Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Nordzypern muß sich von der Türkei emanzipieren"

Ein rascher Erfolg der Verhandlungen über eine Wiedervereinigung Zyperns ist unwahrscheinlich. Ein Gespräch mit Alpay Durduran

Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Alpay Durduran ist Sekretär für auswärtige Beziehungen der linken Partei Neues Zypern. *



Am Dienstag kommen der türkische Volksgruppenführer Mehmet Ali Talat und der Präsident der Republik Zypern, Dimitris Christofias, erneut zusammen, um über die Aufnahme von Verhandlungen zur Wiedervereinigung der geteilten Insel zu beraten. Was erwarten Sie sich von dem Treffen?

Ehrlich gesagt, nicht viel. Direkte Verhandlungen sollten ja ursprünglich bereits zum 21. Juni aufgenommen werden, aber bei den vorbereitenden Gesprächen sind ganz erhebliche Differenzen zutage getreten. Als im Februar Dimitris Christofias ins Präsidentenamt gewählt wurde, machte sich jeder Hoffnungen, daß nun neuer Schwung in die Friedensverhandlungen kommen würde. Aber die Entwicklung der letzten Wochen ist ernüchternd, das ist leider unübersehbar.

Woran liegt das?

Die türkische Seite setzt alles daran, um eine Lösung unmöglich zu machen. Volksgruppenführer Talat hat bewußt wieder die Fragen aufgetischt, die für Konflikte sorgen. Wie zum Beispiel die Forderung nach einer Konföderation zweier Staaten als Lösungsmodell für die Zypernfrage. Unterstützt wird Talat bei dieser wenig konstruktiven Haltung von der Türkei.

Wie ist die Rolle Ankaras zu bewerten?

Die Türkei wird sich aus Nordzypern nur ungern zurückziehen. Nach der militärischen Besetzung im Jahre 1974 hätte sich die Türkei Nordzypern gerne einverleibt. Nur die USA und jetzt auch die EU halten Ankara von diesem Schritt ab. Das ist auch einer der Gründe, warum man sich nun wieder auf Gespräche mit den Griechen eingelassen hat. Man hofft, die Welt davon überzeugen zu können, daß eine Einigung aufgrund der griechischen Haltung gar nicht möglich ist. Und daß es deshalb besser ist, die Teilung der Insel beizubehalten und völkerrechtlich zu legalisieren. Langfristig zielt die Politik Ankaras meiner Meinung nach auf einen Anschluß Nordzyperns per Volksabstimmung. Dafür sollen offenbar die Grundlagen geschaffen werden.

Wie sieht das konkret aus?

Zunächst einmal gibt es eine ökonomische Komponente. Wirtschaftlich ist Nordzypern längst auf Gedeih und Verderb an die Türkei gebunden. Allein in diesem Jahr zahlt Ankara 670 Millionen Dollar Transferleistungen an Nordzypern, das ist fast ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes. Durch den Geldstrom entfacht die Türkei in Nordzypern den Konsum und gewöhnt die türkischen Zyprioten an die regelmäßigen Finanzhilfen, ohne daß dadurch die wirtschaftliche Produktion des Landes wirklich gefördert würde. So entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, aus dem es sich nur schwer befreien läßt. Wir verschulden uns und werden so gefügig gemacht. Eine zweite Komponente aber ist die Besiedlungspolitik, die in Nordzypern betrieben wird.

Mehr als 100 000 Festlandstürken sind in Nordzypern angesiedelt worden.

Genau. Inzwischen ist die Hälfte der Bevölkerung nicht in Zypern geboren. Und das hat erhebliche Folgewirkungen, insbesondere auch für den Wiedervereinigungsprozeß. Denn die Angesiedelten werden auch politisch immer einflußreicher und haben ihre eigenen Parteien gegründet. Auf dem Land, das eigentlich an vertriebene Griechen im Rahmen einer Friedenslösung zurückgegeben werden muß, entstehen gigantische Wohnungsbauprojekte. Auch dies erschwert einen Ausgleich erheblich. Ganz abgesehen davon, daß die Frage über Verbleib oder Rückkehr der Zuwanderer ein Problem darstellt.

Wie könnte eine Lösung doch noch erreicht werden?

Zunächst einmal muß umgehend die türkische Zuwanderung gestoppt werden, da sonst eine Lösung immer unwahrscheinlicher wird. Die EU muß die Türkei darauf verpflichten, die Besiedlung einzustellen. Darüber hinaus muß den Türken in Nordzypern der Rücken gestärkt werden, sich von Ankara zu emanzipieren. Auch hier ist die Unterstützung der EU gefordert. Denn für eine Lösung ist es unabdingbar, daß der Einfluß der Türkei in Nordzypern beschnitten wird. Den Griechen wird niemals ein gemeinsamer föderalistischer Staat mit einem voll gleichberechtigten türkischen Bevölkerungsteil zu vermitteln sein, wenn die Türkei in Nordzypern weiterhin als Hegemon agiert.

Interview: Nico Sandfuchs, Mersin

* Aus: junge Welt, 30. Juni 2008


Zurück zur Zypern-Seite

Zur Türkei-Seite

Zurück zur Homepage