Venezuela: Nach dem gescheiterten Putsch setzt die Opposition auf Gewalt
Populärer Präsident Chávez unter Druck
Am 12. Juli erschein unter dem Titel "Magier des Volkes" in der Wochenzeitung "Freitag" ein Bericht von Dario Azzellini über die Lage in Venezuela. Das Bild, das hier gezeichnet wird, ist meilenweit verschieden von den Meldungen, die hier und da (insgesamt aber doch recht selten) in der überregionalen Tagespresse erscheinen. Wir dokumentieren Auszüge.
... In einem Ende Juni in den venezolanischen Medien
verbreiteten Video verkündete
ein vermummter "Comandante Antonio", 2.200
Bewaffnete stünden bereit,
um Venezuela vor der kolumbianischen
Guerilla und dem Kommunismus
zu "schützen". Die Organisation bestehe
zum Großteil aus Militärs und
Ex-Militärs, deren Ziel es sei, das
politische Panorama Venezuelas zu
verändern. Präsident Chávez wurde zum
"militärischen Ziel erklärt". Die
venezolanische Regierung ist bislang eher
gelassen geblieben und
verkündete Mitte Juni die Kürzung des
Militäretats um 40 Prozent an. Das
eingesparte Geld soll laut
Planungsminister Felipe Pérez in
Sozialprogramme zur Armutsbekämpfung
fließen. Damit nimmt die
Regierung Chávez der Opposition, die ihm
stets eine Militarisierung der
Gesellschaft vorwirft, den Wind aus den
Segeln. ... Am
vergangenen Wochenende landete
Ex-US-Präsident Jimmy Carter in Caracas
und traf sich zu Gesprächen mit
Präsident Chávez Vizepräsident Rangel,
Medienunternehmern und
Kirchenrepräsentanten. Carter soll die
Chancen für einen Dialog zwischen
Regierung und Opposition sondieren. Die
Opposition begrüßte zwar die
Carter-Kommission, rief aber dennoch für
den 11. Juli zu einer weiteren
Demonstration auf. (
Die hat mittlerweile stattgefunden. Den hiesigen Medien zufolge beteiligten sich 600.000 Menschen daran; Anm. Webmaster.)
Mittlerweile
konzentrieren sich die Bemühungen der
Opposition darauf, den Generalstaatsanwalt
Isaías Rodríguez von seinem
Posten zu entfernen. Rodríguez hatte -
nach dem April-Putsch gegen
Chávez - eine im Fernsehen übertragene
Pressekonferenz einberufen, auf
der er seinen Rücktritt ankündigen sollte.
Vor laufenden Fernsehkameras
war von Rücktritt aber keine Rede mehr,
und er erklärte, Chávez sei
keinesfalls, wie von den Putschisten
verkündet, zurückgetreten. Isaías
Rodríguez, so der Wille der Opposition,
soll durch einen neuen
Generalstaatsanwalt ersetzt werden, der
bereit ist, ein Verfahren gegen
Chávez in die Wege zu leiten. Dieses würde
dann dem Obersten
Gerichtshof unterbreitet werden, wo elf
der 20 Richter der Opposition
zugerechnet werden. Das zu einer
Verurteilung notwendige Quorum liegt
jedoch bei 16, so dass es wohl eher darum
geht, das eingeleitete
Verfahren propagandistisch
auszuschlachten. Chávez zeigt sich davon
nicht sonderlich beeindruckt. In seiner
wöchentlichen TV- und
Radioübertragung "Aló Presidente"
verkündete er in der vergangenen
Woche: "Wer kann glauben, dass Millionen
von Venezolanern die Arme
kreuzen und still zu Hause bleiben, wenn
sie sehen, dass Chávez
angeklagt und festgenommen wird?"
Tatsächlich ging Chávez bisher
gestärkt aus der politischen Krise hervor
und verschiedene
Meinungsumfragen sehen seine Unterstützung
in der Bevölkerung
zwischen 59 und 70 Prozent. ...
Die Auflagen der großen
Tageszeitungen El Nacional und El
Universal befinden sich im freien Fall.
El Nacional, vor dem Putsch noch bei
mehreren Hunderttausend verkauften
Exemplaren, druckt nur noch knapp 60.000
Zeitungen täglich. Beide
Zeitungen werden in einigen Gebieten
gratis verteilt. Auch die Quoten der
großen Privatsender sanken merklich,
während sich Werbekunden aus
Furcht vor einem Boykott zunehmend
zurückziehen. Ökonomisch hat sich
das Land mittlerweile stabilisiert. Nach
einem durch massive Kapitalflucht
und stornierte Investitionen künstlich
forcierten Rückgang des
Bruttoinlandsprodukts im ersten Halbjahr,
zeichnet sich für die zweite
Hälfte des Jahres eine Erholung ab. Im
vergangen Jahr war die Wirtschaft
Venezuelas trotz widriger Umstände noch um
2,8 Prozent gewachsen,
ohne den Erdölsektor gar um vier Prozent.
Präsident Chávez hielt auch an
den Erdöllieferungen zu Sonderkonditionen
für Kuba fest und erklärte, alle
Erdöllieferabkommen mit der Karibikinsel
würden eingehalten werden.
Davon unbeeindruckt rollt eine massive
Propagandakampagne in
meinungsmachenden internationalen Medien
der ibero-amerikanischen
Welt, wie etwa im spanischsprachigen CNN
oder den Madrider
Tageszeitungen El País und El Mundo, die
versuchen, Venezuelas Lage
mit der katastrophalen Situation
Argentiniens zu vergleichen. El Mundo hat
sogar angeregt, Chávez von
"venezolanischen Psychiatern" für verrückt
erklären lassen. Währenddessen rücken die
Untersuchungen des
Staatsstreichs vom 11. April die
Opposition in ein immer ungünstigeres
Licht. Ballistische Untersuchungen an den
Waffen der Stadtpolizei von
Caracas, die dem in Opposition zu Chávez
stehenden Bürgermeister
unterstellt ist, ergaben, dass 34
Polizisten während der Ereignisse um den
Präsidentenpalast ihre Pistolen
einsetzten. Aus welchen Waffen welche
Schüsse abgegeben wurden, lässt sich
jedoch nicht mehr feststellen, da
die tödlichen Kugeln zuvor angeschliffen
worden waren, um so eine
ballistische Untersuchung zu erschweren.
Bereits in der Vergangenheit
wurde diese Technik von der Polizei
eingesetzt, wenn es darum ging,
geplante Zwischenfälle zu vertuschen.
Aus: Freitag 29, 12. Juli 2002
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