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Zum Tod von Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz

Nachrufe

Die überragende Bedeutung, die der Friedenswissenschaftler Dieter S. Lutz für die scientific community, für die Friedensbewegung, für die Politik und für die kritischen Medien gehabt hat, kommt in den vielen unterschiedlichen Nachrufen zum Ausdruck, die seinem Leben und Wirken gewidmet wurden. Wir dokumentieren eine kleine Auswahl davon.



Nachruf für Dieter S. Lutz

Dieter Lutz ist tot. Mit seiner Familie trauern die über fünfzig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und die große Zahl der Kollegen, Freunde und Weggefährten an vielen Orten der Welt.

Das Institut ist das Lebenswerk von Dieter Lutz. Er hat es mitgestaltet und geprägt wie kein Zweiter, seit 1976 an der Seite der Direktoren Wolf Graf von Baudissin und Egon Bahr als deren Stellvertreter, seit 1994 als Wissenschaftlicher Direktor. Was vor mehr als drei Jahrzehnten als kleines Forscherteam begann, ist heute ein internationales Zentrum wissenschaftlicher Analyse, Ausbildung und Vermittlung, dessen Ausstrahlung weit über Hamburg und die Bundesrepublik hinausreicht.

Friedensforschung und Sicherheitspolitik, die Schlüsselbegriffe im Institutsnamen, sind Aufgabenbereiche, die von vielen als gegensätzlich empfunden werden. In den siebziger und noch in den achtziger Jahren scharten sich um jeden von ihnen ganz unterschiedliche Communities. Lutz ging es darum, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen. Sein Ziel war und blieb eine konsequent friedensverträgliche Sicherheitspolitik: „Vornehmste Aufgabe von Politik ist es“, so steht es in einer seiner letzten Veröffentlichungen, „Krieg zu verhüten, nicht ihn zu führen. Situationen, die als Alternative nur Krieg zulassen, darf es nicht geben. Treten sie ein, hat die Politik versagt.“ Dafür hat Dieter Lutz wissenschaftlich, politisch und in der Öffentlichkeit gewirkt. Unbequemen Kontroversen ist er niemals aus dem Weg gegangen. Dabei argumentierte er stets sachlich und geradlinig, engagiert und leidenschaftlich.

Friedensforschung war für Dieter Lutz immer normativ geleitet von der Vision einer zivilisierten Zukunft: Angefangen von der Kooperativen Rüstungssteuerung, die er an der Seite des Gründungsdirektors Wolf Graf von Baudissin maßgeblich mitentwickelte, über das mit Egon Bahr zusammen verfolgte Konzept der Gemeinsamen Sicherheit, bis hin zum Ziel Kollektiver Sicherheit in einer europäischen Sicherheitsgemeinschaft – stets blieb er dieser Denktradition treu. Das Ende des Ost-West-Konflikts begriff er als Chance, die globalen Herausforderungen endlich im Rahmen einer kooperativen Weltinnenpolitik anzupacken. Trotz der zahlreichen Krisen und Konflikte nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, die diese Chance immer wieder zunichte zu machen drohten, hielt er an seiner Vision unermüdlich fest. Wissenschaft war für Dieter Lutz niemals selbstbezogenes Forschen, sondern immer Beitrag zur Lösung aktueller praktischer Probleme. Interdisziplinäre Ansätze hielt er dabei für unverzichtbar.

Sein besonderes Augenmerk galt der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Hunderte von Studierenden, Diplomanden und Doktoranden sind durch seine Schule gegangen. Der wissenschaftlichen Lehre und Betreuung an verschiedenen Universitäten und Hochschulen im In- und Ausland hat er sich mit gleicher Verantwortung gewidmet wie der eigenen Forschung. Für die Nachwuchsförderung hat Dieter Lutz sich über die Jahre hinweg am Institut und weit darüber hinaus engagiert. In seiner Funktion als Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) hat er erstmals breiter angelegte Programme zur Förderung des friedenswissenschaftlichen Nachwuchses initiiert. Eine besondere Genugtuung war es ihm, dass im vergangenen Jahr erstmals in der Bundesrepublik ein interdisziplinärer Postgraduiertenstudiengang „Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ als Kooperationsprojekt der Universität Hamburg und des IFSH in Zusammenarbeit mit weiteren wissenschaftlichen Institutionen und Praxispartnern eingerichtet sowie ein mehrjähriges Doktorandenprogramm am Institut ins Leben gerufen werden konnte. Dass sich im Rahmen des Masterstudiengangs Studierende aus den Folgestaaten Jugoslawiens an der Errichtung eines akademischen Versöhnungsnetzwerkes beteiligen, geht ebenfalls auf seine Initiative zurück.

Die politische Praxis war für Dieter Lutz Ausgangs- und Zielpunkt friedenswissenschaftlicher Lehre und Forschung. Die Vermittlung friedenswissenschaftlicher Erkenntnisse in die breite Öffentlichkeit hinein hat er der akademischen Diskussion niemals nachgeordnet. Politikberatung, Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, öffentliche Vorträge und publizistische Wortmeldungen waren feste Bestandteile seiner vielseitigen Tätigkeit. Stellvertretend für sein Engagement sei an dieser Stelle nur die Initiierung des Internationalen Baudissin-Fellowship-Programms für Offiziere aus ost- und mitteleuropäischen Staaten genannt, für das er im Dezember 2002 vom Deutschen BundeswehrVerband mit der Wolf Graf von Baudissin Medaille ausgezeichnet wurde.

Der plötzliche Tod ihres Direktors ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IFSH nur sehr schwer zu verschmerzen. Für viele war er nicht nur Vorgesetzter und Mentor, sondern auch geschätzter Kollege und Freund. Das Lebenswerk von Dieter Lutz wird am Institut in seinem Sinne fortgesetzt werden.

Von der Homepage des IFSH

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Zum Tod von Dieter S. Lutz

Dieter S. Lutz ist tot. Diese Nachricht ist ein Schock. Dieter S. Lutz starb in der Nacht zum Dienstag in Berlin im Alter von nur 53 Jahren. Lutz studierte Recht und Politik u.a. in Tübingen und London und war seit 1993 in Hamburg Professor. »Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz« ist der wohl bekannteste und einflußreichste Friedensforscher Deutschlands gewesen. Dieter S. Lutz war Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg (IFSH), das seit 1971 besteht und dessen Führung er von Egon Bahr 1994 übernommen hat. Seit der Gründung der staatlich finanzierten Bundesstiftung Friedensforschung (DSF) im Herbst 2000 war Dieter S. Lutz deren Vorsitzender. Lutz leitete auch das Zentrum für OSZE-Forschung (CORE), ebenfalls in Hamburg. Dies sind nur wenige Beispiele für seine reichhaltigen Tätigkeiten.

Der Einfluß von Dieter S. Lutz kam aber nicht durch seine Ämter, wichtiger waren seine umfangreichen Kontakte, die von der Bundeswehr über vor allem linke SPD-Kreise bis hin zur Friedensbewegung reichten. Dieter S. Lutz war einer der wenigen Friedensforscher, der trotz zum Teil diametral anderen Positionen Zugang zu den Spitzen der rot-grünen Bundesregierung hatte. Lutz war Mitglied der SPD. Doch Dieter S. Lutz kritisierte insbesondere während des NATO-Angriffskrieges gegen Jugoslawien die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Unvergessen seine offenen Briefe an Erhard Eppler vom Juni 1999 und der offene Brief »Mehr Probleme als Lösungen, mehr Fragen als Antworten« gemeinsam mit Reinhard Mutz an die Bundestagsabgeordneten vom März 2001 zum zweiten Jahrestag des Jugoslawien-Krieges. Der damalige Kernsatz war: »Der Luftkrieg der NATO hat mehr Probleme geschaffen, mehr Fragen aufgeworfen als gelöst. Mit Sorge stellen wir fest, daß gleichwohl die vielfach von offizieller Seite vor und während des Krieges versprochene breite und intensive Diskussion der Konsequenzen und Lehren aus dem militärischen Eingreifen der NATO bis heute nicht stattgefunden hat. Es ist höchste Zeit, sie nachzuholen. Denn je nachdem wie die Antworten ausfallen, stellen sie entscheidende Weichen für die sicherheitspolitische Zukunft Deutschlands, möglicherweise sogar für den Frieden in Europa.« Allein das war schon eine Provokation. Auf den offenen Brief gab es damals eine sehr harsche und scharfe »Antwort« von Gernot Erler, der gewünschte Dialog und die Aufarbeitung kamen nicht zustande.

Die SPD (Olaf Scholz) schrieb am Dienstag in einem Nachruf: »Als bedeutender deutscher Friedensforscher waren seine Analysen und sein Rat der SPD stets willkommen und immer gefragt.« Nur scheint die Partei immer weniger beherzigt zu haben, was Dieter S. Lutz zu sagen hatte.

Der Titel von einem der nun letzten Artikel von Dieter S. Lutz lautete: »Frieden durch Angriffskriege? – Das zivilisatorische Projekt (des Westens) steht am Scheideweg«. Darin artikuliert Lutz seine umfassenden Befürchtungen gegenüber den weitreichenden Folgen des sogenannten »Krieges gegen den Terror«.

Dieter S. Lutz war ein politischer Wissenschaftler. Seine wissenschaftliche Papiere waren häufig politische Erklärungen und umgekehrt. Lutz war ein Wissenschaftler, der sich politisch offensiv eingemischt hat. Leider gibt es davon nur wenige. Um so mehr wird uns Dieter S. Lutz fehlen. Es ist und bleibt unbegreiflich, daß Dieter S. Lutz so jung sterben mußte, wir hätten ihn noch gebraucht.

Tobias Pflüger

Veröffentlicht in: junge Welt, 16. Januar 2003

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SPD trauert um Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz

Zum Tode des Friedensforschers Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz erklärt die stellvertretende Parteivorsitzende, Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul:

Mit großer Trauer und Betroffenheit habe ich die Nachricht vom Tod von Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz erhalten.

Dieter S. Lutz hat mit seinen kritischen Analysen zur internationalen Politik und zur Friedensforschung wichtige Debatten angestoßen und begleitet. Er hat maßgeblich zum Konzept der gemeinsamen Sicherheit beigetragen. Der Ansatz der kooperativen Konfliktlösung zieht sich wie ein roter Faden durch die friedens- und sicherheitspolitische Forschung des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, dessen Wissenschaftlicher Direktor Dieter Lutz gewesen ist.

Seine Positionen waren für die Politik oft unbequem. Aber eben das war seine große Stärke. Dieter S. Lutz hat sich seine Unabhängigkeit nie nehmen lassen. Mit großer Beharrlichkeit und Standhaftigkeit hat er sich für den Frieden in der Welt eingesetzt.

In den letzten Wochen und Monaten galt sein Engagement einer friedlichen Lösung des Irak-Konflikts.

Mit Dieter S. Lutz verliert die Bundesrepublik einen ihrer wichtigsten Friedensforscher, Wissenschaftler und Mahner. Gerade in diesen Tagen wäre seine Unterstützung von großem Wert gewesen.

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Dieter S. Lutz ist tot

Die Nachricht vom plötzlichen Tod unseres Kollegen und Freundes Dieter S. Lutz hat uns tief erschüttert. Dieter S. Lutz war einer der profiliertesten Vertreter der deutschen Friedenswissenschaft und hatte großen Anteil an der qualitativen Weiterentwicklung des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Hamburg, das er nach dem Weggang von Egon Bahr im Jahr 1994 als Direktor übernommen hatte. Darüber hinaus hat er in friedensorientierten politischen Kreisen sowie in der Friedensbewegung und bei anderen Nichtregierungsorganisationen viele Freunde gewonnen, indem er ihnen, wo er konnte, mit wissenschaftlichem Sachverstand und politischem Rat zur Seite stand.

Wenn es sein musste - und in den letzten Jahren musste es immer häufiger sein -, ging er auch mit seiner eigenen Partei, der SPD, scharf ins Gericht und kritisierte deren außen- und sicherheitspolitische Fehlentwicklungen. Dieter S. Lutz litt darunter. Es schmerzte ihn mitansehen zu müssen, wie wesentliche Bestandteile des außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnisses der Nachkriegssozialdemokratie nach dem Ende des Ost-West-Konflikts über Bord geworfen wurden. Immer wieder beschwor er unter Berufung auf sein Vorbild Willy Brandt die deutsche und die europäischen Regierungen, am "zivilisatorischen Projekt" festzuhalten" und, wie er noch im Oktober in einer Stellungnahme für die Gustav-Heinemann-Initiative schrieb, "keinesfalls nach(zu)lassen im Bemühen, die USA von ihrem katastrophalen Irrweg abzubringen".

Prof. Dr. Dieter S. Lutz war Friedensforscher, Hochschullehrer und Politikberater mit Leib und Seele. Er kämpfte unermüdlich darum, Politik und Gesellschaft vom verhängnisvollen Pfad des Krieges abzubringen, um sich selbst auch wieder dem Frieden zuwenden zu können. Seine Klage über die "Zweckentfremdung" des Friedensforschers, die er in einem Vortrag vor der Deutschen Stiftung Friedensforschung vor neun Monaten äußerte, lässt erahnen, was Dieter S. Lutz aushalten musste: "Seit vielen Wochen und Monaten gehört es zunehmend zu meiner Aufgabe als Friedensforscher, nicht zum Thema Frieden, sondern aus aktuellen Anlässen zum Thema Krieg sprechen zu müssen und immer öfter zu immer neuen Gewaltakten und/oder Fehlentscheidungen Vorträge zu halten. Aus dieser Aufgabe ist mittlerweile eine sich wiederholende Pflicht geworden - und ich bedaure es, sagen zu müssen: eine zunehmend unerträgliche und mich oftmals zutiefst deprimierende Pflicht. Gewalt und Krieg - so das Empfinden - sind 'normal' geworden."

Es war ihm nicht mehr vergönnt, über den Frieden zu arbeiten und zu lehren. Die Bedingungen dafür wieder herzustellen, ist uns Verpflichtung.

Werner Ruf und Peter Strutynski im Namen der AG Friedensforschung

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Anlässlich des Todes von Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz erklärt der SPD-Generalsekretär Olaf Scholz:

Die Nachricht vom plötzlichen und unerwarteten Tod von Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz hat mich sehr getroffen. Der Tod des Direktors des Hamburgischen Institutes für Friedensforschung und Sicherheitspolitik ist ein großer Verlust nicht nur für die deutsche Sozialdemokratie. Sein friedenspolitischer Rat wird uns fehlen. Gerade in schwierigen Zeiten, in denen Deutschland sich seiner internationalen Verantwortung gestellt hat, waren seine mahnenden Worte sicher nicht immer bequem, aber stets wichtig für die Meinungsbildung. Als bedeutender deutscher Friedensforscher waren seine Analysen und sein Rat der SPD stets willkommen und immer gefragt. Er war ohne Zweifel ein wichtiges Bindeglied zwischen der deutschen Friedensforschung und der Sozialdemokratie.

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Der Wissenschaftler hinter Schröders Irak-Kurs

Professor Dr. Dieter S. Lutz sah die Friedensforschung nicht nur als Wissenschaft und schon gar nicht im Elfenbeinturm, sondern vor allem auch als Politikberatung. Seine Zielgruppen waren die politischen Entscheidungsträger und die sicherheitspolitisch interessierte Öffentlichkeit, darunter die Friedensbewegung.

Der 53-jährige Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg erlag in der Nacht zum Dienstag völlig überraschend in der Hamburgischen Landesvertretung in Berlin einem Herzversagen. Der SPD-Generalsekretär, Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz, würdigte den Politikwissenschaftler als einen der "profiliertesten Friedensforscher" und Bindeglied zwischen Friedensforschung und Sozialdemokratie.
Es war Lutz Anliegen, friedenswissenschaftliche Erkenntnisse politikfähig zu machen. Für ihn waren Friedensforschung und die klassische Sicherheitspolitik zwei Seiten derselben Medaille, konnten nur gemeinsam weiterentwickelt werden.

Mit dieser Haltung hat Lutz Gesicht und Geschichte des Hamburger Friedensforschungsinstituts wie kein Zweiter geprägt. Seit 1976 arbeitete er dort, zunächst kurz als wissenschaftlicher Referent, dann als stellvertretender Direktor unter dem Gründungsleiter Wolf Graf von Baudissin, danach unter dessen Nachfolger Egon Bahr als geschäftsführender Direktor. Seit 1994 leitete Lutz das Institut selbst.

Für die Friedensforschung in der Bundesrepublik war Lutz eine der prägendsten Figuren, nicht nur wegen seines langjährigen Einflusses auf das Hamburger Institut, sondern auch aufgrund seiner geradezu unglaublichen, schon arbeitswütig zu nennenden wissenschaftlichen und publizistischen Produktivität und wegen seiner zentralen Rolle beim Aufbau der Deutschen Stiftung Friedensforschung.

Als politischer Ratgeber konnte Lutz sehr unbequem werden. Seine Ablehnung der Nachrüstung in den Achtzigerjahren und vor allem seine scharfe Kritik an der deutschen Haltung im Kosovokrieg - sein Vorwurf, dies sei eine Verletzung des Völkerrechts -, hat ihm nicht nur Freunde gemacht. Auch und gerade nicht in der SPD, zu deren unwillkommen-willkommenen sicherheitspolitischen Beratern Lutz seit vielen Jahren zählte. Zeitweilig erlitt das Institut deswegen sogar finanzielle Einbußen. Lutz aber, der immer wusste, dass in Deutschland der Liebesentzug schnell auf dem Fuße folgt, blieb bei seiner Haltung: Politikberatung, die allen taktischen Wendungen der Tagespolitik folgt, taugte seiner Meinung nach nichts.

Dieter S. Lutz konnte und wollte polarisieren. Seine Beharrlichkeit, aber nicht zuletzt auch sein ausgeprägtes Machtbewusstsein trugen dazu bei, dass er immer wieder erreichte, worum es ihm ging: Wirkung erzielen. Der plötzliche Tod seines Leiters trifft das Hamburger Friedensforschungsinstitut unvorbereitet. Dort fragt man sich, was jetzt wird. Das Institut hat in den vergangenen Jahren seine Aktivitäten deutlich ausgeweitet. Zugleich hat es seinen Anteil an Drittmitteln in seinem Budget auf fast zwei Drittel steigern können. Dies gelang nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen, oft persönlichen Beziehungen seines Direktors Lutz.

Otfried Nassauer

Aus: taz vom 16. Januar 2003

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Zweifler in Sachen Krieg

Spätestens seit dem Krieg in Kosovo schien er zu resignieren: Seine Zweifel wuchsen, dass die Sicherheitspolitik der mächtigen Demokratien des Westens je von der "Stärke des Rechts" bestimmt sein könnte und obendrein "folgenorientiert", also von den Konsequenzen für Unschuldige bestimmt. Seine Zweifel leben fort. Der Zweifler, Dieter S. Lutz, einer der international renommiertesten deutschen Friedensforscher, hat sie hinterlassen; er starb am Mittwoch, erst 53-jährig.

Der Direktor der Instituts für Friedens- und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg - Nachfolger des SPD-Politikers Egon Bahr - war zum einen Berater diverser Bundesregierungen, zum andern ein scharfer Kritiker der atomaren Abschreckungstheorie in Ost und West während des Kalten Krieges. Vor allem in dieser Funktion wurde er einer der Inspiratoren der Friedensbewegung. Lutz (dpa-Bild) wies nach, dass die damals diskutierten Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper reine Erstschlagswaffen seien und einen Erstschlag der Gegenseite geradezu herausforderten. Außerdem hätten "Übertötungskapazitäten" keine abschreckende Wirkung mehr.

Vom Ende des Kalten Krieges zeigte sich Lutz bald ernüchtert, da er zu erkennen meinte, dass die Nato erstens die "Friedensdividende" - drastische Abrüstung - nicht einlösen würde, zweitens unter Führung der einzig verbliebenen Supermacht USA sogar dazu übergehen würde, vermeintliche Interessen überall auf dem Globus sicherstellen zu wollen. Das müsse das (Völker-)Recht schwächen.

Im Kosovo-Krieg und in der Reaktion auf die Terroranschläge sah der Friedensforscher die Bestätigung seiner These: Zum einen seien um ein Vielfaches mehr Zivilisten getötet worden, zum anderen ließen sich religiöse und/oder ethnische Konflikte nicht mit Waffengewalt lösen.

Sowohl gegen Kriegsverbrecher wie Slobodan Milosevic als auch gegen Saddam Hussein plädierte Lutz daher für polizeiliche und strafrechtliche Lösungen. Für noch wirkungsvoller hielt er freilich die "Krisenprävention", also die Vorbeugung auf Grund einer klaren Analyse Gewalt erzeugender Entwicklungen wie Hass oder sozialer Unterprivilegierung.

Anton-Andreas Guha

Frankfurter Rundschau, 16. Januar 2003


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Prof. Dieter S. Lutz ist tot

Der im eigenen Land wie internationale hoch geachtete und geschätzte Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz ist in der Nacht zum Dienstag in Berlin verstorben. Der engagierte Friedensforscher ist nur 53 Jahre alt geworden.
(...)
Lutz, der in Tübingen, Den Haag und London Politik- und Rechtswissenschaften studiert hatte, war am IFSH 1976 - 26-jährig - unter Wolf Graf von Baudissin stellvertretender wissenschaftlicher Direktor geworden. Unter Egon Bahr wurde er 1984 geschäftsführender Direktor, 1994 dann Bahs Nachfolger. Der Fiorscher ist durch zahlreiche fundierte Publikationen über die Ursachen von Kriegen sowie notwendige Prävention hervorgetreten. Stets stand er verschiedenen Friedens- und Menschenrechtsgruppen als kenntnisreicher, konsequenter, aber auch geduldiger Konsultant zur Verfügung.

Auch die Mitglieder der einstigen PDS-Bundestagsfraktion lernten ihn schätzen. Er stand ihnen in außenpolitischen Fragen ebenso beratend wie kritisierend zur Seite. Lutz, der an dem 1998er Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen mitgearbeitet hat, "war der Kummer darüber anzumerken, dass Rot-Grün eben nicht den Weg deutscher Außenpolitik als Friedenspolitik gegangen ist", erinnert sich PDS-Vorstandsmitglied Wolfgang Gehrcke und betont: "Er war ein streitbarer Geist, ein guter Kollege und ein persönlicher Freund." In einem ND-Beitrag warb Lutz Ende 2002 für die Fortsetzung des zivilisatorischen Projekts, das "auf die Abschaffung von Krieg als Institution und auf die Eliminierung von Gewalt als gesellschaftliche und zwischenstaatliche Verkehrsform" zielt. "An die Stelle der Machtinteressen und des Rechts des Stärkeren sollen Gerechtigkeit und die Stärke des Rechts treten."

ND trauert um einen sehr geschätzten Autor.

Aus: Neues Deutschland, 16. Januar 2003

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Prof. Dieter Lutz: Herztod in Berlin

Völlig überraschend ist in der Nacht zum Dienstag Prof. Dieter S. Lutz, Leiter des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), in der Hamburger Landesvertretung in Berlin gestorben. Er wurde nur 53 Jahre alt. Der international anerkannte Wissenschaftler hinterlässt seine Frau und zwei Kinder im Alter von zwölf und 16 Jahren. Am Montag war Lutz nach Berlin gereist, um sich mit Bundesverteidigungsminister Peter Struck (59) zu treffen. Er hatte in der Landesvertretung übernachtet, und war dann nicht zum verabredeten Zeitpunkt erschienen. Eine Sekretärin ließ die Tür aufbrechen. Dieter Lutz lag tot im Badezimmer - das Herz.

Seine Witwe, Liane Bayreuther-Lutz, sagte dem Abendblatt, ihr Mann sei nicht krank gewesen, habe aber am Abend seines Todes über Erschöpfung geklagt. "Seine Arbeit war sein Leben, sein Tag war immer viel zu kurz", so Liane Bayreuther-Lutz. "Er wollte seinen Kindern noch lange ein guter Vater sein. Ich bin fassungslos und kann es nicht begreifen."

Wissenschaftssenator Jörg Dräger (35) sagte: "Dieter Lutz hat Hamburg in der Diskussion um Frieden und Zusammenarbeit in Europa eine gewichtige Stimme gegeben." Uni-Präsident Dr. Jürgen Lüthje (61) nannte Lutz einen "hervorragenden Kooperationspartner". Er habe ihn persönlich sehr geschätzt, sein Tod sei ein großer Verlust für Hamburg. Der Vorsitzende des Vereins zur Förderung des Instituts für Friedensforschung, Georg Berg (48), erinnerte an Lutz als einen "überaus modernen Institutsleiter", der zudem ein Freund der Familie gewesen sei. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz (44) nannte Lutz einen der profiliertesten Friedens- und Konfliktfoscher Deutschlands.

Professor Egon Bahr (80, Berlin), der das Friedensforschungsinstitut zehn Jahre lang geleitet hatte, kommentierte die Nachricht so: "Es ist ein tragischer Verlust, dass mein Nachfolger viel zu früh und viel zu jung gestorben ist. In der Wissenschaft und Forschung werden ihn viele vermissen. Und das nicht nur in unserem Land."

"Wie schrecklich", mit diesen Worten reagierte die Europa-Abgeordnete Dr. Christa Randzio-Plath (62, Straßburg). "Er hat viel, wirklich viel für den Frieden getan."

"Sein Tod ist ein schrecklicher Verlust für die Friedensforschung", betonte Friedensnobelpreisträger Prof. Horst-Eberhard Richter (79, Gießen). "Dieter Lutz gehörte zur Elite dieses Fachs und war international bekannt. Er genoss auch in der Friedensbewegung ein hohes Ansehen."

Dieter Lutz, der in Tübingen, Den Haag und London Politik- und Rechtswissenschaften studiert hatte, war am IFSH 1976 - erst 26-jährig - stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des damaligen Instituts-direktors Wolf Graf von Baudissin geworden. Unter dessen Nachfolger Egon Bahr wurde er 1984 geschäftsführender Direktor, 1994 dann Bahrs Nachfolger.

Erst im vergangenen Dezember war Lutz mit der Wolf-Graf-von-Baudissin-Medaille ausgezeichnet worden. (schmoo/ang)

Hamburger Abendblatt, 15. Januar 2003




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