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Vietnam: eine unbeglichene Schuld

Von Patricia Hynes *

Die Pariser Friedensabkommen wurden am 27. Januar 1973 unterzeichnet und ermöglichten ein wiedervereinigtes Vietnam. Für einen Großteil der amerikanischen Öffentlichkeit war der Vietnam-Krieg eine schmerzhaft kontroverse Angelegenheit, die es hinter sich zu lassen galt. Warum sollte man über einen fehlgeschlagenen Krieg ohne guten Ausgang nachgrübeln oder von ihm lernen oder Zeit damit verschwenden, es sei denn man hatte ein Kind in diesem Krieg verloren oder man war ein von der erlebten Gewalt gequälter Kriegsveteran.

Der amerikanische Krieg in Vietnam war eine zum Scheitern verurteilte militärische Invasion gegen einen von der Landbevölkerung getragenen Aufstand für die Unabhängigkeit. In seinen Memoiren bestätigte Präsident Eisenhower, dass 80 Prozent der Vietnamesen wahrscheinlich für Nord-Vietnams Ho Chi Minh gestimmt hätten, wenn die laut Genfer Konferenz von 1954 durchzuführende allgemeine Wahl im ganzen Land abgehalten worden wäre. Aber diese Wahl wurde verhindert von den Vereinigten Staaten, die den korrupten Süd-Vietnamesischen Diktator Ngo Dinh Diem unterstützten.

Warum waren wir dort. Der politische „Zeitgeist“ , der den Vietnam-Krieg hervorbrachte, war die Drohung des kommunistischen China an Vietnams nördlicher Grenze und die Furcht vor dem „Domino-Effekt“, also der sukzessive Fall eines südost-asiatischen Landes nach dem anderen an den Kommunismus in der Folge von Befreiungskriegen. Aber warum zerstören wir Vietnam, wenn Rot-China unser Feind ist erwiderte Curtis LeMay, der Kommandierende der höllischen Phosphorbomben-Angriffe auf japanische Städte während des Zweiten Weltkriegs, auf diese perfide Logik. Die alles überwölbende Politik der Eindämmung des Kommunismus verband sich mit dem, was der Kriegs-Historiker George Herring beschreibt als „die arrogante Annahme, dass die USA am besten wüssten, was richtig für Vietnam sei“ und was die Außenpolitik von fünf Regierungen – von Truman bis Nixon – in Südost-Asien durchzog und militarisierte.

Während der zehn Jahre (1961 - 1971) der großflächig durchgeführten chemischen Kriegsführung versprühten US-Flugzeuge mehr als 75 Millionen Liter (20 mio gallons) von herbiziden Entlaubungsmitteln, in einer Operation mit dem Code-Namen Ranch-Arbeiter (Ranch Hand), um Belaubung und die Ernten des Feindes zu zerstören und die Vegetation um die US-Stützpunkte herum zu beseitigen. Agent Orange, das Dioxin-belastete und extrem giftige Herbizid machte ungefähr 61 Prozent aller während des Kriegs versprühten Herbizide aus.

Bei Ende des Krieges waren fast fünf Millionen Vietnamesen Agent Orange ausgesetzt gewesen, mit der Folge von „400.000 Toten und Verkrüppelten und einer halben Millionen Kinder mit Geburtsschäden,“ laut einem Regierungsbericht von 2008-2009 (President’s Cancer Panel Report ). Agent Orange wurde so extensiv versprüht, dass angenommen wird, dass jeder der zwei Millionen Amerikaner, die in Vietnam dienten, ihm ausgesetzt war. Die Vereinigung der Kriegsveteranen (Veterans Association) verbindet mittlerweile eine Vielzahl von Krebsarten, Herzkrankheiten, Diabetes Typ 2, Neuropathie, der Parkinson-Krankheit und Geburtsschäden bei Kindern, einschließlich spina bifida (sog. offener Rücken), unter denen Kriegsveteranen und ihre Kinder leiden, mit dem Einsatz von Agent Orange.

Allerdings benötigten Vertreter der Kriegsveteranen, deren Anwälte und engagierte Wissenschaftler Jahrzehnte des Herumschlagens mit unfähigen und korrupten regierungsamtlichen Gesundheitsstudien um eine Anerkennung der schädlichen Auswirkungen von Agent Orange auf die menschliche Gesundheit zu erreichen. Vietnam-Veteranen müssen sich immer noch mühselig jede benötigte gesundheitliche Hilfsleistung erkämpfen gegen eine zaudernde Regierung, die stets noch behauptet, die tödlichen Chemikalien zum Schutz der Soldaten eingesetzt zu haben, und die sich überdies weigert, jegliche Verantwortung für die zukünftigen Generationen von Agent Orange-Opfern in Vietnam zu übernehmen.

Der Krieg dauert weiterhin an in den Dioxin-Rückständen, die in der vietnamesischen Umwelt und Nahrungskette akkumuliert sind, und in der Vergiftung von Millionen menschlicher Körper, die bis heute schon in die dritte Generation übertragen wurde. Trotz zweifelsfreier wissenschaftlicher Nachweise über die Schäden bei einem Kontakt mit Agent Orange haben die Vietnamesen keinerlei Entschädigung, Entsorgungsmaßnahmen oder Hilfe seitens der US-Regierung oder der Hersteller von Agent Orange erhalten. Genauer gesagt, bis zum Jahr 2007, als der US-Kongress $ 9 Millionen bereitstellte für die Reinigung kontaminierter Gebiete und für gesundheitliche Maßnahm. 2011 schloss sich US AID der ersten Phase eines $32 Millionen-Programms der vietnamesischen Regierung zur Entfernung von Dioxin-kontaminiertem Boden bei einem früheren US-Stützpunkt in Da Nang an.

„Das ist ein großer Schritt“, sagte Ngo Quang Xuan, eine ehemaliger vietnamesischer Botschafter bei der UNO. „Aber in den Augen derer, die an den Folgengelitten haben, ist es nicht genug.“

Bei weitem nicht genug, bei mehr als drei Millionen Opfern der chemischen Vergiftung und mehr als zwei Dutzend der Abhilfe bedürfender kontaminierten Orte.

* Patricia Hynes ist emeritierte Professorin für Umweltmedizin von der Boston University; sie leitet das Traprock Center for Peace and Justice in Massachusetts.

Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken

Originalartikel: "Vietnam: An Unfinished Debt". Veröffentlicht bei „Portside“, 24.01.2013; http://portside.org


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