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Serbien finanziell, wirtschaftlich und sozial am Ende

Das große Geld für die Auslieferung Milosevics ist ausgeblieben

Um die Entwicklung des demokratisch gewendeten Rest-Jugoslawien ist es in den letzten Monaten auffällig still geworden. Nur vereinzelt dringen Besorgnis erregende Bericht über die hohe Arbeitslosigkeit und die verzweifelte soziale Situation der Bevölkerung bis zu uns durch. Die Wochenzeitung "Freitag" veröffentlichte am 7. Februar 2002 ein interessantes Interview mit dem Oscar Kovac, Wirtschaftsprofessor an der Universität Belgrad und Privatisierungsminister zwischen 1998 und 2000, das wir im Folgenden in Auszügen dokumentieren. Das Interview führte Hannes Hofbauer (Österreich).

FRAGE: In Westeuropa war lange Zeit viel vom Balkan-Stabilitätspakt die Rede, mit dem unter anderem finanzielle Unterstützung für den Fall in Aussicht gestellt wurde, dass es eine Überstellung von Slobodan Milosevic nach Den Haag gäbe. Wie stellt sich das heute dar?

OSCAR KOVAC: Auf der Brüsseler Geberkonferenz im Sommer 2001 gab es Zusagen in Höhe von 1,3 Milliarden US-Dollar. Davon kamen etwa 500 Millionen von einzelnen EU-Ländern, wovon wiederum 350 Millionen direkt an die Europäische Investmentbank gingen, um alte jugoslawische Schulden zu begleichen. Der IWF hat übrigens im September 2001 vorgeschlagen, das Stand-by-Agreement zu überarbeiten. Dort stand auch, dass Jugoslawien 2001 ganze 250 Millionen US-Dollar als nicht rückzahlbare Kredite erhält.
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Sehen Sie andere Vorteile, die sich mit der Auslieferung ergeben haben?

Uns sind seither nur zusätzliche Kosten entstanden. Denken Sie allein an den Brief unseres Präsidenten Kostunica an die UN, mit dem er um eine neue Mitgliedschaft für Jugoslawien ersucht hat - dieser Antrag kostet uns indirekt Milliarden Dollar. Anstatt UN-Gründungsstaat zu sein, werden wir nun als deren 186. Mitglied eingestuft.

Welche Konsequenzen hat das konkret?

Die entstehen vorzugsweise wegen der Nachfolgeregelung für den Staat Jugoslawien. Die Regierung Milosevic hatte auf dem Nachfolgestatus des alten Jugoslawien bestanden. Seit Kostunica diese Position offiziell aufgegeben hat, gilt zum Beispiel das frühere Eigentum in Kroatien, Slowenien, Bosnien und Herzegowina nicht mehr als jugoslawisch. Allein dadurch haben Milliarden US-Dollar von einem Tag auf den anderen keinen alten Eigentümer mehr. Was sind dagegen die mageren 1,3 Milliarden US-Dollar der Geberkonferenz, die dort versprochen worden sind? Und dazu kommt noch etwas: Die frühere jugoslawische Regierung hat beim UN-Gerichtshof in Den Haag - nicht zu verwechseln mit dem so genannten Kriegsverbrechertribunal - Klage gegen die NATO-Staaten erhoben, Kompensation für die Kriegsschäden zu leisten. Allein die sichtbaren Zerstörungen werden auf 37 Milliarden US-Dollar beziffert. Der Prozess darüber war anhängig, obwohl nicht automatisch davon ausgegangen werden konnte, dass ihn Jugoslawien gewonnen hätte. Der Entschädigungsforderung stimmte anfangs auch noch die neue Regierung zu. Doch mit dem Brief von Kostunica an die UN ist der Prozess hinfällig geworden. Nun gilt juristisch, dass mit dem alten Jugoslawien ein Land bombardiert wurde, das es heute gar nicht mehr gibt und das demzufolge auch keine Kompensationen fordern kann. Dabei wäre es um ein Vielfaches jenes Betrages gegangen, den Jugoslawien nun als Bittsteller bekommen soll.

Vor anderthalb Jahr haben die Bulldozer der demokratischen Opposition die politische Landschaft Jugoslawiens radikal verändert. Was hat sich seit damals ökonomisch getan?

Wir durchleben die schlimmste Rezession, die das Land je erfahren hat. Die Produktion geht ständig zurück.
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Nach dem 5. Oktober 2000 übernahm das Bündnis DOS sämtliche größeren Unternehmen. In Fabriken, Schulen, Spitälern und so weiter sind so genannte Krisenkomitees gebildet worden, die das Management an sich rissen. In diesen Krisenkomitees gab es keine entsprechend geschulten Kräfte, die Betriebe führen könnten. Es waren vielmehr die so genannten Revolutionäre des 5. Oktober, die von DOS auf diese Weise mit lukrativen Positionen entschädigt worden sind. Wenn man wie Zoran Djindjic und Miroljub Labus - der heutige Vizepremier - solche Leute auswählt, um Industrieunternehmen zu führen, dokumentiert man damit seine Absicht, das Funktionieren von Betrieben, die ohnehin krisengeschüttelt waren, zu hintertreiben.

Aber irgendeinen Sinn dieser Maßnahmen muss es doch geben ...

Der besteht darin, dass die Betriebe, die man privatisieren will, extrem entwertet - sprich: billig - werden. Denn wer bezahlt schon viel für ein funktionsuntüchtiges Unternehmen?

Die Privatisierung in Serbien steckt also fest.

Ja, das zeigt sich vor allem darin, dass seit September 2000 die Lebenshaltungskosten um mehr als das Doppelte gestiegen sind. Die Indexzahl dafür beträgt derzeit 202, verglichen mit 100 im September 2000. Die Löhne konnten dieser Explosion nicht folgen, das heißt, wir haben einen absolut sinkenden Lebensstandard.

Aus: Freitag 07, 8. Februar 2002


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