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"Mit Kritik abgeblitzt"

Kurz vor Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn beharrt Premier Orban auf neuem Mediengesetz. Internationaler Aufschrei bleibt aus

Von Stefan Inführ, Wien *

Wer sagt, daß es sich um Zensur handelt, redet nur Blabla«. Wenig diplomatische Töne für die Kritik am neuen Mediengesetz fand in den vergangenen Tagen nicht nur der ungarische Botschafter in Wien, Vince Szalay-Bobrovniczky. Ins selbe Horn schlägt nun auch Janos Lazar, der Fraktionsvorsitzende der regierenden rechtskonservativen Fidesz. Hatte dieser noch vor wenigen Tagen bei Bedarf Änderungen des Gesetzes in Aussicht gestellt, beurteilte er die von zahlreichen Stellen geäußerten Vorbehalte gegen die radikalen Veränderungen in der ungarischen Mediengesetzgebung kürzlich als »größtenteils Nonsens«.

Premier Viktor Orban hatte ohnehin schon klargemacht, daß er sich durch die von Journalistenvereinigungen, OSZE und einigen europäischen Politikern geäußerten Kritik nicht vom neuen ungarischen Mediengesetz abbringen lassen werde. Dieses sieht einschneidende Veränderungen vor (jW berichtete). So sollen ab dem 1. Januar Fernsehsender, Radiostationen, Zeitungen sowie Internetportale von der Medienbehörde NMHH kontrolliert werden. Wer gegen das Gebot einer »politisch ausgewogenen Berichterstattung« verstößt, muß mit hohen Geldbußen rechnen – für Rundfunkanstalten etwa können diese bis zu 200 Millionen Forinth (rund 700000 Euro) ausmachen. Besetzt ist die Medienbehörde, die zum Erlaß von Verordnungen bemächtigt wurde, von Mitgliedern der regierenden Fidesz-Partei – die einflußreichen Posten wurden erst gar nicht öffentlich ausgeschrieben. Ebenso müssen Journalisten künftig ihre Quellen offenlegen, wenn es um »Fragen der öffentlichen Sicherheit« geht.

Die Europäische Journalistenföderation sprach im Zusammenhang mit dem neuen Mediengesetz von einem Bruch der Grundrechte und der Medienfreiheit. Gleichzeitig wies die Organisation darauf hin, daß die Pressefreiheit auch in anderen europäischen Ländern gefährdet sei.

Der Fidesz-Abgeordnete Zsolt Semjén reagierte auf skeptische Äußerungen zu dem Gesetz sichtlich verschnupft. So nannte er Jean Asselborn, den sozialdemokratischen Außenminister Luxemburgs, der einen Widerspruch zwischen den Plänen der ungarischen Regierung und den »Werten der Europäischen Union« festgestellt hatte, einen »Linksradikalen«. Überhaupt sei die Skepsis nur Ausdruck »der Linksliberalen und ein Protest gegen nicht existierende Probleme«.

Gewohnt zurückhaltend äußerte sich bisher die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese ließ lediglich über einen Sprecher ausrichten, daß man »die Kritik der OSZE ernst nehmen« solle. Möglicherweise hängt die Zurückhaltung einiger europäischer Regierungschefs auch mit der Situation im eigenen Land zusammen. So liegt der unfreiwillige Abgang des in Unionskreisen unbeliebten ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender noch kein Jahr zurück, in Frankreich läßt Präsident Nicolas Sarkozy wichtige Medienposten mit guten Freunden besetzen.

Auch stellt das neue Mediengesetz keineswegs den ersten fragwürdigen Schritt der rechtskonservativen Regierung Orban dar – es ist lediglich der erste, gegen den einige europäische Politiker lautstark Protest einlegen. So war die Kompetenzbeschneidung des ungarischen Verfassungsgerichts, das gewagt hatte, verfassungswidrige Gesetze aufzuheben, im November großteils stillschweigend hingenommen worden. Ebenso die massiven politischen Umfärbungen im Staatsdienst nach der Machtübernahme Orbans Mitte dieses Jahres. Während der EU-Ratspräsidentschaft Ungarns in den kommenden sechs Monaten werden ohnehin andere Themen vorherrschend sein: die Kreditwürdigkeit des Landes liegt nur knapp über »Ramschstatus« und die Arbeitslosigkeit befindet sogar nach Fidesz-Einschätzung deutlich über der offiziellen Quote von 10 Prozent.

* Aus: junge Welt, 29. Dezember 2010


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