Rehabilitation eines Volksvertreters
Filmfestspiele Venedig: "South of Border" - Oliver Stones Porträt von Hugo Chávez
Von Caroline M. Buck *
Aus der überschaubaren Anzahl an Dokumentarfilmen im Programm der
Filmfestspiele von Venedig sticht neben Michael Moores »Kapitalismus:
Eine Liebesgeschichte« noch eine zweite US-Produktion heraus, deren
Entstehungsgeschichte im Versuch des Widerstands gegen
Wirtschaftsimperialismus und mediale Desinformationspolitik der Bush-Ära
wurzelt. »South of the Border« ist Oliver Stones vierter Dokumentarfilm
nach zwei Filmen über Fidel Castro (der hagiografische »Comandante« aus
dem Jahr 2003 und die Fernsehproduktion »Looking for Fidel« von 2004)
und der Dokumentation eines vergeblichen Gesprächsversuchs mit Yassir
Arafat (»Persona Non Grata«, 2003).
Aus dem geplanten Film über die einseitige Berichterstattung der
US-Medien in Bezug auf Lieblingsfeinde der Bush-Regierung wie Hugo
Chávez, den sozialistischen Präsidenten Venezuelas, wurde ein Film über
Chávez, und aus dem Film über Chávez die Dokumentation einer Reise durch
Lateinamerika, von Bolivien über Argentinien, Paraguay, Ecuador und
Brasilien bis nach Kuba. Überall sprach Stone mit den Präsidenten (und
einem Ex-Präsidenten), überall suchte und fand er Anzeichen einer
Emanzipation vom Gängelband des Großen Bruders im Norden.
Bei Biografischem zu Chávez nimmt der Film seinen Anfang, vom
misslungenen Versuch eines Staatsstreichs des damaligen Oberstleutnants
im Februar 1992, für den er zwei Jahre im Gefängnis saß, über die Wahl
zum Präsidenten von Venezuela im Jahr 1998 bis zum mediengestützten
Militärputsch gegen Chávez selbst im April 2002 und seiner triumphalen
Rückkehr innerhalb eines Tages. Mit Chávez fährt Stone im offenen Jeep
durch die Straßen, beobachtet die begeisterte Aufnahme, das spontane
Händeschütteln, den freundschaftlichen Wortwechsel zwischen dem
populären Präsidenten und seinen Wählern.
Über die Schattenseiten des Paradigmenwechsels in der
lateinamerikanischen Politik verliert Stone keine großen Worte.
Notstandsverordnungen, Sondervollmachten oder der Entzug von
Sendelizenzen sind nicht sein Thema, auch die Verstaatlichungen der
Ölfirmen werden nur mit einem Satz abgehandelt: seitdem gehe es der
Bevölkerung besser. Ausgezogen, die US-Medien der einseitigen
Berichterstattung zu überführen, macht Stone es auf seine Weise am Ende
genauso, nur von der entgegengesetzten Warte. Auch formal ist sein Film
uneben, es wird viel - und unscharf - in Gesichter gezoomt und wieder
weg, und manchmal sind die Simultandolmetscher im Hintergrund lauter zu
hören als die Personen, deren Dialoge sie übersetzen.
Bei aller Begeisterung für die späten Blüten der Bolíviarschen
Revolution des vorletzten Jahrhunderts und für die Politiker, die sie im
Kampf für die Unabhängigkeit von einem neuen Kolonisator umsetzen,
verfällt auch Stone gelegentlich in die Rolle des wohlwollenden Onkels
aus dem Norden, so, wenn er Chávez auf dem früheren Grundstück seiner
Großmutter auf einem Kinderfahrrad radelnd inszeniert - das unter der
Last eines Erwachsenen prompt zusammenbricht - oder darauf besteht, mit
Boliviens Präsident Evo Morales nicht nur Coca-Blätter zu kauen - eine
höchst komische Szene, die dem Präsidenten nichts von seiner Würde nimmt
und Stone Gelegenheit gibt, den Unterschied in der Wirkung von
Coca-Blättern und Kokain klarzustellen -, sondern auch mit Anzug und
Straßenschuhen draußen auf dem Rasen Fußball zu spielen.
Trotzdem macht Stones Film Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft für
Lateinamerikas bestandsgefährdete Demokratien, zumindest was eine
Einmischung von außen angeht. Bessere Vernetzung untereinander und ein
gesteigertes internationales Profil könnten dazu beitragen,
CIA-gestützte Staatsstreiche vom Regelfall zum Skandalon zu machen, auch
wo der Internationale Währungsfonds und das Privatfernsehen als
Instrumente der neoliberalen Rechten agieren. Interessant in diesem
Zusammenhang, dass sowohl Michael Moore (der bei Stone in einem
Fernsehmitschnitt zu sehen ist) als auch Stone auf Barack Obama als
einen neuen Teddy Roosevelt hoffen, wobei der eine dessen geplante
Erweiterung der Menschenrechtserklärung im Sinn hat, der andere einen
zweiten New Deal.
* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2009
Zurück zur Venezuela-Seite
Zur Medien-Seite
Zurück zur Homepage