Zypern-Konflikt bleibt für Berlin blinder Fleck
Europarat stellt neokoloniale "Garantieverträge" in Frage / Berlin stützt türkische Besatzung
Von Harald Neuber *
Während sich der seit Jahrzehnten schwelende Zypern-Konflikt nach Drohungen aus der Türkei
zuletzt wieder zugespitzt hat, sperrt sich die Bundesregierung gegen eine nachhaltige Lösung des
Streits um die Teilung der Mittelmeerinsel. Vor wenigen Tagen erst forderten Vertreter der
konservativen AKP-Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan eine Lösung des
Zypern-Konfliktes im Sinne der Türkei. Andernfalls werde Ankara die Beziehungen zur EU einfrieren.
Die Eskalation folgt wenige Monate nach einer Erklärung der Parlamentarischen Versammlung des
Europarates, die sich kritisch mit den sogenannten Garantieverträge über die Unabhängigkeit der
Republik Zypern auseinandersetzte. Auf eine Anfrage der Linkspartei-Bundestagsabgeordneten
Sevim Dagdelen weist die Bundesregierung die Notwendigkeit einer Befassung mit den
»Garantieverträgen« nun dennoch von sich. Berlin stützt damit faktisch die weitere Spaltung der von
der Türkei in Teilen besetzten Mittelmeerinsel. Und dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da sie
den Vorsitz des UNO-Sicherheitsrats innehat.
Die sogenannten Garantieverträge waren ab 1959 geschlossen worden und ebneten den Weg zur
Unabhängigkeit Zyperns vom britischen Kolonialregime. In den Abkommen wurden mit
Griechenland, der Türkei und Großbritannien drei »Garantiemächte« mit weitreichenden
Eingriffsbefugnissen in die Souveränität der Republik Zypern benannt. Wäre diese Regelung, wie
der Europarat meint, obsolet, würde dies der zyprischen Regierung den Rücken stärken und das im
Norden der Insel etablierte türkische Besatzungsregime schwächen. Dies hätte zugleich
empfindliche Auswirkungen auf die NATO-Politik: Großbritannien stellt dem Nordatlantikpakt nicht
nur seine beiden Militärbasen in Zypern zur Verfügung, auch das türkische Besatzungsregime öffnet
der NATO die von ihm kontrollierten Häfen. Und die Bundeswehr kann diese Einrichtungen für ihren
Afghanistan-Einsatz nutzen.
Vor diesem Hintergrund weist die Bundesregierung jede Verantwortung von sich. Sie müsse sich
nicht mit den Garantieverträgen befassen, heißt es in der Stellungnahme, weil Deutschland nicht zu
den Unterzeichnern gehöre.
Eine fragwürdige Rechtsauffassung, verpflichtet doch schon das Grundgesetz Deutschland zur
Wahrung völkerrechtlicher Vereinbarungen. Und spätestens mit der Nutzung der militärischen
Einrichtungen in Zypern durch die Bundeswehr wird der Fall zum Thema für Berlin. Skurril wird die
Haltung der Bundesregierung in der Stellungnahme zur Entscheidung des Europarates. Man habe
»keine Erkenntnisse« über die Abstimmung der deutschen Delegation, heißt es in der von der
Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Piper (FDP), veranlassten Antwort. Stattdessen stellt
sich die Bundesregierung tendenziell auf die Seite des Besatzungsregimes, indem wirtschaftliche
Sanktionen der Türkei indirekt mit der Benachteiligung der »türkisch-zyprischen Gemeinschaft«
aufgewogen werden.
»Dabei ist die Lage gerade umgekehrt«, sagt die Bundestagsabgeordnete und Sprecherin für
internationale Beziehungen der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, im ND-Gespräch: »Die Isolierung
des besetzten Teils der Republik Zypern ist eine Folge der Militärintervention durch die Türkei
1974.« Unabhängig davon müsse die Türkei ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen wahren.
Deutschland indes stehe in der Pflicht, Ankara im Streit mit dem EU-Staat Zypern in die Schranken
zu weisen.
Die eindeutige Haltung des Europarates weise zudem darauf hin, dass die Nutzung der britischen
Militärbasen in Zypern nicht mit dem Völkerrecht vereinbar ist. »Wenn die Bundesregierung hier
keine rechtliche Prüfung unternommen hat, wie sie eingesteht, muss sie die Nutzung dieser
Stützpunkte durch die Bundeswehr umgehend stoppen«, verlangt Sevim Dagdelen.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2011
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