götz Neuneck:

O-Ton Neuneck
„Ich glaube, wenn die im Weltraum beteiligten Staaten, sich zusammenfinden und ein klares Statement abgeben, dass sie nicht beitragen werden, Waffen in den Weltraum zu bringen, auch nicht beitragen, Satelliten im Weltraum zu zerstören, dann wäre das ein enormer Schritt vorwärts. Das würde das Tabu bestärken, diese Schritte nicht zu gehen.“

Doch hierzu fehlt zurzeit vor allem den USA noch der politische Wille.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 12. Februar 2011; www.ndrinfo.de


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