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Friedenslösung für Zypern näher als 2004

Mit neuem Personal im Norden und Süden neue Verhandlungen zur Wiedervereinigung der Mittelmeerinsel

Von Christiane Sternberg, Nikosia *

Es war eine Geste von hoher Symbolkraft: Gemeinsam überquerten die beiden zyprischen Volksgruppenführer am Samstag die Demarkationslinie - die Vorzeichen für einen Annäherung sind als gut.

Am Samstag bekam der »Verräterstammtisch« in Nikosia prominenten Besuch. Seit elf Jahren treffen sich in einem Café in der alten Karawanserei im Norden der geteilten Hauptstadt griechische Zyprer mit ihren türkisch-zyprischen Freunden und plaudern über Alltäglichkeiten. Das Private ist hier politisch, denn allein ihr Treffen macht sie in den Augen vieler griechisch-zyprischer Landsleute zu Abtrünnigen.

Vergangene Woche nun ließen sich unter viel Medienrummel der griechisch-zyprische Präsident Nikos Anastasiades und Mustafa Akinci, das Oberhaupt der Zyperntürken, am Nachbartisch nieder. Akinci, seit 26. April neuer Präsident der völkerrechtlich nicht anerkannten Republik Nordzypern, und Anastasiades demonstrierten bei ihrem symbolischen Spaziergang durch beide Teile der Altstadt Nikosias eine neue, ungewohnte Einmütigkeit und Offenheit. Bei der Begegnung mit Schaulustigen wurden ihnen Blumen überreicht und Wünsche zugerufen: »Vereinigt Zypern! Wenn es diesmal nicht klappt, dann nie!« Es ist das erste Mal seit dem gescheiterten Wiedervereinigungsversuch 2004, dass die Stimmung in der Bevölkerung so positiv ist. Die neue Konstellation wirkt vielversprechend, denn der 67-jährige Akinci hat sich in seiner Amtszeit als erster Bürgermeister Nord-Nikosias von 1976 bis 1990 einen Ruf als Mann der Tat und der Versöhnung erarbeitet. Wie Präsident Anastasiades stammt er ursprünglich aus der Hafenstadt Limassol im Süden der Insel.

Gleich nach seiner Wahl hatte sich Akinci öffentlich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan angelegt, indem er erklärte, Nordzypern wolle der mächtigen Türkei künftig auf Augenhöhe begegnen, statt als Tochterstaat bevormundet zu werden. Als nächstes schaffte er die Visumpflicht an den türkisch-zyprischen Checkpoints ab. Die griechisch-zyprische Seite zeigte im Gegenzug mit der Übergabe von Fotokopien zur Lokalisierung von Landminen im Norden ihren guten Willen.

Weitere vertrauensbildende Maßnahmen stehen im Mittelpunkt des ersten Treffens der neuen Verhandlungsrunde zur Wiedervereinigung der Insel am heutigen Donnerstag. Bis alle strittigen Fragen zur Gestaltung einer vereinigten Republik Zypern in zähen Gesprächen geklärt sind, soll die Bevölkerung beider Landesteile schon vorab von Erleichterungen profitieren. So zum Beispiel von der Öffnung neuer Grenzübergänge oder der Harmonisierung der Mobilfunknetze von Nord und Süd. Schon jetzt haben die Handelskammern ein Programm für den grenzübergreifenden Einsatz von Praktikanten beschlossen. Erhofft wird die Rückgabe der von der türkischen Armee besetzten Stadt Varosha an die ehemaligen griechisch-zyprischen Bewohner und im Gegenzug die Zulassung der nordzyprischen Flug- und Seehäfen für den internationalen Verkehr.

Die Tauwetterperiode, die mit der Wahl Akincis im Norden eingesetzt hat, bekommt jedoch Gegenwind aus der griechisch-zyprischen Opposition. Die Bewegung der Sozialdemokraten, eine der Oppositionsparteien, hat zum Beispiel ihre Parteilinie geändert und unterstützt nicht länger eine bikommunale und bizonale Föderation als Staatsform einer künftigen vereinigten Republik Zypern. Dabei war genau diese Definition der bisher kleinste gemeinsame Nenner in den Friedensverhandlungen. Der Vorsitzende des Bürgerbündnisses, Giorgos Lilikas, warnte davor, sich von künstlich erzeugter Euphorie umgarnen zu lassen. Auch einige Medien kanzeln die kleinen Schritte der Annäherung als Augenwischerei ab.

Aber die Befürworter der Verständigung und einer schnellen Wiedervereinigung werden von der Wirtschaftselite unterstützt, die sich einen ökonomischen Boom für die krisengeschüttelte Republik Zypern erhofft. Auf türkisch-zyprischer Seite wiederum wächst die Erkenntnis, dass ein Zusammengehen mit den griechisch-zyprischen Nachbarn der einzige Ausweg aus der Umklammerung Ankaras ist. Schon ist abzusehen, dass die Siedler vom türkischen Festland irgendwann mehr als die ursprünglichen Zyperntürken im Norden sein und so auch bei Wahlen dominierend sein werden. Eine Islamisierung verdrängt die Offenheit der beinahe areligiösen Nordzyprer. Die Lehrergewerkschaft mahnt schon seit langem, dass es inzwischen in der nördlichen Inselhälfte mehr Moscheen als Schulen gibt und fürchtet den Einfluss der neuen Akademie für Islamische Theologie auf die säkularen Prinzipien des Landes.

Optimisten sprechen davon, dass bis Ende des Jahres eine Lösung für das seit 41 Jahren geteilte Zypern gefunden sein könnte. Die Vorzeichen zumindest sind derzeit vielversprechender als zuletzt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 28. Mai 2015


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