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"Es geht um politische Säuberungen"

Welche Temperatur hat der Balaton? Mit dem neuen Mediengesetz verändert sich Ungarns Presselandschaft. Ein Gespräch mit Károly Vörös *


Károly Vörös war bis Juni Chefredakteur der sozialliberalen Tageszeitung Népszabadság, des auflagenstärksten Blattes in Ungarn

Seit Anfang des Monats sind die Sanktionsmechanismen des neuen ungarischen Mediengesetzes in Kraft getreten. Was hat sich seitdem getan?

Das Gesetz an sich gilt schon seit dem 1. Januar. Seit Juli hat allerdings der neu gebildete Medienrat das Recht, bei Zuwiderhandlungen rigide Strafen für einzelne Zeitungen oder Radios zu verhängen. In den letzten zwei Wochen ist allerdings nichts besonderes geschehen. Gleichwohl hat es schon vor dem 1. Juli eine Reihe von erschreckender Maßnahmen gegeben. Hier denke ich vor allem an die Umstrukturierung der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunksender.

Was wird umgebaut?

Der gesamte öffentlich-rechtliche Sektor wurde in einer Holding zusammengefaßt. Drei TV-Sender, vier Radios sowie eine Nachrichtenagentur werden nun von einer Zentralredaktion versorgt. 550 Beschäftigte wurden im Zuge dieser Zusammenlegung schon entlassen, 450 sollen bis Herbst folgen. Die Mehrheit davon sind Journalisten. Das sind etwa ein Drittel des gesamten Personalbestandes von ehemals 3000.

Handelt es sich bei der Umstrukturierung um Sparmaßnahmen?

Die Gründe für die Entlassungen sind wirtschaftlicher Natur. Der Staat will kürzen. Doch der Umbau wird mit politischen Säuberungen verbunden. Beim Großteil der Betroffenen handelt es sich um erfahrene Redakteure, solche, die einen unabhängigen Journalismus vertreten und in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer anständige Arbeit geleistet haben.

Welchen Einfluß wird diese Zentralisierung auf die Berichterstattung der einzelnen Sender und Radios haben?

Alle drei TV-Stationen hatten bisher einen eigenen Etat und einen eigenen Personalbestand, genauso wie die drei Radios und die Nachrichtenagentur. Etat und Personal wandern nun in den neuen sogenannten Mediendienstleistungs- und Vermögensfonds. Den Sendern und Radios bleiben nur wenige Leute an der Spitze, die Produktion eigener Inhalte ist damit unmöglich, jeder Beitrag muß bei der Holding bestellt werden. Das Programm wird sich folglich angleichen. Die Nachrichten werden sich noch mehr als bisher mit dem Wetter oder der Temperatur des Balatons beschäftigen. Politik wird dagegen marginalisiert. Oder es werden falsche oder ungenügende Informationen verbreitet. Am Montag hat die Regierungspartei Fidesz etwa ein neues und dazu wenig demokratisches Wahlgesetz verabschiedet. Die öffentlichen Sender berichteten in den Nachrichten erst an vierter Stelle darüber.

Die EU hatte das Mediengesetz vor Inkrafttreten heftig kritisiert. Aktuell ist jedoch wenig zu hören. War die Kritik ernst gemeint?

Ja, der Union fehlte es aber an Sanktionsmitteln. In vier Punkten hat sie Veränderungen gefordert. Zwei davon waren technischer Natur. Die dritte Forderung bezog sich auf die Abschaffung eines Paragraphen, der die Medien zur »Ausgewogenheit« verpflichtet hat. Dieser Forderung ist die Regierung Viktor Orbán nachgekommen. Und was noch wichtiger ist: Auch die Regelung, die eine »Beleidigung von Mehrheiten« unter Strafe stellte, wurde aus dem Gesetz entfernt. Gleichwohl wurden andere Einschränkungen beibehalten. So dürfen etwa bestimmte Personen und Institutionen wie die Kirchen immer noch nicht ernsthaft kritisiert werden. Der Medienrat hat jetzt sogar das Recht, Strafen auszusprechen, auch wenn sich die Betroffenen gar nicht angegriffen fühlen. Bisher läßt sich allerdings nicht sagen, wie sich das auswirken wird.

Wie ist die Reaktion in den privaten Medien?

Viele fürchten eine Schließung. So droht etwa dem Klubradio das Ende. Das ist ein politisch sehr informativer Sender, der gute Arbeit macht. Seine Lizenz läuft in diesem Jahr aus. Die Regierung hat zwar eine neue ausgeschrieben, die ist jedoch daran gebunden, daß maßgeblich Musik gebracht werden muß. Es gibt in Ungarn zwei Privatsender, die haben sich bisher wenig und jetzt noch weniger mit Politik beschäftigt. Die Provinzsender sind ohnehin schlecht. Und die oppositionellen Zeitungen haben finanzielle Schwierigkeiten. Hoffnung gibt es im Internet. Zwei Onlinezeitschriften mit politischer Ausrichtung wurden neu gegründet.

Doch es gibt Widerstand aus der Bevölkerung. Eine Facebookaktion hat kürzlich fast 50000 Menschen auf die Straße gebracht. Die Medienpolitik der Regierung stammt aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Heute kann sie damit nicht durchkommen.

Interview: Johannes Schulten

* Aus: junge Welt, 14. Juli 2011


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