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Putins cooler Deal

Ukrainischer Präsident bringt aus Moskau ermäßigten Gaspreis und 15 Milliarden Dollar nach Hause. Opposition wittert Geheimabsprachen im Hintergrund

Von Reinhard Lauterbach *

Rußland gewährt der Ukraine einen ermäßigten Gaspreis und 15 Milliarden US-Dollar Kredit. Das sind die wichtigsten Ergebnisse des Treffens der beiden Präsidenten Wladimir Putin und Wiktor Janukowitsch am Dienstag in Moskau. Der Beitritt der Ukraine zu der russisch-belarussisch-kasachischen Zollunion stand nach Aussage Putins nicht zur Debatte.

Vom Januar 2014 an senkt der russische Gaskonzern Gasprom den Preis für die Ukraine um etwa ein Drittel auf 268,50 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter. Gegenwärtig zahlt das Land noch 400 Dollar für dieselbe Menge. Bei einem ukrainischen Gasimport von 27 Milliarden Kubikmeter im Jahr bedeutet dies, daß monatlich fast eine Milliarde Dollar an Rußland zu zahlen ist – damit wären die Devisenreserven des Landes innerhalb kurzer Zeit aufgezehrt. Sie wurden zuletzt von der ukrainischen Nationalbank mit noch 16 Milliarden US-Dollar angegeben. Die Ukraine steht damit haarscharf vor einer Staatspleite.

Zumindest stand sie es bis Anfang dieser Woche. Denn mit der Kreditzusage hat Rußland dieselbe Summe versprochen, über die die Ukraine auch mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelt hatte. Die Gespräche mit letzterem waren aber abgebrochen worden, weil der IWF von der Ukraine eines der üblichen neoliberalen Strukturanpassungsprogramme als Gegenleistung verlangt hatte. Die geforderten Maßnahmen wären aber für Janukowitsch ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen (sie stehen im Frühjahr 2015 an) politisch selbstmörderisch gewesen: Verdoppelung der Gaspreise und damit der Heizkosten für Privathaushalte, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Lohn- und Rentenstopp. Rußland gewährt seinen Kredit ohne solche makroökonomischen Nebenbedingungen.

Das bedeutet freilich nicht, daß die Hilfe aus Moskau uneigennützig wäre. Nicht nur in dem politischen Sinne, daß es zweifelhaft ist, wie lange sich Janukowitsch ohne die Finanzspritze noch innenpolitisch hätte halten können – zuletzt waren auch die Großunternehmer, die ihn unterstützten, merklich auf Distanz gegangen. Zumindest für einen, den Stahlbaron Wiktor Pintschuk, enthalten die Moskauer Vereinbarungen ein rasch zu entdeckendes Bonbon: Rußland beendet alle laufenden Antidumpingverfahren gegen Pintschuks Exporte in den Osten. Auch der Süßwarenmagnat Petro Poroschenko bekommt ein Zückerchen und darf seine Pralinen wieder nach Rußland liefern.

Das Geld für den russischen Kredit kommt aus dem Fonds für nationalen Wohlstand, der in den guten Jahren hoher Öl- und Gaspreise zur Absicherung der künftigen Rentenzahlungen in Rußland gebildet wurde. Der Fonds verwaltet derzeit Aktiva von knapp 90 Milliarden US-Dollar; hiervon ein Sechstel in ukrainische Staatsanleihen zu stecken, die an den Märkten auf Ramschniveau gehandelt werden, ist ein Schluck aus der Pulle und ein auf den ersten Blick riskantes Investment dazu. Aber die ukrainischen Obligationen bringen im Schnitt acht Prozent jährlich. Wenn und solange sie also bedient werden, könnte der russische Staatsfonds sich über Extraeinnahmen freuen. Indem der gewährte Kredit die kurzfristige Zahlungsfähigkeit der Ukraine sicherstellt, dürfte überdies ein erheblicher Teil davon schon bald nach Rußland zurückfließen. Allerdings an russische Banken, die sich in den letzten Monaten am Kapitalmarkt zu Kursen um die 40 Prozent – und dementsprechend Renditen von etwa 20 Prozent – mit ukrainischen Anleihen im Nennwert einiger Milliarden Dollar eingedeckt haben. Insofern macht Rußland mit der Ukraine nichts anderes als die EU mit Griechenland: Es pumpt öffentliches Geld in die Absicherung des Finanzsektors – nur daß die Zocker diesmal russisch sprechen.

Übermäßige Sorgen um die Zahlungsfähigkeit der Ukraine scheint sich Rußland nicht zu machen. Sollte in Kiew eine prowestliche Mannschaft ans Ruder kommen, müßte sie erst recht bemüht sein, die russischen Kredite pünktlich zu bedienen, schon um den ungeliebten Gläubiger loszuwerden. Die Alternative: Die russischen Anleihen Janukowitschs nicht zu bezahlen, wie es die Bolschewiki seinerzeit mit den Altschulden des Zarenreichs getan haben, steht für ein Land, das sich unter einer Pro-EU-Führung umso mehr um das Wohlwollen der Kapitalmärkte bemühen müßte, nicht ernsthaft zur Debatte.

Sollte aber die Ukraine nicht in der Lage sein, das aus Rußland geliehene Geld zurückzuzahlen, wäre das wahrscheinlich Putins geringste Sorge. Rußland hat der Ukraine schon mehrfach Kredite im Tausch gegen Anteile an strategischen Unternehmen angeboten. In erster Linie interessiert sich Rußland für das ukrainische Netz an Gaspipelines; bisher hat Kiew solche Ansinnen stets zurückgewiesen: Die Leitungen seien Unterpfand der nationalen Souveränität. Richtig daran ist soviel, daß die Einnahmen aus dem Gastransit die einzige verläßlich und dauerhaft sprudelnde Devisenquelle der Ukraine sind.

Die ukrainische Pro-EU-Opposition reagierte mit einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit auf Janukowitschs Gespräche in Moskau. Da sie ja schlecht kritisieren konnten, daß der Präsident mit billigerem Gas zurückkehrt, verlegten sich die Oppositionsführer aufs Verdachtschöpfen: Janukowitsch habe die Ukraine verkauft, die beiden Präsidenten hätten bestimmt »schändliche« geheime Nebenabsprachen getroffen, wüteten die Redner auf dem Kiewer Maidan. Es bleibt abzuwarten, was die Ukrainer mehr überzeugt: Warme Wohnungen oder hitzige Verschwörungstheorien.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Dezember 2013


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