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Friedensgutachten 2009 vorgestellt

Jahrbuch der fünf Friedensforschungsinstitute in der Bundesrepublik kritisiert Afghanistankrieg und "Anti-Piraten"-Einsatz / Interviews und Artikel

Das Friedensgutachten
ist das gemeinsame Jahrbuch der fünf Institute für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik. Es erscheint seit 1987. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen untersuchen die internationale Konfliktrealität aus friedensstrategischer Perspektive. Auf ihre Analysen stützt sich die Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen. Sie zieht Bilanz, pointiert die Ergebnisse und formuliert Empfehlungen für die Friedens- und Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa.

Am 26.5.2009 wurde das Friedensgutachten 2009 vor der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt.

Das Friedensgutachten 2009 stellt Möglichkeiten, Wege und Grenzen, Kriege und Gewaltkonflikte zu beenden, in seinen Mittelpunkt. Die jüngsten Kriege im Nahen und Mittleren Osten, im Kaukasus und in Afrika nötigen dazu, die Voraussetzungen einer Kriegsbeendigung systematisch zu bestimmen. Unser Schwerpunkt behandelt dieses Thema konzeptionell, historisch und am Beispiel aktuell drängender Fälle, einschließlich des „Krieges gegen den Terrorismus“ und der Piraterie vor den somalischen Küsten. Übernimmt sich die Staatengemeinschaft? Erfordert die nüchterne Bilanz internationaler Missionen bescheidenere Zielsetzungen? Unter heutigen Bedingungen müssen Strategien zur Kriegsbeendigung Lebensgrundlagen sichern, Köpfe und Herzen der Bevölkerung gewinnen, ihre Sicherheitslage verbessern und Störenfriede isolieren. Legitime staatliche Institutionen und glaubwürdige Demokratisierung sind dafür zentral. Daneben erörtert das Friedensgutachten 2009 die transatlantische Agenda nach Bush. Wie sieht die zukünftige Rolle der NATO aus? Brauchen wir eine neue Russlandpolitik? Welche Chancen birgt der neue Multilateralismus der Obama-Regierung? Kann die internationale Finanzkrise zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung führen? Darüber hinaus thematisiert das Friedensgutachten Strategien und Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung. Das Friedensgutachten 2009 wird im Auftrag der fünf Institute herausgegeben von Jochen Hippler, Christiane Fröhlich, Margret Johannsen, Bruno Schoch und Andreas Heinemann-Grüder.

Quelle: www.friedensgutachten.de

Im Folgenden dokumentieren wir:

Atombombe als politisches Druckmittel

Friedensforscher: Nordkorea will als gleichberechtigter Partner akzeptiert werden

Michael Brzoska im Gespräch mit Gabi Wuttke


Nach Einschätzung des wissenschaftlichen Direktors des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Michael Brzoska, verfolgt Nordkorea mit seinem Atomprogramm in erster Linie politische und wirtschaftliche Ziele. Es gehe dem Regime vor allem darum, als Machtfaktor anerkannt zu werden und mit den westlichen Staaten ins Gespräch zu kommen, sagte Brzoska.

Gabi Wuttke: Der zweite Atombombentest von Nordkorea ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einhellig verurteilt worden - eine seltene Einmütigkeit. Gleichzeitig wurde gemeldet, Diktator Kim Jong Il wolle vielleicht schon morgen weitere Kurzstreckenraketen testen. Professor Michael Brzoska ist jetzt am Telefon, er ist der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Gemeinsam mit vier weiteren Forschungsinstituten hat er am Friedensgutachten gearbeitet, das seit über 20 Jahren herausgegeben und dessen neueste Fassung heute vorgestellt wird. Guten Morgen, Herr Brzoska!

Michael Brzoska: Guten Morgen!

Wuttke: Im Friedensgutachten 2009 steht: "Die Betonung militärischer Machtmittel überspielt häufig nur die politische Konzeptionslosigkeit". Trifft das auch auf Nordkorea zu?

Brzoska: Ich denke mal, bei Nordkorea liegt die Sache etwas komplizierter, denn ich denke mal, in Nordkorea geht es den Herrschenden nicht darum, jetzt wirklich militärische Machtmittel für militärische Ziele auszuspielen, sondern man will damit vor allen Dingen politische Ziele erreichen. Nordkorea benutzt die Atombombe, um vor allen Dingen mit den westlichen Staaten ins Gespräch zu kommen, dort akzeptiert zu werden als gleichberechtigter Partner und letztlich aber auch dann wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, das heißt, mehr Hilfe zu bekommen. Nordkorea ist ein besonders komplizierter Fall, deswegen ist es auch so besonders schwer, mit Nordkorea vernünftig umzugehen.

Wuttke: Ja, US-Präsident Obama hat ja auch gewütet - eine erste Reaktion auf diesen unterirdischen Atombombentest. Die Bombe soll eine Kraft gehabt haben wie die amerikanischen Bomben auf Hiroshima und Nagasaki. Gleichzeitig hat er betont, er wolle die diplomatischen Bemühungen, mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen, verdoppeln. Aber liest man heute Kommentare, dann heißt es ganz oft: Viel wichtiger als mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen, sei es mit China. Was meinen Sie?

Brzoska: Ich denke, dass es richtig ist, dass Nordkorea selber das Hauptproblem ist, vor allen Dingen die Führung natürlich, denn die nordkoreanische Führung hat ja schon in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bereit ist, sogar die eigene Bevölkerung verhungern zu lassen, um ihr politisches Programm - einschließlich auch dieses Nuklearprogramms - weiterführen zu können. Deswegen ist es für die Chinesen nicht so einfach, dass sie nur etwa die Beziehungen zu Nordkorea kappen müssten, die Wirtschaftsbeziehungen einschränken, die politischen Beziehungen verändern, um zu erreichen, dass die Führung Nordkoreas von ihrem Tun ablässt. Natürlich: Die Chinesen haben Druckmöglichkeiten, aber die nordkoreanische Führung tickt anders als man es vielleicht erwarten dürfte. Ich glaube nicht, dass die nordkoreanische Regierung - und das zeigt ja auch die Vergangenheit - sich von den Chinesen etwas vorschreiben lässt. Auch die Chinesen müssen den Nordkoreanern etwas anbieten und auch die Chinesen wissen ja inzwischen, dass sie mit Nordkorea nicht so umgehen können wie mit einem Verbündeten, deswegen haben sie auch im Sicherheitsrat jetzt der Verurteilung Nordkoreas zugestimmt. Auch gegenüber China spielt Nordkorea dieses Spiel, das die Führung gegenüber dem Westen spielt.

Wuttke: Wie tickt denn Nordkorea?

Brzoska: Es ist sehr schwer zu durchschauen und vielleicht ist es auch nicht mit den üblichen Kategorien von Rationalität zu fassen. Die Führung will offensichtlich anerkannt werden als eine Weltmacht, man will als Staat anerkannt werden, der in der Region führend ist, man will vor allen Dingen gegenüber Südkorea nicht als ein Staat angesehen werden, der keine große Zukunft hat, und man will aber gleichzeitig auch Wirtschaftsbeziehungen haben, die für Nordkorea vorteilhaft sind bis hin zu Wirtschaftshilfe. Aber es sind noch andere Dinge, die offensichtlich eine große Rolle spielen, vor allen Dingen im Moment die Nachfolge von Kim Il Sung, der ja sehr krank ist, es ist auch ein Machtspiel zwischen Militärs, der politischen Führung und der Familie Kim. Das sind sehr schwer zu durchschauende, möglicherweise auch gar nicht mehr rationale Prozesse, die da in Nordkorea ablaufen.

Wuttke: In einem Kommentar habe ich heute gelesen, es hätte durch diesen zweiten Atombombentest in Nordkorea eine nukleare Anarchie begonnen. Teilen Sie diese Meinung?

Brzoska: Jetzt in Bezug auf Nordkorea glaube ich das nicht. Ich denke schon, dass die Führung und auch das Militär weiterhin die Kontrolle über das Land haben. Aber es ist natürlich schon so, dass für das Land und für die Menschen dort möglicherweise die Situation schlechter wird, schlimmer wird, und sie nicht mehr jetzt sich darauf verlassen können, wie die Regierung in Nordkorea, ihre eigene Regierung, sich verhält.

Wuttke: Im Friedensgutachten 2008 hieß es noch, die deutsche Regierung solle die künftige amerikanische Regierung zu nuklearer Rüstungskontrolle drängen, Barack Obama ist die neue amerikanische Regierung und er hat eine große Vision. Wie sollte Ihrer Meinung nach Deutschland - auch vor dem Hintergrund dessen, was jetzt in den letzten Tagen in Nordkorea passiert ist - dieses Vorhaben praktisch flankieren?

Brzoska: Deutschland hat ja selber keine Atomwaffen, aber es gibt auf deutschem Boden immer noch amerikanische Atomwaffen und ich denke, es wäre für die Bundesregierung ein richtiges Signal, im Einvernehmen mit den Amerikanern den Abzug dieser Atomwaffen aus Deutschland zu fordern und entsprechend dann auch umzusetzen. Gleichzeitig kann Deutschland auch dabei helfen, dass die Vision von Obama einer atomwaffenfreien Welt wirklich umsetzbar wird, das betrifft zum Beispiel die Frage, wie man denn jetzt für die zivile Nutzung der Atomenergie das Material, was ja auch für die militärische Nutzung da ist - nämlich angereichertes Uran und Plutonium -, wie man dieses zivile Material am besten schützen kann. Da hat die Bundesregierung in der Vergangenheit schon einige Vorschläge gemacht, aber sich nicht wirklich dann so eingesetzt, wie man sich hätte einsetzen können. Hier könnte die Bundesregierung mehr tun, und schließlich auch in Europa, wo ja auch andere Staaten - Frankreich und Großbritannien - Atomwaffen haben, eine einheitlichere Politik durchsetzen, die vor allen Dingen auch eben den amerikanischen Präsidenten unterstützt.

Wuttke: Noch eine kurze letzte Frage: Deutschland ist Rüstungsexporteur Nummer drei in der Welt und in den letzten Jahren sind die Militärausgaben weltweit immens gestiegen. Ist hier der Krise auch etwas Gutes abzugewinnen? Werden die Militärausgaben sinken?

Brzoska: Ich bin mit Prognosen vorsichtig, auch angesichts der aktuellen Entwicklung, aber der Druck der Finanzminister auf die Verteidigungsminister, weniger Geld auszugeben, wird deutlich wachsen und wir werden es, glaube ich, zuerst in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Verschuldung des Staates ja enorm gewachsen ist, dass zumindest die Diskussion über die Höhe der Militärausgaben deutlich intensiver und härter geführt werden wird.

Wuttke: Vielen Dank, Einschätzungen von Professor Michael Brzoska vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Heute legt es zusammen mit vier weiteren Instituten das Friedensgutachten 2009 vor. Herr Brzoska, vielen Dank und schönen Tag!

Brzoska: Auf Wiederhören!

Quelle: Deutschlandradio Kultur, 26. Mai 2009, www.dradio.de


Entwicklungspolitik schafft Sicherheit

Friedensgutachten 2009 in Berlin vorgestellt

Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unterstützt die Forderungen des Friedensgutachtens 2009: "Das Friedensgutachten zeigt, wie wichtig die Unterstützung der Entwicklungsländer gerade in der Finanzkrise ist. Den Entwicklungsländern brechen Exporteinnahmen, Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten in ihre Heimatländer sowie private Investitionen weg; auch der Klimawandel führt in vielen Entwicklungsländern zu starkem Anpassungsdruck. Wir müssen deshalb gerade jetzt zu unseren Zusagen stehen, sonst riskieren wir eine Verschärfung der innerstaatlichen Konflikte in Entwicklungsländern. Die Situationen in Afghanistan, Pakistan, im Kongo und im Sudan zeigen eindrücklich, dass es stets teurer und schwieriger ist, Kriege zu beenden, als rechtzeitig ihre Ursachen zu bekämpfen. Entwicklungspolitik ist die kostengünstigste Friedenspolitik und schafft langfristig Sicherheit. Wir müssen menschenwürdige Lebensbedingungen schaffen, Dialogprozesse zwischen Konfliktparteien fördern und frühzeitig die Ursachen von Konflikten bekämpfen, damit die Menschen erst gar nicht zu den Waffen greifen. Es ist unverständlich, dass die Weltgemeinschaft noch immer jedes Jahr mehr als 1,2 Billionen US-Dollar für Waffen und andere Rüstungsgüter ausgibt und nur ein Zehntel davon weltweit für Entwicklung."

Das Friedensgutachten 2009 wurde heute der Öffentlichkeit vorgestellt. Schwerpunkt dieses Jahr ist die Frage nach der Beendigung von Kriegen. Zentrale Forderung ist ein starkes ziviles Engagement in Konflikten statt eines Einsatzes militärischer Mittel. Das Friedensgutachten ist das gemeinsame Jahrbuch der fünf führenden wissenschaftlichen Institute für Friedens- und Konfliktforschung in Deutschland. Es wird seit über zwanzig Jahren jeweils zu einem Schwerpunktthema herausgegeben und hat seitdem die deutsche Friedenspolitik kritisch begleitet und beeinflusst.

Quelle: Website des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 26. Mai 2009; www.bmz.de


Wieczorek-Zeul lehnt Militäreinsatz in Somalia ab

Die Bundesministerin für Entwicklungszusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul, glaubt nicht, dass in Somalia bald wieder Recht und Gesetz gelten und so die Wege am Horn von Afrika sicherer werden. Einen Militäreinsatz an Land lehnte sie im tagesschau.de-Interview trotzdem ab - verteidigte aber die Bundeswehr-Mission in Afghanistan.

tagesschau.de: Das Stichwort 'Sicherheit' spielt in der internationalen Politik derzeit eine große Rolle. Aber zumeist fällt im selben Satz dann auch das Wort 'Militär' – ärgert Sie das als Ministerin, die für zivile Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich ist?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Nein. Es gibt Situationen, da ist ein militärischer Einsatz notwendig. Aber das allerwichtigste ist, alles zu tun, damit gewaltsame Konflikte und Kriege gar nicht erst ausbrechen. Das ist günstiger, als anschließend Schäden zu beseitigen.

tagesschau.de: Da Sie gerade das Geld ansprechen. Wenn man beispielsweise das Ausgabenverhältnis zwischen Militäreinsatz und ziviler Hilfe in Afghanistan betrachtet, dann stellt man fest, dass für die Bundeswehrmission rund vier Mal soviel ausgegeben wird wie für die zivile Entwicklungszusammenarbeit. Was sagen Sie zu diesem Ungleichgewicht?

Wieczorek-Zeul: Es ist einfach so, dass Militär insgesamt finanzaufwändiger als die Entwicklungszusammenarbeit ist. Bei höheren Haushaltsmitteln könnte man in Bezug auf Afghanistan noch mehr im zivilen Bereich machen. Es ist aber bereits das Land, in dem das Auswärtige Amt, Bundesinnenministerium und wir im zivilen Bereich am stärksten engagiert sind und am meisten investieren. Polizei wichtiger als Militär

tagesschau.de: Kann Militär tatsächlich Sicherheit schaffen?

Wieczorek-Zeul: Militär und Polizei haben die Aufgabe, für die afghanische Bevölkerung Recht und Gesetz und Sicherheit in allen Regionen zu gewährleisten. Dabei ist der Polizeiaufbau das allerwichtigste. Es muss aber auch durch die Ausbildung dazu beigetragen werden, dass die afghanische Armee selbst das Land verteidigen kann. Für die Zwischenzeit führt kein Weg daran vorbei, dass die militärische Präsenz - auch durch deutsche Soldaten - fortgesetzt wird. Wir müssen in diesem Zusammenhang aber auch erwähnen, dass ein martialisches Verhalten des US-Militärs die Zivilbevölkerung besonders belastet und in der Folge die Menschen eher gegen die Amerikaner aufgebracht hat als gegen die Taliban.

"Ich mache mir keine Illusionen"

tagesschau.de: Militär kann also nach Ihrer Ansicht einen Zeitraum überbrücken, bis ein funktionierendes Staatswesen errichtet ist. Nun ist Afghanistan nicht der einzige Staat, über den derzeit viel gesprochen wird und wo es eine gewisse Rechtlosigkeit gibt: Was ist in Somalia? Was muss dort passieren, damit eine somalische Regierung gegen Piraten vorgeht und so für die Sicherheit der Schiffsrouten am Horn von Afrika sorgt?

Wieczorek-Zeul: Ich kenne niemanden, der eine Blaupause für die Entwicklung in Somalia hat. Aber das allerwichtigste ist, die dortige Übergangsregierung durch internationale Hilfen zu stabilisieren und den zivilen Aufbau mit gezielten Projekten zu fördern. Und trotz der bereits beschlossenen Hilfen beispielsweise seitens der EU mache ich mir keine Illusionen, dass in absehbarer Zeit aus diesem zerfallenen Staat ein Land wird, in dem Recht und Gesetz herrschen. Das bleibt eine große Aufgabe.

tagesschau.de: Es gibt bereits Stimmen, die einen reinen Militäreinsatz zur See für nicht ausreichend halten, um die Piraterie in der Region in den Griff zu bekommen. Ist eine Stabilisierung Somalias ohne die Entsendung von Soldaten an Land überhaupt denkbar?

Wieczorek-Zeul: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das ein sinnvoller Ansatz wäre. Es gab in jüngerer Vergangenheit den Versuch der äthiopischen Seite, militärisch die Lage in den Griff zu bekommen. Das hat die Probleme eher vergrößert.

Die Fragen stellte Alexander Richter, tagesschau.de

Quelle: www.tagesschau.de


Militärische Einsätze sind keine Lösung

Als "politische Flickschusterei" bezeichnet das Friedensgutachten für 2009 die militärischen Einsätze in Afghanistan und Pakistan. Auch die militärische Strategie in Somalia wird scharf kritisiert.

"Wir stellen fest, dass es die immer wieder angemahnte Strategie für beide Länder weiterhin nicht gibt." Dem Ansatz, weitere Truppen nach Afghanistan zu schicken, erteilen die Friedensforschungsinstitute eine Absage, weil das den Krieg nicht beenden werde. Da der Krieg "innergesellschaftlich" begründet sei, könnten nur Regeln und Strukturen helfen, also das Rechtswesen und die Polizei. "Mit legitimer Staatlichkeit an der sozialen Basis steht und fällt jede Afghanistan-Strategie", heißt es in dem Gutachten.

Auch die militärischen Einsätze, um vor den Küsten Somalias die Piraterie zu bekämpfen, findet wenig Gnade vor den Augen der Experten. Vielmehr prangern sie an, dass die Ursache für diese Art der Kriminalität in der illegalen Überfischung und der ebenfalls illegalen Verklappung von Giftmüll zu suchen sei. Beides schädige die Bevölkerung und die Wirtschaft Somalias und dürfe nicht ignoriert werden.

Aus: ZEIT-online, 26. Mai 2009


Konfliktforscher kritisieren Anti-Piraten-Einsatz

Der internationale Marine-Einsatz vor der Küste Somalias stößt bei deutschen Wissenschaftlern auf Kritik. Die Politik bekämpfe nicht die Ursachen der Piraterie, erklärten die Verfasser des Friedensgutachtens 2009.

Die Mitarbeiter der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute bemängelten, dass die Kriegsschiffe vor Somalia nichts gegen illegalen Fischfang und illegale Müllverklappung unternähmen. Doch Gilftmüllentsorgung und Überfischung durch internationale Fangflotten entzögen den Menschen an der Küste Somalias ihre wirtschaftliche Grundlage.

"Nur die Seeräuberei mit aller Macht verhindern zu wollen, schwächt die Glaubwürdigkeit der Piratenbekämpfung in der somalischen Gesellschaft, die aber zur Lösung des Problems entscheidend ist", resümierten die Konfliktforscher. Erforderlich sei eine Politik, die die wirtschaftlichen und ökologischen Interessen der somalischen Küstenbevölkerung berücksichtige und das Völkerrecht auch gegen internationale Rechtsbrecher durchsetze. Im Internationalen Abkommen über die Hohe See von 1958 sei nicht nur die Verfolgung von Piraterie festgelegt, sondern auch die Ahndung von illegaler Giftmüllentsorgung.

Aus: www.tagesschau.de, 26. Mai 2009


Kriege durch Truppenabzug beenden!

In klaren Worten wird in dem Friedensgutachten 2009 vertreten, dass ein militärischer Einsatz in Afghanistan nicht zu einer Beendigung des Gewaltkonfliktes führen wird. Militärische Mittel könnten kein Ersatz für politische Veränderungsprozesse sein. Die Veränderungsprozesse müssen von der sozialen Basis der Gesellschaft ausgehen. Die neue US-amerikanische Strategie in Afghanistan wird deutlich als reine Aufstandsbekämpfungsstrategie kritisiert. Von einer Orientierung der Bundesregierung an der US-Strategie und einer Ausweitung des Bundeswehreinsatzes wird deutlich abgeraten. Die abrüstungspolitische Expertin der Linksfraktion im Bundestag Inge Höger begrüßt die Erkenntnisse des Friedensgutachtens:

„Das heute von fünf deutschen Konfliktforschungsinstituten veröffentlichte Friedensgutachten bestätigt: Für die Beendigung von Kriegen wie dem in Afghanistan, ist der Abzug der ausländischen Truppen, die aussichtsreichste Handlungsoption. Die schnelle Beendigung des deutschen militärischen Engagements ist seit langem die Forderung der LINKEN.

„Ich stimme voll zu, wenn im Friedensgutachten für den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland, für ein Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands und für den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen plädiert wird. Leider ist die Bundesregierung in dieser Hinsicht wenig konsequent und versteckt sich hinter Obama, statt konkrete Schritte zu tun.“

"Während das Friedensgutachten bestätigt, dass zivile und politische Strategien fehlen, steckt die Bundesregierung Milliarden in militärische Operationsplanungen, wie etwa in die ebenfalls heute in Kiel eröffneten militärischen Denk- und Planungsfabrik, „Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters“ (COE CSW). Hier sollen als Teil der NATO-Struktur Strategien für militärische Interventionen in Randmeeren und Küstengewässern entwickelt werden. Die Eröffnung dieses Kriegsplanungszentrums zeigt, dass es der Bundesregierung nicht um Friedens- sondern um Machtpolitik geht. Nötig ist die Förderung unabhängiger Friedensforschung und die Bereitstellung von ausreichenden Ressourcen für friedliche Konfliktbearbeitung.“

Inge Höger, MdB "DIE LINKE"


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