Kosovo: Neuer Boss, neue Chance?
Michael Steiner tritt kein leichtes Amt an - Verfahrene Verhältnisse. Von Andreas Ernst, Skopje
Es ist sicher nicht uninteressant, wie im Ausland über die Mission des geschassten deutschen Staatssekretärs Michael Steiner im Kosovo gedacht wird. Steiner tritt dieser Tage sein Amt als UN-Beauftragter für das Kosovo an. In der Schweizer Wochenzeitung WoZ fand sich dazu folgende Einschätzung:
Die Uno-Verwaltung des Kosovo hat es nach zweieinhalb Jahren
nicht geschafft, drängende Probleme des Landes zu lösen: die
Rechtsunsicherheit und das Energieproblem etwa.
Formal noch immer eine serbische Provinz, faktisch seit über zweieinhalb
Jahren ein Protektorat der Vereinten Nationen, sieht der Kosovo einer
ungewissen Zukunft entgegen. Die Unwägbarkeiten sind in der
vergangenen Wochen noch grösser geworden. Auch im dritten Wahlgang
ist es dem Kosovo-Parlament nicht gelungen, einen Präsidenten und eine
Regierung zu wählen, um die «substanzielle Autonomie», welche die
Provinz gemäss der Uno-Resolution 1244 geniesst, mit Leben zu füllen. Da
keine der angetretenen Parteien, weder Ibrahim Rugovas Demokratische
Liga noch Hashim Thacis Demokratische Partei noch Ramush Haradinajs
Allianz für die Zukunft, die absolute Mehrheit erhielt, ist die Teilung der
Macht im Rahmen einer Koalitionsregierung unumgänglich. Aber dies
widerspricht der politischen Kultur in der Region, die dem Sieger ungeteilte
Macht verspricht. Verstärkt wird die Unfähigkeit zum Kompromiss durch
die Erbfeindschaft, die zwischen Rugova und den ehemaligen Kriegsherren
der UCK, Thaci und Haradinaj, besteht. Noch kurz vor der Eskalation des
Kriegs um den Kosovo hatte Rugova die UCK als Erfindung des serbischen
Geheimdienstes abgetan. Seither ist es immer wieder zu unaufgeklärten
Anschlägen auf Exponenten der Demokratischen Liga gekommen, die
Tätern aus dem UCK-Umfeld zugeschrieben wurden.
Wenn es politisch nicht völlig unkorrekt wäre, dann würde Rugova wohl
eine Koalition mit dem serbischen Parteienbündnis Povratak (Rückkehr)
vorziehen – eine Vorstellung, die nicht nur den albanischen Nationalisten
skandalös erscheint: Der jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica hat
Povratak eindeutig vom Bündnis abgeraten, solange Rugova an seinen
Sezessionsplänen festhalte. Die Povratak-Vorsitzende Rada Trajkovic, an
politischem Einfluss interessiert, mochte das nicht so eng sehen:
Natürlich werde man Rugova nicht ohne weiteres unterstützen. Eine
Zusammenarbeit sei aber denkbar, wenn Rugova akzeptiere, dass auch
die SerbInnen im Kosovo ihr rechtmässiges Vaterland hätten, und wenn
die Vertriebenen zurückkehren dürften. Damit könnte sich Rugova
prinzipiell einverstanden erklären. Wenn er aber die Zusammenarbeit mit
den Feinden von damals jener mit den Volksgenossen vorzieht, wird sein
verblassendes Charisma als Landesvater zusätzlich leiden. Amerikanische
Diplomaten suchen jetzt einen Ausgleich zwischen Rugova und Thaci, die
mit der gleichen Sturheit, mit der sie die Unabhängigkeit des Kosovo
verlangen, nur schon dessen Selbstverwaltung verunmöglichen.
Allerdings hat die Uno-Verwaltung (Unmik) nicht wenig zur verfahrenen
Situation beigetragen. Dass der diese Woche neu ernannte
«Uno-Gouverneur» Michael Steiner das Durchhaltevermögen hat, die mit
sich selbst beschäftigte Administration umzubauen, kann man nur hoffen.
Sein Vorgänger Hans Haekkerup hatte dies in seiner knapp einjährigen
Amtszeit nicht geschafft. Dass Haekkerup ernsthafte
Kommunikationsprobleme hatte, bewies er nicht nur mit seinem
unvermittelten Abgang. Die nachgeschobene Begründung, seine Frau
erwarte ein Kind, wurde im Kosovo als schlechter Witz aufgefasst – zu
exotisch erscheinen die skandinavischen Regeln familienpolitischer
Korrektheit auf dem Balkan. Eher wird dem Gerücht Glauben geschenkt,
Haekkerup sei an Leib und Leben bedroht worden. Vielleicht sah sich der
Däne, dessen Karriereplanung wohl eher auf seine Heimat bezogen ist,
aber auch schlicht in einer auswegslosen Situation: Koordinationsprobleme zwischen Uno, OSZE und EU, die kurzfristige
Rotation der internationalen Beamten und der chronische Geldmangel
behindern seit Beginn des Mandats eine effektive Verwaltung.
Keinem der Gouverneure ist es bisher gelungen, die grundlegenden
Probleme der Provinz zu lösen. Dazu gehört an erster Stelle die
Rechtssicherheit in all ihren Facetten. Für die gesamte Bevölkerung – und
nicht nur die bedrohten Minderheiten – ist der unbefriedigende Zustand des
4100 Personen starken Polizeikorps eine Zumutung. Letzte Woche wurde
bekannt, dass gegen 350 Beamte ein Verfahren wegen
Gesetzesübertretungen hängig ist, während 71 Beamte fristlos entlassen
wurden und 72 den Dienst von sich aus quittierten. Die Polizei ist
unterbezahlt, schlecht ausgebildet, und viele Beamte sind für Korruption
empfänglich. Die fehlende Durchsetzung von Gesetzen hat auch
unmittelbare Folgen für die immer noch katastrophale Energieversorgung
der Provinz. Derzeit funktioniert die Versorgung nur während sechzehn
Stunden pro Tag. Weil die KonsumentInnen ihre Stromrechnung nicht
bezahlen, ging die Kosovo-Elektrokorporation im Dezember Bankrott. Die
dringend notwendige Erneuerung der veralteten Kohlekraftwerke stockt,
und die Uno-Ver-waltung muss teuren Strom aus den Nachbarländern
importieren. Um die Energieversorgung sicherzustellen, sollen im
laufenden Jahr 59 Millionen Euro investiert werden; wer das bezahlen soll,
weiss niemand.
Längerfristig noch problematischer sind die fast vollständig fehlenden
Investitionen aus dem Ausland. Unmik möchte zwar eine
Privatisierungsagentur einrichten, welche das staatliche Eigentum an den
Meistbietenden verkauft – aber wem gehört das staatliche Eigentum?
Serbien und dessen Schuldner werden mit Verweis auf die Uno-Resolution
1244 bei der Privatisierung mitreden wollen und können den Prozess
gegebenenfalls blockieren. Dagegen wehrt sich bereits jetzt die
Anwaltsvereinigung des Kosovo; der Fall ist bei der Uno in New York
hängig. Es ist offensichtlich: Die folgenreichste aller Rechtsunsicherheiten
besteht in Bezug auf den künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo.
Die derzeitige Regelung durch die Uno-Resolution wird von den Betroffenen
als Provisorium betrachtet. Die wirtschaftliche wie die politische
Entwicklung der Provinz bleiben so lange in der Schwebe, bis diese Frage
gelöst ist. Lösen können sie aber nur die direkt Beteiligten: die
Regierungen Kosovos, Serbiens und Jugoslawiens. Der voraussichtliche
Präsident Rugova wird sich nicht dauerhaft weigern können, unter
internationaler Vermittlung Statusverhandlungen mit Belgrad aufzunehmen.
Aus: WoZ, 24. Januar 2002
Weitere Beiträge über Jugoslawien
Zurück zur Homepage