Hilfe zur Selbsthilfe für Agent-Orange-Opfer
Der Ansatz "inklusiver Entwicklung" soll behinderten Menschen aus der Armut helfen
Von Ilona Schleicher *
Mit der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung wurde 2008 eine völkerrechtlich
verbindliche Grundlage auf Chancengleichheit für die Menschen mit Behinderung geschaffen. Mit
dem Ansatz »inklusiver Entwicklung« wird dem Rechnung getragen.
»Wir haben gespürt, dass sich das Leben der Nachbarn in den letzten Jahren verbesserte. Aber für
meine Familie änderte sich nichts«, erzählt Bauer Duong Dinh Lien. Vor Jahren explodierte bei der
Arbeit auf der Kautschukplantage ein Blindgänger und riss ihm den rechten Arm ab. Seither lebt
seine Familie in bitterer Armut. »Wir hatten uns schon damit abgefunden, dass wir nie eine Bleibe
haben würden, die uns vor Wind und Wetter schützt«, so Bauer Lien.
Theoretisch sind sich alle einig: Nur durch die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit
Behinderung und deren gleichberechtigten Teilhabe an Entwicklung kann Armutsüberwindung
gelingen. Den Ansatz »inklusiver Entwicklung«, der sich mit der Annahme der UN-Konvention über
die Rechte von Menschen mit Behinderung in der Entwicklungszusammenarbeit mehr und mehr
durchsetzt, praktiziert der Solidaritätsdienst-international e.V. (SODI) in Vietnam nicht nur mit seinem
Gemeinde basierten Rehabilitationsprogramm für Behinderte in der Provinz Nghe An. Auch in einem
bereits seit 1998 laufenden Programm, das humanitäre Minen- und Blindgängerräumung in den
Provinzen Quang Tri und Thua Thien Hue mit Wiederaufbau und Entwicklung verbindet, kommt
dieses Prinzip zum Tragen.
Im Rahmen dieses integrierten Programms wurden bisher drei im Krieg zerstörte Dörfer komplett
wiederaufgebaut. Es entstanden Schulen und Kindergärten sowie ein Gemeinde übergreifendes
Gesundheitszentrum. Kleinkreditprogramme und andere Maßnahmen zur Einkommensförderung
unterstützten die Menschen, sich auf sicherem, von explosiven Hinterlassenschaften des Krieges
befreitem Boden tragfähige Lebensgrundlagen zu schaffen. Fast jede Familie, die diese Chance
nutzte, hat Verwandte, die Opfer von Unfällen mit Minen, Bomben, Streumunition oder auch des
Entlaubungsgiftes Agent Orange wurden. Insgesamt 34 000 Menschen, 6,2 Prozent der
Bevölkerung von Quang Tri, leben mit Behinderungen. Sie gehören zu den über 81 000 Menschen,
die in der Provinz in Armut leben.
Es steht außer Zweifel, dass nicht wenigen von ihnen direkt oder indirekt die den Räumaktivitäten
nachfolgenden Entwicklungsprojekte zu Gute kamen. Von der Stärkung der Strukturen im Vorschulund
Grundschulbereich profitieren nachweislich auch Familien mit behinderten Kindern, auch wenn
hier Barrierefreiheit bei mehrstöckigen Gebäuden noch Zukunftsmusik ist. »Aber«, so bekräftigte die
Direktorin der im 2008 fertiggestellten neuen Grundschule in Cam Thuy, »wir geben uns große
Mühe, dass trotz baulicher Hindernisse auch Schüler mit Behinderung das moderne
Computerkabinett erreichen. Besonders freuen wir uns über die ausgeprägte Hilfsbereitschaft der
Kinder untereinander.«
Besondere Hilfe zur Selbsthilfe erfahren 320 Familien mit zumeist schwerbehinderten Opfern von
Agent Orange sowie von Minen und Blindgängern durch ein Projekt, das den Bau solider,
wetterfester Häuser und ein Kleinkreditprogramm vorsieht. Gemeinsam mit den Betroffenen,
darunter Bauer Lien, hatte die vietnamesische Vaterlandsfront von Quang Tri die Verbesserung der
Wohnverhältnisse als oberste Priorität für den Weg aus der Armut ausgemacht. Die Anschaffung
von Kühen oder Schweinen mit Hilfe eines Kleinkredits stärken die wirtschaftlichen Grundlagen
dieser Familien. Sie werden Zinsen und nach drei Jahren auch den Kleinkredit in einen
revolvierenden Fond einzahlen, der danach weiteren Familien zur Verfügung stehen wird. Damit
dieser Plan aufgeht, haben sich die Projektteilnehmer, unter ihnen der Fischer Le Huu Pho, in
Trainingskursen Wissen über Sparmethoden und Haushaltsführung angeeignet. Le Huu Pho war als
Soldat mit Agent Orange in Berührung gekommen, hat drei behinderte Kinder und ist selbst sehr
krank. Seine Frau schuftet auf einer weit entfernten Kaffeeplantage für den Lebensunterhalt der
Familie. Le Huu Pho meint: »Bis zu diesem Projekt hatte ich keine Hoffnung, dass sich in unserem
Leben noch einmal etwas ändern würde. Nun habe ich das Gefühl, als ob mir neue Kräfte
zuwachsen.«
SODI-Spendenkonto: 10 20 100, Bank für Sozialwirtschaft, BLZ 100 205 00, Kennwort: »17. Breitengrad«
* Aus: Neues Deutschland, 4. August 2009
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