Polnisch-ukrainische Fußballdiplomatie
Die außenpolitischen Rechnungen Warschaus sind nach der Niederlage des "orangefarbenen" Lagers in der Ukraine nüchterner geworden
Von Krzysztof Pilawski, Warschau *
Die gemeinsame Austragung der Fußball-
EM 2012 durch Polen und die
Ukraine hat eine lange politische
Vorgeschichte. Polen betrachtete sich
als eine Art politischer Pate des größeren
Nachbarlandes.
Ursprünglich sollte es die Fußball-
Weltmeisterschaft sein. Bereits im
Jahre 2003 sprachen sich die damaligen
Staatspräsidenten Polens
und der Ukraine, Aleksander
Kwasniewski und Leonid Kutschma,
für ein gemeinsam ausgerichtetes
großes Sportfest aus.
Schließlich wurde 2007 beiden
Ländern die Fußball-Europameisterschaft
2012 anvertraut.
Neben allen sportpolitischen
Motiven gab es dafür auch handfeste
politische Gründe, die vor allem
auf der polnischen Seite entscheidendes
Gewicht hatten und
haben. Das Land versteht sich
nach wie vor als wichtiger Anwalt
für die EU-Beitrittsperspektive der
Ukraine. Die soll aufrechterhalten
bleiben, auch wenn eine NATOMitgliedschaft
der Ukraine mittlerweile
in weite Ferne gerückt ist.
Nachdem das ukrainische Parlament
am 24. August 1991 noch innerhalb
der Sowjetunion die Unabhängigkeit
der Ukraine verkündet
hatte, war Polen der erste
Staat, der Kiew diplomatisch anerkannte.
Im Oktober 1991 besuchte
Polens damaliger Außenminister
Krzysztof Skubiszewski
die Sowjetunion. Nach seiner
Rückkehr sprach er von einer Reise
in vier Länder: in die Sowjetunion,
nach Russland, in die Ukraine
und nach Belarus. Kein führender
Außenpolitiker eines anderen
Staates hätte zu jener Zeit
diese Aussage getroffen.
Als der Staatssozialismus in
Polen und wenig später die Sowjetunion
zusammenbrachen, traten
in der Ostpolitik des Landes
Traditionen hervor, die im Feuersturm
des Zweiten Weltkriegs untergegangen
waren. Zwar stellte
niemand die Grenzen zu den östlichen
Nachbarländern infrage,
doch erhielten die Beziehungen zu
Kiew und Minsk im diplomatischen
und politischen Kräftespiel
mit Moskau strategische Bedeutung.
Eine geopolitische Situation
kehrte zurück, die viele an die Zeiten
Józef Pilsudskis erinnerte, der
nach dem Ersten Weltkrieg eine
Föderation aus Polen, Belarus und
der Ukraine als Bollwerk gegen
Sowjetrussland zu schmieden
suchte. Auch wenn das ein Traum
blieb und Pilsudskis Polen sich mit
bitteren Konsequenzen anschickte,
ohne selbstständige Ukraine Teil
des Cordon sanitaire zu werden,
war die Vision eines möglichen
Gegengewichtes zum übermächtigen
Russland geboren.
Neue Kraft erhielt dieser alte
politische Gedanke durch Polens
Beitritt zur EU. Einstimmig erklärten
Spitzenpolitiker aller politischen
Lager, die Osterweiterung
der EU könne erst nach einem
künftigen Beitritt von Belarus und
der Ukraine als abgeschlossen gelten.
Dabei störte wenig, dass andere
EU-Partner – vor allem aus
Gründen des sensiblen Verhältnisses
zu Moskau – in dieser Frage
sehr viel vorsichtiger agierten. Die
Außenminister der polnischen
Linksdemokraten (SLD), allen voran
Wlodzimierz Cimoszewicz,
stellten dabei stärker die tatsächliche
politische Gewichtung im Osten
Europas in Rechnung, nach
den Wahlerfolgen der Kaczynski-
Brüder kehrte im Herbst 2005 allerdings
Pilsudskis Föderationsidee
in neuer Gestalt zurück. Polens
Außenpolitik sah sich insbesondere
nach dem Erfolg der
»orangefarbenen« Revolution für
viele Jahre gefordert, die Westintegration
der Ukraine nach besten
Kräften zu fördern. Ab sofort gab
es aus Sicht Warschaus am Dnepr
nur noch »prowestliche« oder
»prorussische« Politiker.
Daran hat sich im Prinzip gar
nicht so viel geändert, allerdings
wurden die außenpolitischen
Rechnungen Polens spätestens mit
der Niederlage des mittlerweile tief
zerstrittenen »orangefarbenen«
Lagers in der Ukraine nüchterner.
Am Prinzip der Vertiefung und
Verbesserung der Beziehungen
zur Ukraine gibt es keine Abstriche,
doch soll das nicht mehr zu
Lasten der ohnehin nicht einfachen
Beziehungen zu Moskau gehen.
Warschaus Außenpolitik ist in
dieser Frage in die Reihen der EUDiplomatie
zurückgekehrt, nimmt
den eigenen Anspruch, in der EUNachbarschaftspolitik
gegenüber
dem Osten Vorreiter zu sein, ausgewogener
wahr.
Die Europameisterschaft wird
in den polnischen Medien vor allem
als großes Sportereignis gesehen,
das zugleich die gegenseitigen
Beziehungen zwischen den beiden
Ausrichterländern befruchten
wird. Anders als zwischen den
Niederlanden und Belgien oder
zuletzt zwischen Österreich und
der Schweiz bestehen zwischen
Polen und der Ukraine auffallende
politische Unterschiede. Polen
versteht sich dabei als ein Partner,
dessen Weg auch dem östlichen
Nachbarn offen stehen sollte.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. Juni 2012
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