Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Migration ist ein Problem"

Im andalusischen El Ejido sind die fremdenfeindlichen Übergriffe von 2000 unvergessen

Von Sabrina Apicella, El Ejido *

Die spanische Landwirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Rassistische Ausschreitungen verhindert dies nicht. Das zeigt das Beispiel von El Ejido. Die dramatischen Ereignisse von vor zehn Jahren sind bis heute nicht aufgearbeitet.

Das Szenario ist beeindruckend: ein Meer aus Plastik. In der südspanischen Kleinstadt El Ejido wird das ganze Jahr auf über 350 km² Fläche Gemüse und Obst in Gewächshäusern angebaut. Aus dieser Region wird ganz Europa mit billigen Produkten versorgt - Hauptabnehmer ist Deutschland. Um El Ejido herum konzentriert sich die industrialisierte Landwirtschaft, mit den allseits bekannten ökologischen Verwerfungen, die diese nach sich zieht. Was jedoch kaum zur Sprache kommt, sind die Lebens- und Arbeitsverhältnisse derjenigen, die diese Region als Migranten erreichen, um sich in Europa »ihr Leben zu suchen«, um Papiere zu bekommen und um zu arbeiten, nicht selten kommen sie aus Marokko.

Vor zehn Jahren waren sie Ziel eines bewaffneten Mobs von Spaniern. Drei Tage lang griffen sie vor allem marokkanische Migranten, deren Unterkünfte und Läden, sowie Organisationen an, welche mit Migranten zusammenarbeiteten. Die dreitägige, systematische und organisierte Gewalt hinterließ eine Zerstörung, deren Folgen bis heute anhalten. Nach den Angriffen wurde nie wieder ein so hoher Grad an migrantischer Organisation erreicht, wie in den späten 90er Jahren. Die Einschüchterung und Isolation hält bis heute an. Von dem am 12. Februar 2000 unterschriebenen Schlichtungsabkommen über angemessene Unterkünfte für Migranten, ein Verfahren zur Legalisierung aller illegalisierten Migranten, die Aufklärung der Geschehnisse, die Entschädigung der Betroffenen und die Schaffung einer Instanz, welche die Erfüllung aller Punkte überwachen sollte, wurde bis heute kein einziger Punkt umgesetzt!

Inzwischen hat die Finanzkrise nicht nur die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Sie führt auch dazu, dass der fremdenfeindliche Diskurs wieder spürbar an Konjunktur gewinnt.

In den letzten Wochen fand in Almería eine Veranstaltungs- und Diskussionsreihe zur Erinnerung an die Ereignisse im Februar 2000 statt. Vor allem das Sozialforum Almería, der Verein »Almería Intercultural« und die Landarbeitergewerkschaft SOC Almería hatten eingeladen, die Geschehnisse in El Ejido zu analysieren, über gegenwärtige Missstände zu debattieren und gemeinsame Perspektiven zu entwickeln, damit sich derartige Ausschreitungen nicht wiederholen.

Die Reihe »El Ejido - zehn Jahre danach« war auch der Versuch einiger weniger, aus der Isolation herauszutreten, sich nach langer Zeit wieder zu vernetzen und das Schweigen zu brechen. Zu dem sehr breit gefächerten Programm wurden über 400 Akteure aus Politik, Presse, aus Universitäten, Unternehmen, von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Parteien, auch aus der Verwaltung oder der Regierung eingeladen, so Federico Pacheco von der SOC Almería. Doch fast niemand kam. »Migration ist ein Problem« sagt Javier Ayestarán von der sozialdemokratischen Gewerkschaft Comisiones Obreras und er meint damit nicht nur die Probleme der Migranten selbst, sondern vor allem den Umgang mit dem Thema, dem sich die meisten verweigern. »Allein eine Diskussionsveranstaltung zur Erinnerung ist inkorrekt, Rechte für Migranten einzufordern, ist inkorrekt, denn Migranten sollen Sklaven sein, entrechtet und desorganisiert«, sagte José Criado, ein Schriftsteller und Journalist aus der Region, und die Mitdiskutanten stimmten zu.

Auch internationale Gruppen aus Frankreich, Österreich, Deutschland und der Schweiz waren zur Unterstützung angereist und machten deutlich, dass El Ejido trotz der schwierigen Verhältnisse vor Ort in den letzten zehn Jahren europaweit zu einem Symbol für Ausbeutung und Rassismus geworden ist, wie Nicholas Bell vom Europäischen BürgerInnen Forum betonte. Dass es keine starke Bewegung gäbe, so Bell, sei kein spezifisches Problem in Almería.

Vor wenigen Wochen kam es im süditalienischen Rosarno wieder zu xenophoben Ausschreitungen gegen migrantische Landarbeiter bei der Orangenernte. Wieder gingen die Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte mit einem starken Rassismus und dem gezielten Angriff auf politische Organisation und Protest einher. Erst die Ausbeutung der Menschen und die rassistische Grenzund Migrationspolitik der EU machen das Modell der industrialisierten Landwirtschaft möglich, von dem auch wir tagtäglich in Form von Billiggemüse profitieren.

* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2010


Zurück zur "Spanien"-Seite

Zur Seite "Migration, Flucht, Vertreibung"

Zurück zur Homepage