Ukraine in der Brüsseler Warteschleife
Kiew wehrt sich gegen Vorbedingungen für Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens
Von Manfred Schünemann *
Am 25. Februar findet in Brüssel das
mehrfach verschobene Gipfeltreffen
EU – Ukraine statt. Wieder einmal
geht es um Bedingungen und Modalitäten
für eine Einbindung der Ukraine
in die EU-Strukturen.
Immer wieder hat die EU die Unterzeichnung
der bereits ausgehandelten
Verträge über eine
Freihandelszone und die Assoziierung
unter Hinweis auf Defizite bei
den wirtschaftlichen Reformen, auf
Menschenrechtsverletzungen und
Demokratieeinschränkungen in
der Ukraine verschoben. Auch
diesmal dürfte in Brüssel kein
Durchbruch gelingen.
EU-Erweiterungskommissar
Štefan Füle bekräftigte zwar nach
Gesprächen mit der ukrainischen
Führung, die fertigen Abkommen
sollten möglichst beim nächsten
Treffen im Rahmen der »Östlichen
Partnerschaft« in Vilnius im November
unterzeichnet werden.
Sollten die Bedingungen der EU
jedoch bis November nicht erfüllt
werden, schließe sich das »Zeitfenster
« für die Vertragsunterzeichnung
bis nach den nächsten
ukrainischen Präsidentschaftswahlen
im Jahre 2015.
Zum Forderungskatalog der EU
gehört vor allem, dass Kiew sich
definitiv gegen einen Beitritt zur
Zollunion mit Russland, Kasachstan
und Belarus entscheidet. Und
durch eine grundsätzliche Änderung
des ukrainischen Justizsystems
soll die Rückkehr der verurteilten
ehemaligen Regierungschefin
Julia Timoschenko und anderer
Oppositionspolitiker in die
Politik ermöglicht werden. Seine
Regierung aber, sagte der ukrainische
Botschafter bei der EU, Konstantin
Jelissejew, lehne jede Art
von Vorbedingungen ab. Worauf
die EU die Berechtigung ableitet,
die »Warteschleife« für die Ukraine
jederzeit zu verlängern.
Bei ukrainischen Regierungs- und Oppositionspolitikern stößt
diese Hinhaltepolitik auf Unverständnis.
Die einen sprechen von
»grober Erpressungspolitik«, die
anderen befürchten, dass weitere
Verzögerungen dem Regierungslager
als Vorwand für einen Beitritt
zum russisch dominierten Integrationsraum
dienen könnten.
Durch eine 17-tägige Blockade der
Parlamentsarbeit verhinderten die
Oppositionsparteien andererseits
die Verabschiedung einer Grundsatzerklärung
der Werchowna Rada
zur europäischen Integration.
Angesichts wachsender Wirtschafts-
und Finanzprobleme infolge
des Rückgangs der wirtschaftlichen
Leistungskraft und
bisher erfolgloser Kreditverhandlungen
mit dem IWF sucht die Regierung
nach Kompromisslösungen,
um sowohl die Verträge mit
der EU unter Dach und Fach zu
bringen als auch die Energiebeziehungen
mit Russland zu regeln.
Eine gleichzeitige Einbindung der
Ukraine in die EU und die Zollunion
lehnen aber sowohl Brüssel als
auch Moskau ab. Was die komplizierten
Verhandlungen über die
Gaslieferverträge mit Russland
betrifft, hat die Ukraine ihre Position
in letzter Zeit durch die Suche
nach alternativen Versorgungsquellen
stärken können. Die Abhängigkeit
von russischen Erdgaslieferungen
soll durch Rücklieferung
russischen Gases aus EUStaaten,
die Erschließung von
Gasschieferlagerstätten, die verstärkte
Nutzung erneuerbarer
Energiequellen und durch neue
Lieferabkommen mit Turkmenistan
verringert werden. Erstmals
seit Jahren wird ernsthaft über die
Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft
zur Nutzung des ukrainischen
Pipelinesystems wie auch
auch einer Gazpromleitung vom
Kaspischen zum Schwarzen Meer
für den Transport turkmenischen
Erdgases verhandelt. Ginge daraus
ein neues Modell der russisch-ukrainischen
Zusammenarbeit im
Energiebereich hervor, könnte
dies den Weg zu pragmatischen
Lösungen für eine Einbindung der
Ukraine in die Zollunion ohne
Vollmitgliedschaft öffnen. Fragt
sich allerdings, ob auch die EU das
akzeptieren würde. Auf ukrainischer
Seite zweifelt man daran,
zumal die EU bisher nur wenig
Bereitschaft zeigte, der Ukraine in
den Gasverhandlungen mit Russland
beizustehen.
Gedrängt von zwei Seiten, steht
Kiew vor komplizierten Entscheidungen,
die die innenpolitische
Lage weiter zuspitzen könnten.
Darauf setzt offensichtlich die Opposition.
Die Parlamentsblockade
wurde zwar am Freitag offiziell
beendet, doch bleibt es schwierig,
konsensfähige Entscheidungen zu
Kernfragen der ukrainischen Politik
zu treffen.
* Aus: neues deutschland, Montag, 25. Februar 2013
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