Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Venezuela und Rußland suchen neue Wege"

Hugo Chávez war zu Gesprächen in Moskau. Ein Gespräch mit Wladimir Dawydow - Und weitere Meldungen vom Staatsbesuch


junge Welt: Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat zu Beginn seiner Auslandsreise am Montag (24. Juli 2006) einen »Bruderpakt« mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko abgeschlossen. Ist eine solche Verbrüderung auch mit Rußland denkbar?

Wladimir Dawydow: Das weiß ich nicht, aber die Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt, vor allem die wirtschaftliche Kooperation. Das zeigt sich auch daran, daß es ständige Beratungen und Absprachen gibt. Ich glaube schon, daß es zwischen beiden Regierungen viel Übereinstimmung gibt.

Vor allem in Rüstungsfragen, denn nach dem Kauf von 100 000 Maschinenpistolen hat Venezuela jüngst auch Kampfjets in Rußland bestellt. Welche Gemeinsamkeiten gibt es darüber hinaus?

Beide Staaten versuchen den Ener­giemarkt zu stabilisieren. Es entspricht eben nicht der Realität, wenn in den USA behauptet wird, daß die venezolanische Erdölpolitik destabilisierend wirkt. Ganz im Gegenteil. Die Regierung in Caracas versucht, den Erdölreichtum zum Wohl der marginalisierten Schichten einzusetzen. Meiner Meinung nach ist es eine tief humanistische Politik. Auf der anderen Seite ist Chávez’ provokante Außenpolitik mitunter risikobehaftet. Darin unterscheiden sich Chávez und Putin.

Das heißt?

Die internationale Lage ist heute aus verschiedenen Gründen instabil. Ein Hauptziel in der Außenpolitik eines jeden Staates muß es sein, diese Risiken auszuschalten. Und dieses Ziel scheint für Moskau eine größere Rolle zu spielen als für Caracas.

Während einer Konferenz in Moskau haben Sie vor einigen Wochen gesagt, Lateinamerika befinde sich auf der Suche nach einem Modell, das den gesellschaftlichen Bedürfnissen eher gerecht werde als der Neoliberalismus. Wie wird diese Suche in Rußland gesehen?

Rußland ist in erster Linie der politischen und wirtschaftlichen Krisen müde. Das Land ist nicht länger bereit, die soziale Kluft in seiner Gesellschaft zu akzeptieren, die dank Putins Führung verkleinert werden konnte. Dieser Wunsch artikuliert sich in unserer Gesellschaft in sehr verschiedener Weise und in zunehmender Deutlichkeit. In diesem Ziel, der Etablierung einer neuen Sozialpolitik, stimmen wir mit den lateinamerikanischen Staaten überein, in denen Links- oder Mitte-Links-Regierungen gewählt wurden. Aber auch über diese Regionen hinaus ist doch inzwischen deutlich geworden, daß die Weltwirtschaft mehr Regulierung braucht. Rußland sucht also ebenso wie Venezuela nach neuen Wegen zu einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

Es gibt aber einen Unterschied. Die venezolanische Regierung hat sich die Kontrolle über die Erdölindustrie gesichert, die vormals von einer Oligarchie ausgeplündert wurde.

Das stimmt, in Rußland hat es eine solche Renationalisierung nicht gegeben. Aber auch hierzulande wird inzwischen eine stärkere Kontrolle über die Schlüsselindustrien ausgeübt. Ich glaube auch nicht, daß Chávez die gesamte venezolanische Industrie verstaatlichen will. Er selber sagt ja, daß sein Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Fehler der alten sozialistischen Systeme nicht wiederholen will.

Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts: Wäre diese Idee auch in Rußland mehrheitsfähig?

Das glaube ich nicht. Dafür sind die Erfahrungen beider Länder zu unterschiedlich.

In Westeuropa wird Chávez’ Regierung unter Politikwissenschaftlern sehr kritisch gesehen, sein angeblicher Populismus scharf kritisiert. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Ich war anfangs auch recht kritisch und dachte, daß Chávez alte Ideen wiederbeleben will. Aber die Realität hat meine Bedenken zerstreut. Die Regierung Chávez ist stabil, weil sie – offensichtlich aufgrund ihrer Politik – einen ungeheuren Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Ich wäre deswegen sehr vorsichtig, seinen Stil von außen zu be- oder sogar verurteilen. Zumal Europäer mitunter ohnehin Probleme haben, die lateinamerikanische Realität richtig zu bewerten.

Wladimir Dawydow ist Präsident des Latein­amerika-Institutes der russischen Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Moskau

Interview: Harald Neuber

* Aus: junge Welt, 28. Juli 2006

Russland und Venezuela bauen ihre Beziehungen aus

MOSKAU, 27. Juli (RIA Novosti). Der russische Präsident, Wladimir Putin, und sein venezolanischer Kollege, Hugo Chavez, werden am Donnerstag im Kreml die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern im Wirtschaftsbereich sowie die Situation im Nahen Osten und um Iran behandeln.
Wie ein Kreml-Sprecher der RIA Novosti mitteilte, wird der Hauptakzent in den Verhandlungen auf die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen gesetzt, deren großes Potential nach Meinung Moskaus bei weitem nicht vollständig ausgenutzt wird.

Im vorigen Jahr nahm der bilaterale Warenumsatz um 61,8 Prozent auf mehr als 77 Millionen US-Dollar zu. Zugleich, so der Kreml-Sprecher, soll die Zusammenarbeit in Handel und Wirtschaft diversifiziert werden.
"Es wird an mehreren großen Gemeinschaftsprojekten auf den Gebieten Bergbau, Kraftfahrzeug-, Eisenbahn- und Lufttransport, Maschinenbau und Infrastruktur des Bank- und Finanzbereiches gearbeitet", teilte er mit.
Zu den außenpolitischen Themen hob der Kreml-Sprecher hervor, dass die Positionen Russlands und Venezuelas zu den meisten internationalen Problemen annähernd und zum Teil ganz übereinstimmen. "Es wird in den Verhandlungen um die Zusammenarbeit im Kampf gegen heutige Herausforderungen und Gefahren, in erster Linie gegen den internationalen Terrorismus und den ungesetzlichen Drogenhandel, sowie die Situation um das iranische Nuklearprogramm, die Lage im Nahen Osten und andere aktuelle internationale Themen gehen", sagte er. Sehr erfolgreich entwickelt sich die bilaterale militärtechnische Zusammenarbeit. So gab Russlands Vizepremier und Verteidigungsminister, Sergej Iwanow, am vorigen Freitag die Vereinbarung zwischen Moskau und Caracas über die Lieferung von 30 Kampfflugzeugen Su-30 und 30 Hubschraubern für mehr als eine Milliarde US-Dollar an Venezuela bekannt.
Der venezolanische Präsident teilte seinerseits Journalisten mit, dass im Ergebnis der Verhandlungen in Moskau ein Abkommen über den Bau eines Werkes für Kalaschnikow-MPi in Venezuela unterzeichnet wird.

"Wedomosti": Russisches Unternehmen plant Aluminium-Produktion in Venezuela

MOSKAU, 28. Juli (RIA Novosti). Das russische Unternehmen Sual hat am Donnerstag ein Protokoll mit der venezolanischen Staatsgesellschaft Corporacion Venezolana de Guayana über die Entwicklung einer technisch-ökonomischen Aufgabenstellung für den Bau eines Tonerde- und Aluminiumkomplexes in diesem Land unterzeichnet. Wie die Tageszeitung "Wedomosti" am Freitag berichtet, hatte das russische Großunternehmen Rusal vor zwei Jahren bereits ein ähnliches Protokoll unterzeichnet. Diese Kooperation tritt aber auf der Stelle, weil Rusal keine Aluminiumfabrik in Venezuela bauen will.

"Wir haben unser Geschäft in Russland aufgebaut, es ist Zeit, weiterzugehen", erklärte Artjom Wolynez, erster Vizepräsident der Sual-Holding, sein Interesse für das Projekt in Venezuela. Dieses Land verfügt nicht nur über Bauxitenvorräte, sondern auch über billigen Strom, was das Aluminiumgeschäft rentabel macht. Weitere Vorteile bestehen in der Nähe zu den Märkten, u. a. der USA, und in der Tatsache, dass das Endprodukt problemlos zu exportieren ist. Nach Ansicht des Unternehmers wird die Konzipierung der technisch-ökonomischen Aufgabenstellung rund 18 Monate in Anspruch nehmen. Erst dann werden Einzelheiten des Projekts bekannt, auf deren Grundlage Sual über seine Beteiligung daran entscheiden wird.

Im Unterschied zu Rusal hat sich Sual bisher auf Projekte innerhalb Russlands beschränkt, stellt Denis Nuschtajew, Analyst der Investmentgesellschaft Metropol, fest. Rusal hat dagegen eigene Aktiva in Guinea, Guayana wie auch Nigeria und besitzt 20-prozentige Anteile am Tonerdekombinat Queensland Alumina in Australien.

Diesmal kann aber Sual zu einem Rusal-Konkurrenten werden, weil Rusal bereits 2004 mit derselben Staatsgesellschaft eine Absichtserklärung unterzeichnet hat. Russlands Vizepremier Alexander Schukow erklärte damals, dass die Kapazität des Betriebs eine Million Tonnen und dessen Wert eine Milliarde Dollar betragen wird. Venezuela möchte, dass auf seinem Territorium eine weitere Aluminiumfabrik entsteht, die ein Produkt von einer höheren Veredelungsstufe herstellt, Rusal ist aber damit nicht einverstanden.

Nach Ansicht von Experten werden aber beide Unternehmen in Venezuela genug Platz haben. In diesem Land werden jährlich rund 5,8 Millionen Tonnen Bauxite gefördert, während die Vorräte auf 350 Millionen Tonnen geschätzt werden. Nach Ansicht von Kyrill Tschuiko, Analyst der Finanzgesellschaft Uralsib, könnten lediglich politische Risiken das russische Geschäft in Venezuela behindern.

Die Sual-Gruppe hat im vergangenen Jahr 2,3 Millionen Tonnen Tonerde und 1,05 Millionen Tonnen Aluminium produziert. Der EBITDA-Gewinn lag bei rund 600 Millionen Dollar.

Venezuelas Präsident hält USA für größte Gefahr in der Welt

MOSKAU, 27. Juli (RIA Novosti). Der venezolanische Präsident, Hugo Chavez, hat erklärt, dass die größte Gefahr für die Welt von den USA ausgeht.

"Die größte Gefahr, die in der Welt besteht, ist das Imperium der Vereinigten Staaten. Das ist ein sinnloser, blinder und stupider Gigant, der die Welt nicht versteht, die Menschenrechte nicht begreift, nichts von Menschlichkeit, Kultur, Erkenntnis und Bewusstsein kapiert", sagte Chavez am Donnerstag in Moskau bei der Einweihung einer Simon-Bolivar-Büste.
Ihm zufolge besteht die Rolle der USA in der Welt darin, "alle ins Elend zu stürzen, und das angeblich um der Freiheit willen". "Das geschieht in Irak, im Nahen Osten und in Lateinamerika", stellte Chavez fest. "Ich fahre jetzt in den Kreml, um eine Reihe von Dokumenten zu unterschreiben, die für die Energiewirtschaft und die Politik, sowie für Sicherheit und Verteidigung von großer Bedeutung sind", teilte er mit.

* Alle Meldungen von der Russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru




Zurück zur Venezuela-Seite

Zur Russland-Seite

Zurück zur Homepage