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Kriege beenden oder: Nur auf halbem Wege zum Frieden?

Das "Friedensgutachten 2009" in der Diskussion: Zwei Besprechungen von Wolfgang Kötter (Uni Potsdam) und Peter Strutynski (Uni Kassel)

Das "Friedensgutachten 2009" haben wir bereits vorgestellt (siehe: "Bevölkerung gewinnen statt Kriege führen"). Heute veröffentlichen wir auf dieser Seite zwei Rezensionen, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit dem Jahresgutachten der fünf großen Friedensforschungsinsitute befassen: Wolfgang Kötter (Uni Potsdam) hebt eher die positiven Seiten des Gutachtens hervor und gibt einen Überblick über die dort behandelten Themen; Peter Strutynski (Uni Kassel) kritisiert hingegen die inkonsequente Haltung der Friedensforscher insbesondere hinsichtlich der Auslandseinsätze der Bundeswehr.



Jochen Hippler, Christiane Fröhlich, Margret Johannsen, Bruno Schoch und Andreas Heinemann-Grüder, (Hrsg.): Friedensgutachten 2009, LIT Verlag Münster 2009, 400 S., ISBN: 978-3-643-10087-0

Wege zum Frieden:

Das Friedensgutachten 2009 untersucht Konzepte, Möglichkeiten und Grenzen, um Kriege und Gewaltkonflikte zu beenden

Von Wolfgang Kötter, Universität Potsdam

Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch der fünf führenden wissenschaftlichen Institute für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Es wird seit über zwanzig Jahren jeweils zu einem Schwerpunktthema herausgegeben und hat die deutsche Außenpolitik kritisch beleuchtet und gleichzeitig Handlungsoptionen für eine gewaltfreie Friedenspolitik entwickelt. Gemeinsam untersuchen das Bonner Internationale Konversionszentrum (BICC), die Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), die Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) und das Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen (INEF) markante Entwicklungstrends in der internationalen Politik. Aufbauend auf ihre Analysen formulieren die Herausgeber und Herausgeberinnen Stellungnahmen. Sie ziehen Bilanz, bewerten die Ergebnisse und geben Empfehlungen für die Friedens- und Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa. Wie die Herausgeber versichern, entsteht das Gutachten in einem aufwändigen Prozess, bei dem alle Beiträge zuerst institutsintern und dann zwischen den Instituten kommentiert, diskutiert und danach überarbeitet werden. Somit handelt es sich also nicht um einen gewöhnlichen Sammelband, sondern vielmehr um ein gemeinsames Produkt aller beteiligten Institute.

Schwerpunkt im Jahr 2009 ist die Frage nach Möglichkeiten, Wegen und Grenzen, um Kriege und Gewaltkonflikte zu beenden. Zentrale Forderung ist ein starkes ziviles Engagement in Konflikten statt eines Einsatzes militärischer Mittel. Die jüngsten Kriege im Nahen und Mittleren Osten, im Kaukasus und in Afrika nehmen die Experten zu Anlass, um die Voraussetzungen einer Kriegsbeendigung systematisch zu bestimmen. Die Schauplätze dieser Kriege und Gewaltkonflikte sind schwache oder gescheiterte Staaten. Umkämpft sind die Gesellschaften, in denen es um politische Ordnungsvorstellungen und um die politische Unterstützung durch die Bevölkerung geht. Die Situationen in den betroffenen Ländern zeigten eindrücklich, dass es stets teurer und schwieriger ist, Kriege zu beenden, als rechtzeitig ihre Ursachen zu bekämpfen, urteilen die Forscher. Entwicklungspolitik hingegen sei die kostengünstigste Friedenspolitik und schaffe langfristig Sicherheit.

Der erste Schwerpunkt behandelt dieses Thema konzeptionell, historisch und am Beispiel aktuell drängender Fälle, einschließlich des „Krieges gegen den Terrorismus“ und der Piraterie vor den somalischen Küsten. Zu den aufgeworfenen Fragen gehören unter anderem: Übernimmt sich die Staatengemeinschaft? Erfordert die nüchterne Bilanz internationaler Missionen bescheidenere Zielsetzungen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen konstatieren eine „Überschätzung des militärischen Instruments«, kombiniert mit „politischer Flickschusterei“. Frieden lässt sich nicht durch noch mehr Waffen herbeiführen. Das zeige sich sowohl in Afghanistan als auch beim Antipirateneinsatz am Horn von Afrika.

Sie beklagen, dass es die immer wieder angemahnte Strategie weiterhin nicht gibt. Dem Ansatz, weitere Truppen nach Afghanistan zu schicken, erteilen die Friedensforschungsinstitute eine Absage, weil das den Krieg nicht beenden werde. Militärische Mittel könnten kein Ersatz für politische Veränderungsprozesse sein. Diese müssen von der sozialen Basis der Gesellschaft ausgehen. Die neue US-amerikanische Strategie in Afghanistan wird deutlich als reine Aufstandsbekämpfungsstrategie kritisiert. Von einer Orientierung der Bundesregierung an der US-Strategie und einer Ausweitung des Bundeswehreinsatzes wird deutlich abgeraten. Da der Krieg innergesellschaftlich begründet sei, könnten nur Regeln und Strukturen helfen. Die Betonung militärischer Machtmittel überspiele häufig nur die Konzeptlosigkeit der Staaten. Wenn man den Extremisten das „Wasser abgraben“ wolle, müsse man das Rechtswesen und die einheimische Polizei aufbauen. „Mit legitimer Staatlichkeit an der sozialen Basis steht und fällt jede Afghanistan-Strategie", So die Experten.

Auch die militärischen Einsätze, um vor den Küsten Somalias die Piraterie zu bekämpfen, kritisieren die Autoren. Dabei werde außer Acht gelassen, dass die Seeräuberei kein zufälliges Phänomen dieser Region ist. Die internationale Gemeinschaft verschweige gern, dass die illegale Überfischung der Küstengewässer durch internationale Flotten und die illegale Verklappung von Giftmüll den somalischen Fischern ihre Existenzgrundlagen rauben. Beides schädige die Bevölkerung und die Wirtschaft Somalias und dürfe nicht ignoriert werden. „Nur die Seeräuberei mit aller Macht verhindern zu wollen, schwächt die Glaubwürdigkeit der Piratenbekämpfung in der somalischen Gesellschaft, die aber zur Lösung des Problems entscheidend ist", resümieren die Konfliktforscher. Die Experten fordern vielmehr, dass Strategien zur Kriegsbeendigung unter heutigen Bedingungen Lebensgrundlagen sichern, die Köpfe und Herzen der Bevölkerung gewinnen, ihre Sicherheitslage verbessern und Störenfriede isolieren müssen. Legitime staatliche Institutionen und glaubwürdige Demokratisierung sind dafür unverzichtbar. Europa müsse in der Friedenspolitik aktiver werden, mahnen die Autoren. Das gelte ebenso für die Bemühungen, die Friedensprozesse im Nahen und Mittleren Osten, im Kongo und im Sudan voranzutreiben.

In einem zweiten Schwerpunkt erörtert das Gutachten die transatlantische Agenda nach Bush und befasst sich mit den Chancen zur Kooperation, die sich aus der Politik Barack Obamas für Europa ergeben. Die europäischen Regierungen sollten gegenüber Washington auf die rechtsstaatlich einwandfreie Auflösung aller völkerrechtswidrigen Gefangenenlager – besonders in Guantanamo und Baghram - drängen und durch die Bereitschaft zur Aufnahme entlassener Gefangener ihren Teil dazu beitragen, dass am Ende dieses dunklen Kapitels im „war on terror“ die Würde des Menschen wieder zähle.

Die Möglichkeiten aus dem neuen Multilateralismus der Obama-Regierung werden abgeschätzt und erörtert, ob die internationale Finanzkrise zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung führen kann. Weiterhin fragen die Autoren nach der zukünftigen Rolle der NATO und einer neuen Russlandpolitik. Darüber hinaus thematisiert das Friedensgutachten Strategien und Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung.

Die Friedensforscher kritisieren die EU für ihre einseitige Haltung im Nahostkonflikt. Die Europäische Union müsse hier Fehler korrigieren und eine palästinensische Regierung der nationalen Einheit anerkennen. Zudem sollte die EU die Vertiefung ihrer Beziehungen zu Israel von der Beachtung des Völkerrechts abhängig machen, was einen Stopp der Siedlungspolitik bedeute. Die EU müsse der palästinensischen Seite signalisieren, dass sie die Zweistaatenlösung retten will, vorausgesetzt, die Palästinenser verzichten auf Gewalt gegen Israel. Gleichzeitig solle Druck auf Israel ausgeübt werden, damit es seine völkerrechtswidrige Siedlungspolitik stoppt. Auch die deutschen und europäischen Waffenlieferungen an Israel müssten angesichts des Verdachts von Kriegsverbrechen im letzten Gaza-Krieg eingedämmt werden.

Das Gutachten fordert außerdem, die atomare und konventionelle Abrüstung voranzutreiben. Die Ankündigung von US-Präsident Obama, sich für eine Welt ohne Atomwaffen einzusetzen, setze traditionelle Forderungen der Friedensforscher auf die Tagesordnung. Diese historische Chance gelte es zu nutzen.

Die EU müsse vor allem eine gemeinsame Position zur nuklearen Abrüstung entwickeln. Die Forscher warnen die europäischen Regierungen davor, sich in eine „bequeme Zuschauerloge" zurückzuziehen. Denn es liege in ihrem vitalen Interesse, dass der neue Multilateralismus und die nukleare Abrüstung tatsächlich gelingen. Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt könne nur Wirklichkeit werden, wenn auch die europäischen Atommächte, Großbritannien und Frankreich, zur Mitarbeit bereit seien. Deutschland könne einen Beitrag leisten, indem es auf ein Ende der nuklearen Teilhabe dränge und für den Abzug aller Atomwaffen von deutschem Boden eintritt. Zudem sollte Deutschland aus Sicht der Friedensforscher bei der Erarbeitung des neuen strategischen Konzepts der NATO darauf dringen, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten.

Die Forderungen und Visionen der Friedensforscher bleiben durchaus nicht ungehört. Mitglieder der Bundesregierung wie auch des Bundestages zeigen ein wachsendes Interesse und in ihren politischen Äußerungen taucht der eine oder andere Aspekt durchaus auf. Auch in der Bildung, beim Studium und in der Erwachsenenbildung wird zunehmend auf diese wichtige Wissensquelle zurückgegriffen. Doch ist mit Blick auf die aktuelle Politik zu befürchten, dass es wohl noch eine Weile dauern wird, bis die Regierungen den Vorschlägen der Friedensforscher folgen.


Auf halbem Wege

Kritische Anmerkungen zum Friedensgutachten 2009

Von Peter Strutynski, Universität Kassel

Mit Spannung und großer Erwartung sieht man den jährlichen „Friedensgutachten“ der fünf großen deutschen Friedensforschungsinstitute entgegen. Erweisen sie sich doch immer als nützliche Fundgrube für friedenswissenschaftliche Analysen und Einschätzungen globaler oder regionaler Konflikte. Und spannend ist jedes Mal die Frage, welche gemeinsamen politischen Positionen die Friedensforscher/innen zu den zentralen friedenspolitischen Auseinandersetzungen hier zu Lande beziehen. Den Friedensgutachten ist nämlich jeweils eine „Gemeinsame Stellungnahme“ der fünf Herausgeber/innen vorangestellt, die in etwa Auskunft gibt über die politische Position der Autoren sowie über die an die Politik gerichteten Empfehlungen.

Im Friedensgutachten 2009 nimmt der Afghanistankrieg einen herausgehobenen Platz ein. Gut siebeneinhalb Jahre nach Beginn des Krieges herrscht allenthalben großes Erstaunen und ebenso großes Entsetzen über die Erfolglosigkeit des bisherigen Krieges, an dem immerhin fast 40 Staaten auf Seiten der NATO beteiligt sind. Jede seriöse Expertise spricht mittlerweile von der Ausweglosigkeit des Krieges. Auch das Friedensgutachten 2009 stellt lakonisch fest, dass der Krieg „militärisch nicht zu gewinnen“ sei (S. 3). Aus diesem Grund wird einleitend der grundsätzlichen Frage nachgegangen, wie Kriege heutzutage zu beenden sind – Kriege, die sich von konventionellen Kriegen vor allem dadurch unterscheiden, dass sie innerstaatlich geführt werden und dass sich in ihnen keine regulären Armeen gegenüberstehen. Eine Verstärkung der Truppen, wie sie derzeit von den USA gefordert und vorgenommen wird, kann unter solchen Umständen kein realistischer Ansatz für einen militärischen Erfolg darstellen. Da in den modernen Kriegen die Bevölkerung „im Zentrum“ steht, „als Subjekt wie als Objekt“, liegt der Schlüssel zum Erfolg in der Unterstützung durch die Bevölkerung. Ein Staat oder eine Staatsgewalt, die von der Bevölkerung abgelehnt wird, kann daher auch mit noch so vielen Interventionstruppen nicht verteidigt werden.

Statt sein Heil in noch mehr Truppen zu suchen, sollte mehr Augenmerk darauf gelenkt werden, eine „bürgernahe Staatlichkeit“ zu stärken, und zwar nicht nur auf der zentralstaatlichen Ebene (Kabul), sondern auf allen politischen Gliederungsebenen sowie in der Gesellschaft insgesamt. Die Autoren des Friedensgutachtens sprechen hier von „gesellschaftlichen Governance-Strukturen“, die „von der Hauptstadt bis in die Dörfer reichen“ müssten, „um die Bevölkerung für sich zu gewinnen“ (S. 4). In der Lageanalyse wird davon ausgegangen, dass das gegenwärtige Regime in Kabul so sehr auf „Korruption“, „Überzentralisierung“ (hier sollte man besser von Scheinzentralisierung sprechen), „Drogenhandel“ und Kumpanei mit autokratischen Warlords beruht, dass es keinerlei Legitimation in der Bevölkerung genießt (S. 6f). Gleichwohl wird als Strategie vorgeschlagen, dass „der Staat in den Provinzen und Dörfern agiert“. Gelingt dies und sehen die Menschen ihre Interessen im Staat „zumindest teilweise aufgehoben“, dann könne ausländisches Militär auch zur „Befriedung“ der Situation beitragen.

Diese immer noch relativ abstrakte Behauptung eines positiven Zusammenhangs vom Aufbau ziviler Staatlichkeit und dessen militärischer Unterstützung findet nicht nur keine Entsprechung in der afghanischen Wirklichkeit, sondern lässt auch vollkommen außer Acht, dass die militärische Besatzung selbst eine Quelle von Instabilität und fortdauerndem Krieg ist. In einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung und des National Centre for Policy Research (NCPR) der Universität Kabul im April 2009 durchgeführten Befragung von mehr als 5.000 Personen in fünf Provinzen Afghanistans haben 64 Prozent jedes Vertrauen in die Rolle der ISAF als Sicherheitsgarantie verloren. 62 Prozent nahmen ISAF als militärische Besatzer wahr. Wäre es angesichts solcher Befunde nicht naheliegend, einen Abzug der Besatzungstruppen aus Afghanistan ins Auge zu fassen? Weder in der „Gemeinsamen Stellungnahme“ noch in der Einzelanalyse von Michael Brzoska und Hans-Georg Ehrhart(S. 60-72) können sich die Herausgeber bzw. Verfasser zu solch einer Forderung aufschwingen. So bleiben die gut gemeinten Vorschläge, die auf eine gestärkte Zivilstaatlichkeit in Afghanistan abzielen, unrealistisch, solange nicht gleichzeitig die Beendigung der Besatzung gefordert wird.

Schlüssiger ist der Abschnitt in der Stellungnahme, der sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befasst. Vor allem die Hervorhebung der Verantwortung des Westens (hier: USA und EU/Bundesrepublik) für einen Neuanfang des Friedensprozesses verdient Beachtung. Weder Israel noch die gespaltenen palästinensischen Kräfte sind in der Lage, entscheidende Initiativen zu einer Lösung des Jahrzehnte dauernden Konflikts zu ergreifen. Daher muss Druck von außen kommen. Den Palästinensern müsse klar gemacht werden, dass sie auf Gewalt verzichten und sich eine Zweistaatenlösung im Sinne der Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002 zu eigen machen. Dies könnte helfen, die innerpalästinensische Spaltung zu überwinden und eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die dann ein quasi „vor-staatliches Gewaltmonopol“ wieder erlangen könnte. In Bezug auf Israel sind andere Mittel nötig. Die neue US-Administration, die mit der Ernennung des Sonderbeauftragten für den Nahen Osten, George Mitchell, ein deutliches Signal aussandte, insbesondere die israelische Siedlungspolitik nicht mehr bedingungslos zu unterstützen, bedarf der flankierenden Einflussnahme der Europäischen Union. Eine Vertiefung der EU-Nachbarschaftspolitik müsse davon abhängig gemacht werden, dass Israel den völkerrechtswidrigen Siedlungs- und Mauerbau in der Westbank stoppt. Darüber hinaus müsse die Praxis vieler EU-Staaten einschließlich der BRD beendet werden, Waffen an Israel zu liefern. Der EU-Verhaltenskodex, der die Ausfuhr von Waffen untersagt, wenn die Gefahr besteht, dass ihr Einsatz das Kriegsvölkerrecht verletzt (was im Gaza-Krieg nachweislich geschehen ist), und die Rüstungsexportrichtlinien der Bundesregierung aus dem Jahr 2000, wonach keine Waffen in Spannungsgebiete geliefert werden dürfen, bieten genügend Handhabe für ein generelles Waffenembargo.

In den Einzelanalysen des Friedensgutachtens werden zahlreiche weitere bewaffnete Konflikte unter die Lupe genommen – immer unter der Fragestelllung, wie sie zu beenden sind. So unterschiedlich die Antworten im Einzelnen auch ausfallen, so überwiegt doch die Überzeugung, dass dem militärischen Faktor nur eine geringe Bedeutung zufällt. Die spürbare Verbesserung von Lebensbedingungen, die Initiierung oder Unterstützung von Versöhnungsprozessen, die stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft an den öffentlichen/staatlichen Entscheidungen („Demokratisierung“) oder die „Zerlegung“ von Konflikten in einzelne Teile können nach Auffassung der Autorinnen und Autoren geeignete Schritte zum Frieden sein. Etwas aus dem Rahmen fällt der Beitrag zum Sudan, worin sowohl dem umstrittenen Konzept der Schutzverantwortung („Responsibility to Protect“) als auch der völkerrechtswidrigen Sezession das Wort geredet wird. Z.B. wird in dem Beitrag behauptet, die UN-Generalversammlung habe beim Weltgipfel 2005 das R2P-Konzept „beschlossen“ (S. 124). Verwiesen wird dabei auf Ziffer 138 der Gipfelerklärung, die allerdings nur die Verantwortung der einzelnen Staaten zum Schutz ihrer Bevölkerung anspricht. Die Internationale Verantwortung dagegen wird jedoch erst in Ziffer 139 genannt, und hier ausdrücklich an die UNO-Charta gebunden und lediglich mit einem Prüfauftrag an die Vereinten Nationen versehen.

Das Gutachten 2009 der großen deutschen Friedensforschungsinstitute ist ein neuerlicher Beleg dafür, dass Friedensforschung nicht unbedingt etwas mit Pazifismus zu tun haben muss. Manche Autorinnen und Autoren haben zum Militär ein instrumentelles Verhältnis: Es wird als legitimes Mittel zur Konfliktbearbeitung behandelt, wenn es denn „sein muss“ bzw. wenn das Vertrauen in die nicht-militärischen Mittel schwindet. Dabei zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass der Erfolg militärischer Eingriffe von außen relativ gering ist und vor allem dann nicht sich einstellt, wenn die Konfliktursachen „ziviler“ Natur sind, sich also aus ökonomischen, sozialen und politischen Problemen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten speisen, denen kein Militär der Welt beizukommen vermag. Und da viele Konflikte dieser Welt immer noch von den reichen Ländern des Westens/Nordens verursacht sind, ist es geradezu obszön zu verlangen, dass sie nun militärisch ausbügeln, was ihre ältere Kolonialgeschichte und das jüngere neoliberale Diktat durch IWF und Weltbank angerichtet haben. Das Friedensgutachten 2009 ist nicht ganz frei von solchen Aporien – bleibt aber – neben den jährlichen Veröffentlichungen des ÖSFK (Friedensbericht und die Protokollbände der ÖSFK-Sommerakademie) das wichtigste Jahrbuch der deutschsprachigen Friedensforschung.


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