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Schwierige Suche nach Kompromissen auf Zypern

Heute beginnen neue Verhandlungen über die Wiedervereinigung

Von Christiane Sternberg, Nikosia *

Heute (3. September) nehmen Dimitris Christofias, Präsident der Republik Zypern, und sein türkisch-zyprischer Amtskollege Mehmet Ali Talat die Gespräche über die Vereinigung des seit 34 Jahren geteilten Landes wieder auf.

Der Weltfriedenstag war nicht nur ein Datum in Zypern. Türkische und griechische Zyprer trafen sich am Montagabend (1. September) in der geteilten Hauptstadt Nikosia, um ihren Willen zur Wiedervereinigung der Insel zu demonstrieren. Etwa 300 Leute waren zu der Veranstaltung in die Pufferzone gekommen, in das Niemandsland zwischen Nord und Süd. Wie Hoffnungsschimmer flackerten ihre Kerzen in der Dunkelheit. »Der Frieden in Zypern lässt sich nicht aufhalten!« Dieser Ruf, der auch schon vor dem missglückten Referendum 2004 zu hören war, bekommt angesichts der bevorstehenden Friedensverhandlungen wieder neue Dynamik.

Wenn sich heute Dimitris Christofias, Präsident der Republik Zypern, und sein türkisch-zyprischer Amtskollege Mehmet Ali Talat zu Gesprächen treffen, sitzt auch der gute Wille beider Staatsmänner mit am Tisch. Seit seiner Wahl im Februar dieses Jahres machte der Reformkommunist Christofias deutlich, dass er zu Kompromissen im Dialog mit dem Norden bereit ist. Talat gehört ebenfalls zur neuen Politikergeneration, die die alten Hardliner abgelöst hat.

Die UNO, seit 1964 mit einem Kontingent auf Zypern stationiert und bisher an allen Einigungsversuchen beteiligt, hat diesmal als Sonderbeauftragten den ehemaligen australischen Außenminister Alexander Downer entsandt. Das Verhandlungspaket enthält brisante Themen, die auch internationale Interessen berühren und während der letzten Jahrzehnte im Sinne der politischen Propaganda in beiden Landesteilen emotional aufgeladen wurden. Der Abzug der 42 000 Mann starken türkischen Armee aus dem Norden des Landes gehört dazu ebenso wie die Frage nach der Zukunft von 160 000 Festlandstürken, die eben dort angesiedelt wurden. Es geht um die Rückgabe der 1974 beim türkischen Einmarsch von den Flüchtlingen zurückgelassenen Grundstücke oder Entschädigung für den längst wieder bebauten Grund und Boden, die politische Gleichberechtigung beider Volksgruppen und die Verteilung des Territoriums zwischen den beiden Bundesstaaten in der neuen föderalen Republik Zypern.

Die Atmosphäre ist von »zurückhaltender Euphorie« geprägt. Die Versöhnungsschritte auf höchster Ebene, wie die Öffnung des symbolträchtigen Übergangs Ledrastraße im April oder die Ankündigung des griechisch-zyprischen Bildungsministers, nationalistische Sichtweisen und Türkenhass aus den Geschichtsbüchern zu tilgen, hinterlassen ihre Spuren in der Stimmung des Volkes. Plötzlich gedeihen Privatinitiativen wie der »Love-Bus« des Zyperngriechen Leontios Christou, der individuelle Ausflüge in den Norden des Landes anbietet.

Dennoch ist der Anteil der Skeptiker nach wie vor groß. Von den Zyperngriechen waren 40 Prozent immer noch nicht beim türkisch-zyprischen Nachbarn, seit die Grenze 2003 durchlässig geworden ist. Fast zwei Drittel der Zyperntürken wiederum ziehen eine Zwei-Staaten-Lösung dem Modell einer gemeinsamen Bundesrepublik vor. Kirchenvertreter sowie konservative Medien und rechte Politiker auf beiden Seiten unterstützen solche trennenden Haltungen und kritisieren die Verhandlungsführung von Christofias und Talat von vornherein. Sie werfen ihnen jeweils den Ausverkauf nationaler Interessen vor. Die Beeinflussung der öffentlichen Meinung während der Zeit der Friedensgespräche wird letztendlich über deren Ausgang entscheiden. Das von den Politikern ausgearbeitete Konzept für ein vereintes Zypern muss von der Bevölkerung in beiden Landesteilen in einer Volksabstimmung angenommen werden. Scheitert diese erneut, darüber sind sich alle einig, ist die letzte Chance vertan.

* Aus: Neues Deutschland, 3. September 2008

Aktuelle Meldung vom ersten Verhandlungstag

Konfliktparteien in Zypern für baldige Lösung

Nach den ersten direkten Gesprächen über eine Wiedervereinigung Zyperns seit mehr als vier Jahren hoffen die Vertreter der griechischen und türkischen Zyprer auf eine baldige Einigung. Er hoffe, dass es noch in diesem Jahr ein entsprechendes Abkommen gebe, sagte der Anführer von Nordzypern, Mehmet Ali Talat, in Nikosia. Eine Lösung solle "so schnell wie möglich" gefunden werden, fügte der Präsident der Republik Zypern, Demetris Christofias, hinzu. UN-Vermittler Andrew Downer sprach von einem "historischen Tag" für die seit 34 Jahren geteilte Mittelmeerinsel.

Die türkischen Zyprer wollten eine Lösung des Konflikts, betonte Talat. Auch die türkische Regierung in Ankara unterstütze die Gespräche. Eine Einigung sei der "gemeinsame Wille und der gemeinsame Wunsch", sagte Christofias. Deshalb müssten "gemeinsame Anstrengungen" unternommen werden, um dieses Ziel zu erreichen.

Talat und Christofias berieten bei ihrem Treffen in einer von der UNO kontrollierten Zone auf dem ehemaligen Flughafen von Nikosia mehr als vier Stunden lang. Dabei ging es zunächst vor allem um Verfahrensfragen. Tiefer gehend erörtert werden soll die Möglichkeit einer Wiedervereinigung in Gesprächen ab Donnerstag kommender Woche.

Die UNO hat kein Datum für den Abschluss der Verhandlungen vorgegeben, allerdings deutlich gemacht, dass die Gespräche nicht unendlich lange dauern könnten. Downer zeigte sich "ermutigt" von den jüngsten Fortschritten. Trotz der bleibenden Schwierigkeiten sei das Zypern-Problem lösbar und die Verhandlungen "können und müssen erfolgreich sein", sagte der frühere australische Außenminister.

AFP, 3.09.2008




Schwierige Verhandlung

In Zypern beginnen die Gespräche zur Wiedervereinigung der Insel. Die Positionen beider Seiten liegen himmelweit auseinander. Türkische Störmanöver

Von Nico Sandfuchs, Ankara **

In Zypern beginnen am heutigen Mittwoch entscheidende Verhandlungen zur Wiedervereinigung der seit einer türkischen Militärinvasion im Jahre 1974 geteilten Insel. Über die Erfolgsaussichten der Gespräche, auf die sich der Präsident Zyperns, Dimitris Christofias, und der »Volksgruppenführer« des international nicht anerkannten Nordteils, Mehmet Ali Talat, im März verständigt haben, gaben sich beide Seiten demonstrativ optimistisch. »Trotz unterschiedlicher Auffassungen in Detailfragen« halte er eine Lösung noch in diesem Jahr für möglich, erklärte Talat Anfang der Woche gegenüber Journalisten. Auch Präsident Christofias lobte »den guten Willen auf beiden Seiten«, der ihn zuversichtlich hinsichtlich einer Einigung stimme.

Ob es sich dabei nur um Zweckoptimismus handelt, dürfte sich in den kommenden Wochen rasch herausstellen. Mit einem zeitlich gut abgestimmten Störmanöver hat das türkische Militär am vergangenen Freitag jedenfalls schon einmal deutlich gemacht, daß eine Übereinkunft zwischen den beiden Parteien alles andere als leicht werden dürfte. Aus »Sicherheitsgründen« untersagten die Besatzungstruppen eine seit Monaten geplante Öffnung des Grenzübergangs von Limnitis, mit der einer Gruppe griechischer Pilger der Besuch einer im besetzten Nordteil gelegenen Kirche ermöglicht werden sollte. Geplant war die Öffnung als »vertrauensbildende Maßnahme«, die kurzfristige Absage fünf Tage vor Beginn der Verhandlungen verfehlte ihre Wirkung deshalb nicht. Eine »unverschämte Provokation« sei die Entscheidung, schimpfte etwa George Iacovou, Christofias Beauftragter für die Verhandlungen –und ließ aus Protest seinerseits ein wichtiges Treffen mit einem Abgesandten von Talat platzen. Kein gutes Omen, so unmittelbar vor dem Beginn der Verhandlungen, zumal ähnliche Störmanöver des türkischen Militärs und der mit ihnen verbundenen Kräfte in Nordzypern, die keinerlei Interesse an einem Erfolg der Gespräche haben, in den nächsten Wochen eher zu- als abnehmen dürften.

Doch auch sonst stecken die Probleme, die einen Erfolg der Verhandlungen erschweren, keineswegs nur »im Detail«, wie Mehmet Ali Talat behauptet. Seit einer Intervention des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan im Juli besteht noch nicht einmal mehr Einigkeit über die Form des gemeinsamen Staates, der am Ende der Verhandlungen entstehen soll. Wie Talat bei seiner jüngsten Instruktionsreise nach Ankara Ende August noch einmal bekräftigte, kommt für die türkischen Zyprer allein eine »Konföderationslösung«, also ein Zusammenschluß zweier mehr oder weniger unabhängiger Staaten, in Frage. Für die griechische Seite ist diese Forderung, die auf eine internationale Anerkennung Nordzyperns hinausläuft, »völlig unakzeptabel«. Ziel der Verhandlungen könne nur eine »Föderation zweier Bevölkerungsteile in einem einzigen Staat mit ungeteilter Souveränität« sein, stellte Regierungssprecher Stefanos Stefanou Anfang der Woche klar.

Darüber hinaus dürfte sich die Frage des Verbleibs der türkischen Besatzertruppen noch als schwierige Hürde erweisen. Hier erklärte Talat, daß ein Abzug der Truppen »nicht zur Diskussion« stünde. Für Nikosia hingegen ist der Abzug »Grundvoraussetzung für eine Lösung«. Auch sonst gibt es Streitpunkte zuhauf: Ob es um die Rückkehr türkischer Einwanderer, die Rückgabe des Eigentums vertriebener Griechen oder die Verteilung der politischen Macht in einem gemeinsamen Staat geht – ein erfolgreicher Ausgang der Gespräche scheint keineswegs eine ausgemachte Sache zu sein.

* Aus: junge Welt, 3. September 2008


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