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"Mitten im Krieg: Perspektiven einer friedlichen Welt"

Band 11 der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik erschienen

Im November, noch rechtzeitig vor dem Friedensratschlag 2004, erschien der neueste Band aus der Kasseler Schriftenreihe zur Friedenspolitik. In diesem Band sind zahlreiche Vorträge des letztjährigen Friedenspolitischen Ratschlags sowie weitere Beiträge vereinigt.


Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Mitten im Krieg. Perspektiven einer friedlichen Welt. Jenior Verlag: Kassel 2004, 230 Seiten, 15,- Euro (ISBN 3-934377-74-2), Kasseler Schriften zur Friedenspolitik Bd. 11

Mit Beiträgen von:
Johannes M. Becker * Roland Blach * Ulrich Brand * Christoph Butterwegge * Angelika Claußen * Sabine Damir-Geilsdorf * Corinna Hauswedell * Lühr Henken * Henner Kirchner * Arno Klönne * Heinz Loquai * Ralph-M. Luedtke * Bruno Mahlow * Thomas Roithner * Werner Ruf * Paul Schäfer * Conrad Schuhler * Hans C. Graf Sponeck * Eva-Maria Stange * Peter Strutynski * Horst Trapp * Kathrin Vogler * Francis Würtz

DAs Buch befasst sich schwerpunktmäßig mit den Folgen des Irakkriegs auf die Nahost-Region und auf die Entwicklung der internationalen Beziehungen insgesamt. Auch wenn die US-Regierung im Irak sichtlich gescheitert ist, hält sie an den Grundzügen ihres "Antiterror-Kriegs" fest. Der Welt drohen also neue Kriege. Da sich allem Anschein nach die Mitgliedstaaten der Europäischen Union an diesem "Krieg" zunehmend selbst beteiligen wollen - auch wenn für die "Kriegsgegner" der Irak noch tabu ist -, stehen die Chancen auf friedlichere Zeiten schlecht.
Gerade deshalb müssen Wissenschaft und Politik "mitten im Krieg" über "Perspektiven einer friedlicheren Welt" nachdenken. Die Welt braucht dringend Alternativen zur herrschenden Kriegspolitik, zur Militarisierung der EU, zur weltweiten Aufrüstung und zu den Sackgassen der neoliberalen Globalisierung. Auch darüber handelt dieses Buch, in dem namhafte Friedensforscher/innen und Exponenten der Friedensbewegung zu Wort kommen.
(Klappentext)

Vorwort

Die weltpolitischen Koordinaten haben sich mit dem Irakkrieg im Frühjahr 2003 noch einmal beträchtlich verschoben. Insbesondere die Tatsache, dass die Administration der Vereinigten Staaten gegen den erklärten Willen des UN-Sicherheitsrats, der meisten Staaten der Erde und der überwiegenden Mehrheit der Menschen aller Kontinente einen Krieg vom Zaun brach, hat zu vielfachen Spekulationen darüber Anlass gegeben, ob die Welt nun endgültig in eine neue Ära eingetreten sei, eine Ära, in der das alte Faustrecht das moderne Völkerrecht verdrängt habe. In der Tat scheinen sich in der Folge des Irakkriegs viele völkerrechtliche Gewissheiten verflüchtigt zu haben. War es vormals nicht denkbar, ein fremdes Land auf bloßen Verdacht hin, es könne unerlaubte Massenvernichtungswaffen besitzen, zu überfallen, so wird heute auf dem globalen Marktplatz der Meinungen darüber räsoniert, welcher Staat denn nun als nächster ins Visier der USA geraten möchte - ganz so, als habe sich hier bereits eine neue Staatenpraxis quasi gewohnheitsrechtlich etabliert. Die Vereinten Nationen sind gegenwärtigen auch kaum in der Lage, dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, im Gegenteil: Sie beteiligen sich sogar noch an der Legitimierung völkerrechtswidriger Aggressionen (vgl. die Resolutionen 1483, 1511 und 1546 des UN-Sicherheitsrats zur Situation im Irak) oder entziehen demokratisch gewählten Staatschefs ihren (völker-)rechtlichen Schutz, indem sie sich erst zum Dulder, dann zum aktiven Fürsprecher illegitimer Aufständischer machen (so geschehen beim Putsch gegen Präsident Aristide in Haiti im Frühjahr 2004).

Dabei sind die Begleitumstände und Ergebnisse des Haiti-Putsches und die Ereignisse im Nachkriegsirak (offiziell beendete US-Präsident Bush den Krieg am 1. Mai 2003 mit seiner berühmten Rede auf der "Abraham Lincoln") jeden Beweis schuldig geblieben, dass mit der Anwendung des Faustrechts Heilsames zu bewirken sei. Die militärische Niederwerfung der irakischen Streitkräfte war eine Sache. Eine andere Sache war die Errichtung einer halbwegs akzeptierten Nachkriegsordnung, in der zumindest die Deckung der Grundbedürfnisse der Menschen garantiert ist und die Genfer Konventionen eingehalten werden. Die Realität im Irak ist himmelweit davon entfernt. Eine US-amerikanische Studie eines renommierten think tanks hat im September 2004 festgestellt, dass die US-Besatzung auf allen untersuchten Feldern versagt habe: im Bereich der Sicherheit, der Grundversorgung, des (Wieder-)Aufbaus der Wirtschaft und der Infrastruktur, der Beteiligung der irakischen Bevölkerung an politischen Prozessen und des allgemeinen Wohlbefindens ("social well-being").[1) In einer anderen Studie, die sogar von einem regierungsabhängigen Institut stammt, wurde gezeigt, dass die US-Administration und die US-Besatzungsbehörden strukturell nicht in der Lage seien, zivile Kapazitäten zur Verrechtlichung der Beziehungen im Irak bereitzustellen.[2] Auch in der Publizistik und in den Medien wird seit geraumer Zeit über die Schnitzer und die Stümperei ("bungles") der Besatzung gesprochen, als hätten sie die USA um die - verdienten - Früchte des militärischen Sieges gebracht.

Die Sichtweise der meisten Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes ist in solchen Überlegungen indessen nur zum Teil aufgehoben. So wichtig es auf der einen Seite sein mag, die Fehler, Versäumnisse und offenkundigen Verbrechen (z.B. Anwendung von Folter, Bombardierung von Wohnsiedlungen) im Laufe des Kriegs und der Besatzung zu benennen und der amerikanischen Gesellschaft vor Augen zu führen, so wichtig ist es auch, auf die Rechtswidrigkeit des gesamten Kriegsunternehmens hinzuweisen. Der beste Schutz der eigenen Soldaten, Kriegsverbrechen zu begehen, liegt allemal darin, keinen Krieg zu führen.

Die Beiträge in diesem Band greifen aber über den Irakkrieg und seine unmittelbaren Folgen hinaus. In den Blick geraten die epochalen weltpolitischen Umbrüche, die sich seit dem Ende der Blockkonfrontation abgezeichnet habe, die neuen Ambitionen einer zunehmend sich militarisierenden Europäischen Union, die Verantwortung der Ersten Welt gegenüber den von ihr mitverursachten Entwicklungsproblemen einschließlich der bewaffneten Konflikten/, Kriege und Bürgerkriege und schließlich die sich häufenden sozialen Verwerfungen in der "Ersten Welt" selbst. Die meisten Beiträge beruhen auf Vorträgen, die während des 10. "Friedenspolitischen Ratschlags" im Dezember 2003 an der Universität Kassel gehalten wurden. Den Autorinnen und Autoren, die ihre Manuskripte überarbeitet und aktualisiert haben, gilt genauso unser Dank wie Nina Füller, die im Herbst 2004 ein Praktikum bei der AG Friedensforschung absolvierte und sich u.a. mit der technischen Umsetzung der Texte in das gegebene Layout befasst hat. Fehler, Pannen und sonstige Katastrophen (nicht zuletzt die verspätete Drucklegung) gehen indessen allein auf das Konto der Herausgeber.

Anmerkungen:

[1] Center for Strategic and International Studies, Progress or Peril? Measuring Iraq's Reconstruction, Washington, September 2004. Im Internet: http://www.csis.org/isp/pcr/0409_progressperil.pdf

[2] US Institute of Peace, Building Civilian Capacity for U.S. Stability Operations. The Rule of Law Component. SPECIAL REPORT 118, April 2004. Im Internet: http://www.usip.org/pubs/specialreports/sr118.html.

Kassel, den 13. September 2004
Ralph-M. Luedtke und Peter Strutynski

Inhalt
  • Vorwort
  • Peter Strutynski: Rückblick auf das Jahr des Irakkriegs und anderer Katastrophen
  • Arno Klönne: USA-Europa: Kampf um die Weltherrschaft?
  • Hanz Loquai: Medien als Weichensteller zum Krieg
  • Hans C. Graf Sponeck: Irakkrieg: Amerikas Krieg - Amerikas Frieden?
  • Angelika Claußen: Was der Irak braucht
  • Werner Ruf: Lösungswege für den israelisch-palästinenischen Konflikt Straßenkarte zum Frieden oder Genfer Initiative?
  • Sabine Damir-Geilsdorf: Krieg im Namen des Islam?Aushandlungen und Transformationen religiöser Konzepte am Beispiel von islamischen "Märtyreraktionen" im Palästinenserkonflikt
  • Henner Kirchner: Irak und Intifada. Der Nahe und Mittlere Osten als Region mit zentraler Bedeutung für das kommende Jahrzehnt
  • Francis Würtz: Entmilitarisierung Europas
  • Bruno Mahlow: Die EU-Osterweiterung: Probleme und Chancen
  • Johannes M. Becker: Die Militarisierung der Europäischen Union oder Alternative Europa?
  • Paul Schäfer: Warum müssen wir uns mit der Europa-Wahl beschäftigen?
  • Kathrin Vogler: Die EU-Wahl 2004 - wichtig für die Friedensbewegung?
  • Eva-Maria Stange: Abrüstung statt Sozialabbau
  • Christoph Butterwegge: (Zer-)Störung des inneren Friedens statt Kriegserklärung an die Armut. Einige Argumente gegen das neoliberale Konzept zum Um- bzw. Abbau des Sozialstaates
  • Lühr Henken: Die Bundeswehr auf dem Prüfstand der Friedensbewegung
  • Ulrich Brandt: Globalisierung als Projekt und ProzessNeoliberalismus, Globalisierungskritik und Alternativen
  • Conrad Schuhler: Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik. Ein Fall für die Friedensbewegung?
  • Corinna Hauswedell: Der nordirische Friedensprozess - ein Modell? Lehren für eine internationale Einhegung innergesellschaftlicher Konflikte
  • Roland Blach: Massenvernichtungswaffen aufspüren - überall!
  • Thomas Roithner: Perspektiven der Friedensbewegung aus dem Irak-Krieg aus österreichischer Sicht
  • Horst Trapp: Friedensbewegung: Eintagsfliege oder Dauerbrenner?


Bestellungen an:
  • Verlag Winfried Jenior, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel; Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148; E-Mail: Jenior@aol.com
    oder
  • Universität Kassel, FB 10, Frau Teichert, Tel. 0561/804-3135; e.mail: ateicher@uni-kassel.de




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