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"Little Brother" in Katalonien

Interne Dokumente zeigen, wie die katalanische Polizei Politiker, Journalisten und Linke ausspäht

Von Carmela Negrete *

In Katalonien sorgen im Internet veröffentlichte Polizeidaten für Empörung. Diese legen offen, wie detailliert die Regionalpolizei die Kommunikation von linken Aktivisten, Journalisten, Politikern und politischen Gruppen im Internet verfolgt. Am vergangenen Donnerstag verurteilten die linke Oppositionspartei CUP und die Gewerkschaft CGT in einer gemeinsamen Erklärung das Vorgehen der Behörden. In der nächsten Parlamentssitzung will die CUP eine Untersuchung der Vorfälle fordern. Die Aktivistengruppe »Anonymous« hatte Ende Oktober eine Reihe interner Dokumente der »Mossos d’Esquadra« im Internet veröffentlicht. Konkret interessierten sich die Beamten für »Twitter«-Kurznachrichten über behördlich genehmigte Demonstrationen der Bewegung der »Empörten« oder zum 1. Mai. Dabei enthalten die meisten dieser Mitteilungen keine Gewaltaufrufe und stehen auch sonst in keiner Beziehung zu konkreten Gesetzesverstößen.

Rechtsanwalt Carlos Sánchez Almeida, der ebenfalls überwacht wurde, erläuterte, daß kein Fall von Spionage vorliege, da die Botschaften im Netz schließlich öffentlich seien. »Die grundlose Erstellung ideologischer Profile von Twitter-Usern« verstoße aber zumindest gegen die spanischen Datenschutzbestimmungen. Die für die Überwachung zuständige Einheit, der technologische Informationsdienst CESICAT, wollte keine Stellungnahme abgeben. Allerdings bemühten sich die Beamten eifrig, den US-Internetdienst Dropbox zur Löschung der Dokumente zu bewegen. Dieser akzeptierte das unter Hinweis auf einen angeblichen Verstoß gegen die US-Copyrightgesetze. Auch ein weiterer Dienst zum Teilen von Dateien, Mega, sperrte die eingestellten Dokumente.

Bereits im vergangenen Juli hatten die katalanischen Linksparteien ERC, PSC, ICV und CUP der Polizei vorgeworfen, ideologische Steckbriefe von Aktivisten angelegt und deren politische Positionen, Verbindungen zu sozialen Bewegungen sowie gewerkschaftliche und politische Aktivitäten aufgezeichnet zu haben. Schon damals hatten die Linken im Parlament die Löschung der Daten beantragt, was aber von den Rechtsparteien CiU und PP in seltener Eintracht abgelehnt wurde. Das katalanische Innenministerium streitet die Existenz ideologischer Profile ab. Demgegenüber erklärte die Datenschutzagentur ACPT, daß die Regionalpolizei zumindest über zwei Datenbanken verfüge, die nicht kontrolliert würden. Das seien die zu Terrorismus und zu »schweren Formen organisierter Kriminalität«. Tatsächlich räumte die Polizei jedoch selbst indirekt ein, daß sie sich ihre politischen Gegner sehr genau ansieht. So konnte sie schon 2011 bei einer Protestaktion gegen die damalige Rentenreform 418 Teilnehmer identifizieren und öffentlich erklären, daß 187 von ihnen »Systemgegner«, 39 Anhänger der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und 19 Anarchisten gewesen seien. Eine Auskunft darüber, wie und warum sie diese Katalogisierung vorgenommen hätte, verweigerte die Polizei. Für die meisten der so erfaßten Demonstranten waren keine Vorstrafen verzeichnet.

Ganz offiziell strebt die Regionalpolizei die Erfassung von Informationen über Anmelder von Demonstrationen an. Dabei geht es auch um besonders geschützte Angaben wie Ideologie, Religion, Mitgliedschaft in Gewerkschaften oder Parteien, ethnische Herkunft und sogar sexuelle Präferenzen. Als Grund dafür gibt die Polizei an, »Statistiken und Berichte« erstellen zu wollen. Die Veröffentlichung von »Anonymous« kam zu einem für die »Mossos d’Esquadra« ungünstigen Zeitpunkt. Wenige Tage zuvor waren im Internet Videos aufgetaucht, auf denen Polizisten zu sehen sind, die einen katalanischen Unternehmer zusammenschlagen. Dieser starb nur wenige Stunden später, am 6. Oktober, im Krankenhaus. Inzwischen hat die Plattform Youtube die Filme entfernt.

* Aus: junge Welt, Montag, 4. November 2013


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