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US-Satellitenabschuss: Space Cowboys testen Weltraumwaffe

Von Andrej Kisljakow *

Am gestrigen Donnerstag (21. Februar 2008) schossen die USA den Aufklärungssatelliten US-193 auf den Weltraumschrottplatz.

Man kann unendlich lange darüber streiten, ob der außer Kontrolle geratene Satellit abgeschossen werden musste oder nicht. Es werden sich immer Für- und Gegenargumente finden. Aber wir sind uns wohl alle darüber einig, dass die zwar unbedeutende, aber doch bestehende Möglichkeit, dass auf Millionen und Abermillionen Menschen ein tonnenschwerer und tödlich gefährlicher Satellit vom Himmel fällt, den Wunsch hervorruft, ihn schnellstmöglichst zu beseitigen.

Es geht um etwas anderes: Die Frage ist beendet, ob die Amerikaner neben der mobilen Luftverteidigung auch eine geographisch günstige Raketenabwehr auf der See haben oder nicht. Ja, die Amerikaner haben sie - vorläufig allein.

Vielleicht haben die Amerikaner insofern Glück, als sie nach keinem Vorwand zu suchen brauchten, um den entsprechenden Test durchzuführen. Der Raumapparat, der unaufhaltsam auf die Erde zusteuerte, hat ihnen die einmalige Gelegenheit geboten, auf ein echtes Ziel mit einem Waffensystem zu schießen, das zu Star-Wars-Zeiten in den fernen 80er Jahre entstanden war.

Doch Glück hat mit der Sache nichts zu tun, denn die Vernichtung des Satelliten gleich mit der ersten Rakete ist durch ein sachkundig realisiertes Programm für den Aufbau der Flotte bedingt, die dazu da ist, die Luftabwehr und die Raketenabwehr in allen potentiell gefährlichen Gebieten unseres Planeten sicherzustellen.

Ronald Reagans strategische Pläne, den Westen vor den hinterlistigen "Sowjets" global zu schützen, haben einige wirklich wertvolle Ideen im Bereich der Raketenabwehr hervorgebracht. So wurde beschlossen, den Fla-Raketenkomplex "Aegis", der sich Anfang der 80er Jahre gut bewährt hatte, ins künftige regionale Raketenabwehrsystem (Theater Missile Defense - TMD) einzubauen.

Der erste mit diesem Komplex ausgerüstete Kreuzer "Ticonderoga" wurde 1983 bei den Kämpfen in Libanon eingesetzt, wo er nicht nur für die Artillerieunterstützung sorgte, sondern auch die Luftverteidigung der US-Verbände gegen die Gefahren aus der Luft und die Raketenangriffe schützte.

Die Grundlage des Systems "Aegis" ist die Radarstation SPY-1A mit zwei Paar unbeweglichen Antennen mit einem phasierten Gitter. Als Waffe dient die zweistufige Feststoffrakete "Standard" SM2-ER auf zwei Abschussrampen.

Die Effektivität der Abwehr gegen massierte Angriffe von sehr manövrierfähigen Flugzeugen, die bei einem intensiven funkelektronischen Kampf mit hoch- und niedrig fliegenden Seezielraketen zusammenwirken, ließen die Amerikaner vermuten, dass wenigstens ein Versuch möglich wäre, auf der Grundlage der Fla-Rakete "Standard" einen Abfänger für die Vernichtung von ballistischen Raketen und in Zukunft auch von nahen Satelliten zu entwickeln.

Hoffnungserweckend waren Mitte der 80er Jahre erfolgreich durchgeführte wissenschaftliche Forschungsarbeiten an der Entwicklung der Gefechtsstufe einer außeratmosphärischen Abfangrakete LEAP (Lightweight Exo-Atmospheric Projektile). Im Endergebnis gelang es einer von US-Flugzeugbauer Boeing geleiteten Gruppe von Firmen, im Auftrag der Kriegsmarine eine solche Stufe zu entwickeln.

Die erste erfolgreiche Erprobung der dreistufigen neuen Rakete, die die Bezeichnung Standard SM3 erhielt, fand am 24. September 1999 statt: Die Rakete flog auf der vorberechneten Bahn. Anfang 2001 fasste die Kriegsmarine den Beschluss, mit Abfangtests eines realen ballistischen Ziels zu beginnen. Am 21. November 2002 traf eine von Bord des Kreuzers "Lake Erie" gestartete Abfangrakete die Zieldarstellungsrakete "Aries" in einer Höhe von 152 Kilometer und der Entfernung von 170 Kilometer zum Schiff.

Das Ergebnis: Heute gehören zum Waffenbestand der US-Seestreitkräfte drei Schiffe mit dem Raketenabwehrkomplex "Standard-Aegis". Eines davon, die schon erwähnte "Lake Erie", hat erfolgreich den abstürzenden Satelliten getroffen.

Zu erwähnen ist eine charakteristische Besonderheit dieses Abschusses. Die Amerikaner verbargen nicht, dass sie sich beinahe drei Wochen lang mit der "Standard" abgeben mussten, um den Satelliten erfolgreich zu vernichten. Die Charakteristika eines ballistischen Ziels im Weltraum unterscheiden sich nämlich von den entsprechenden Parametern eines Satelliten, darunter in der Geschwindigkeit und dem Hitzegrad. Die aktive Lenkeinrichtung des kinetischen Gefechtsteils der SM3-Rakete musste eilig umprogrammiert werden. Auf diese Weise waren die Amerikaner von den Modernisierungsmöglichkeiten ihrer Waffe überzeugt.

In diesem Zusammenhang sei mir erlaubt, einen zumindest oberflächlichen Vergleich zur Lage im Bereich der zonalen Raketenabwehr unserer Streitkräfte anzustellen. Soweit ich mich erinnern kann, sprach Präsident Wladimir Putin von deren Notwendigkeit schon zu Anfang seiner ersten Amtszeit im Jahr 2001. Als die Hauptleistung in dieser Hinsicht kann heute höchstens das immer intensivere Gerede über die Notwendigkeit bezeichnet werden, alle Kräfte und Mittel der Luft- und Weltraumverteidigung unter dem Kommando zum Beispiel der Luftstreitkräfte zu konzentrieren.

Der theoretische Teil ruft vorläufig keine Fragen hervor, sehr im Unterschied zum materiellen Teil. Hier nur eine davon: Wo ist er, dieser "Teil" im kosmischen Bereich? Bisher ist der Fla-Raketenkomplex der vierten Generation S-400 "Triumph" als solcher erklärt worden, der im vorigen Jahr als einziges Exemplar in den Dienst bei Moskau gestellt wurde.

Tatsächlich aber können wir die Aufgaben, die die US-"Standard" beispielsweise heute bewältigt hat, erst dann lösen, wenn das Anfang des vorigen Jahres eingeleitete Programm für die Entwicklung eines einheitlichen Waffensystems der Luft- und Raketenabwehr der fünften Generation erfolgreich umgesetzt wird.

* Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. Februar 2008; http://de.rian.ru


USA übten sich im Sternenkrieg

Abschuss eines trudelnden Weltraumspions als Test für Antisatellitenwaffe

Ungeachtet der scharfen Kritik Russlands und Chinas haben die USA einen außer Kontrolle geratenen Spionagesatelliten mit giftigem Raketentreibstoff an Bord abgeschossen.

Washington (dpa/ND). Das US-Militär zeigte sich am Donnerstag so gut wie sicher, dass der Tank mit einer halben Tonne Hydrazin dabei zerstört wurde. Alles deute auf einen direkten Treffer hin, sagte Vizegeneralstabschef James Cartwright. Es war der erste Abschuss seit 1985, als die USA im Zuge des Kalten Krieges eine Antisatellitenwaffe erprobt hatten.

Bei der eigens von US-Präsident George Bush genehmigten Aktion waren Komponenten des umstrittenen US-Raketenabwehrsystems genutzt worden. Demnach zerstörte eine von einem Kriegsschiff im Nordpazifik abgefeuerte und von Sensoren sowie Radar geleitete Rakete den Satelliten durch die Wucht des Aufpralls. Die Kollision erfolgte etwa 240 Kilometer hoch über der Erde.

Cartwright zufolge deuteten unter anderem ein dabei entstandener Feuerball und Gaswolken darauf hin, dass der Tank direkt getroffen wurde. Das US-Militär sei »in hohem Maße« überzeugt davon, dass dies gelungen sei. Pentagon-Angaben zufolge drohte der 2006 im Weltraum stationierte Satellit Anfang März mit seiner giftigen Fracht auf die Erde zu stürzen.

Russland und China hatten den Abschuss bereits im Vorfeld scharf kritisiert. Insbesondere Moskau warf der US-Regierung vor, es handele sich in Wahrheit um einen Test der Raketenabwehr als Antisatellitenwaffe. Damit drohe ein Rüstungswettlauf im All. Peking äußerte sich vor allem besorgt über mögliche Gefahren durch beim Abschuss entstandenen Weltraummüll.

So forderte der Sprecher des Außenministeriums, Liu Jianchao, die USA am Donnerstag erneut auf, die internationale Gemeinschaft »umgehend« mit Informationen zu versorgen, damit vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden könnten. China hatte selbst vor einem Jahr mit einer Rakete vom Boden aus einen eigenen ausgedienten Wettersatelliten abgeschossen. Die USA hatten damals dagegen protestiert und vor einer Militarisierung des Weltraums gewarnt.

Cartwright zufolge zerfiel der Satellit von der Größe eines Schulbusses in zahlreiche kleine Teile, »keines größer als ein Football«. Dem General zufolge gab es zunächst keine Hinweise darauf, dass Teile auf den Boden gelangten. Er schloss aber nicht aus, dass sehr kleine und daher schwer sichtbare Stücke auf die Erde fielen oder bereits gefallen seien.

Bei der Aktion wurde eine Rakete des Typs SM-3 vom Kreuzer »USS Lake Erie« im Nordpazifik aus abgefeuert und vom Aegis-Radar-und Lenksystem auf Kurs zum Satelliten gebracht.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Februar 2008




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